Über den Protestmarsch der Asylsuchenden nach Berlin

Zu Fuß gegen ein System

Der selbstorganisierte Protestmarsch von Asylsuchenden nach Berlin hat begonnen. Der rassistische Normalzustand ist ihr größtes Hindernis.

Am Samstag demonstrierten in Würzburg 400 Menschen nicht nur gegen die unwürdige Behandlung von Asylsuchenden. Die Kundgebung war auch der Auftakt zu einem von Flüchtlingen organisierten Protestmarsch nach Berlin. Den Demonstranten gelang es, Festnahmen zu verhindern, etwa wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht, also wegen des unerlaubten Verlassens des zugewiesenen Aufenthaltsbereichs. Das ist ein Erfolg, denn erst wenige Tage zuvor hatte die Polizei Arash Doost Hossein festgenommen und nach Düsseldorf verfrachtet. Dort wurde er zwar freigelassen, aber auch wegen Verletzung der Residenzpflicht angezeigt.
Etwa 70 Menschen machten sich nach der Demonstration zu Fuß auf nach Berlin. »Wir ertragen es nicht mehr. Wir wollen nicht mehr schweigen«, schreiben die protestierenden Asylsuchenden in ihrem Aufruf. Eine weitere Gruppe von Protestierenden aus dem Iran, Afghanistan, Nigeria, Deutschland und anderen Ländern begab sich mit dem Bus auf den Weg nach Berlin.
Mohammad Rahsepars Selbsttötung Anfang des Jahres in einem Flüchtlingsheim in Würzburg war der Auslöser für den Protest (Jungle World 18/12). Es folgten ein Camp in der Innenstadt, Hungerstreiks, das Zunähen der Münder und dann weitere Zeltlager in Düsseldorf, Osnabrück, Berlin, Nürnberg, Regensburg, Aub, Passau und Bamberg (Jungle World 32/12). Die Flüchtlinge fordern unter anderem einen Abschiebestopp, die freie Arztwahl, Arbeits- und Studienerlaubnisse für alle Asylsuchenden und die Abschaffung der Lager. Diese von Asylsuchenden selbst organisierten Proteste zeugen von großer Ausdauer und dürften zu den hartnäckigsten der vergangenen Jahre zählen. Die Bedingungen sind hart: Viele Protestierende setzen ihre Gesundheit aufs Spiel, nehmen Schikanen der Polizei und Geldstrafen der Behörden in Kauf.
Sie haben es mit einer Gesellschaft zu tun, in der es Jahre gedauert hat, bis etwa ein Lager, in dem katastrophale Bedingungen herrschten, wie das im thüringischen Zella-Mehlis, endlich geschlossen wurde. Und in der es Jahrzehnte brauchte, bis der mittelalterliche Gebietsarrest für Asylsuchende und Menschen mit Duldung zumindest minimal gelockert wurde.
Doch trotz einiger Zugeständnisse läuft der rassistische Normalbetrieb weiter. Abgeordneten des Bundestags musste das Bundesverfassungsgericht kürzlich das Einmaleins des Grundgesetzes beibringen und sie darüber belehren, dass auch Asylsuchende das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben. Die Verfassungsrichter selbst erhöhten zwar die Sätze, berechneten das Existenzminimum für Asylsuchende dann aber doch noch ein bisschen anders als das Existenzminimum für Deutsche. Und so wird ein Sondergesetz wie das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz mit seinem Sachleistungsprinzip nicht endlich abgeschafft, sondern nur etwas angepasst. Ein Innenminister, der nicht einmal diese minimalen Verbesserungen durchsetzen möchte, wäre eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutzbericht. Doch selbstverständlich taucht er darin nicht auf. Der Staat misst Menschen mit zweierlei Maß und nimmt dabei Tote in Kauf. Das sind in der Tat große Hürden für den kleinen Protestmarsch der Flüchtlinge.