Geht lieber jagen

Born to eat wild

Eine Welt ohne Bio-Läden ist möglich und wäre auch besser.
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Okay, es mag auch einfach daran liegen, dass ich mich unter Proletariern bei Lidl wohler fühle, ebenso wie im italienischen Feinkostgeschäft unter Genießern. Bio-Läden hingegen und ihr protestantisch-möchtegernbürgerliches Publikum, das der Meinung ist, Qualität lasse sich daran messen, wie sehr es einem an der Kasse beim Griff in die Brieftasche schmerzt, stoßen mich ab. Vielleicht bin ich auch einfach nur ein zu altruistischer Tier- und Menschenfreund, um in diese Tempel der Selbstheiligsprechungen zu pilgern. Nachdem wir in den vergangenen Wochen noch einmal aufgezeigt bekamen, dass Bio-Fleisch nicht unbedingt besser für das Tier ist und dass Bio-Lebensmittel nicht gesünder für den Menschen sind, stellt sich die Frage, weshalb man diese bigotten Bio-Shops überhaupt betreten sollte.

Vielleicht schmeckt es ja besser? Unbedingt! Aber leider nur subjektiv. Das liegt daran, dass man sich besser fühlt beim Essen, und dann schmeckt’s gleich doppelt gut. Untersuchungen mit Test­essern ergaben jedoch, dass die Unterschiede nicht herauszuschmecken sind. Wohlgemerkt: Die Unterschiede zwischen Bio- und Nicht-Bio-Lebensmitteln, nicht jene zwischen guten und schlechten Lebensmitteln, solche gibt es nämlich auf beiden Seiten. Aber wie sollte Bio auch den Geschmack beeinflussen? Wie jeder weiß, braucht eine gute Tomate vor allem eines: Sonne. Deshalb schmecken süditalienische Tomaten gut und holländische Treibhaustomaten schlecht. Und wenn wie beim Bio-Produzenten Demeter im Herbst ein Kuhhorn »rhythmisch verrührt« im Boden vergraben wird, dürfte dies kaum positive Effekte auf den Geschmack haben.
Klar ist hingehen: Regional in kleiner Menge angebautes Gemüse, das in geographisch wie klimatisch günstiger Umgebung wächst, schmeckt in der Regel besser und abwechslungsreicher als Gemüse aus Massenproduktion. Tatsache ist aber auch: So schön es wäre, wenn alle sieben Milliarden Menschen mit Delikatessen versorgt werden könnten, so irreal ist es. Viele wären froh, überhaupt irgendein Lebensmittel in die Finger zu bekommen. Es würde auch gar nicht genügend Delikatessen für alle geben. Ohne Massenproduktion ist die Zivilisation nicht mehr denkbar, das trifft auf Socken, Handys und Klopapier, aber auch auf Lebensmittel zu. Auf Bio-Lebensmittel auch.
Daher ist auch die angebliche Erkenntnis der vergangenen Wochen, dass Bio immerhin gut für die Böden, also die Umwelt sei, leider verkehrt. Obwohl genau dies – und nicht etwa der Tierschutzgedanke – die Grundidee des Bio-Landbaus ist. Die »Pflege des Bodens und die Erhaltung seiner langfristigen Fruchtbarkeit« ist zum Beispiel bei Bioland oberstes Prinzip. Für die Herstellung des jeweiligen Produkts mag dies stimmen, aber nicht für das »System Bio«. Würden alle Hühner Europas auf der grünen Wiese herumpicken und scharren, wären ganze Landstriche in kurzer Zeit kontaminiertes Ödland. Um allen 20 Milliarden Nutztiere, die weltweit von Menschen gehalten werden, Auslauf auf der Weide zu bieten, müssten unzählige neue Nutzlandflächen geschaffen werden, was meist nur durch Rodung von Wäldern geschehen kann. Auch die um ein Drittel niedrigeren Erträge des ökologischen Landbaus bedeuten, dass mehr Fläche benötigt wird. Bereits jetzt ist fast ein Drittel der Erde landwirtschaftliche Nutzfläche und ich habe in meiner bisherigen Lebenszeit bereits eine Verdopplung der Weltbevölkerung erlebt.

Also ist Bio wenigstens gut für die Produzenten? Ja, denn Landwirte sind die einzigen, die im Normalbetrieb tatsächlich mit Pestiziden in einer Menge in Berührung kommen können, die gesundheitsschädlich ist. Und die »Naturland«-Bauern düngen organisch mit hofeigenem Dünger und verzichten auf chemisch-synthetischen Pflanzenschutz, nicht zuletzt, um unabhängig von den Produzenten chemischer Pestizide zu bleiben. Vor allem aber müssen sie geringere Mengen produzieren und können trotzdem gut verdienen. Allerdings ist der deutsche Ökobauer mit der Latzhose und der Heugabel in der Hand eher ein Klischee. Weltweit gibt es etwa 1,6 Millionen zertifizierte Bio-Betriebe. Rund 80 Prozent von ihnen liegen in Entwicklungsländern, vor allem Indien, Uganda, Mexiko und Äthiopien. Über 90 Prozent des weltweiten Umsatzes mit Bio-Produkten werden jedoch in Europa und den USA gemacht. Deutschland hat nach den USA den mit Abstand größten Bio-Markt. Der Bio-Apfel aus Argentinien ist 13 000 Kilometer unterwegs, bis er in deutschen Regalen liegt. Ökologisch ist das nicht.
Was die Tierhaltung betrifft, gibt es jedenfalls eine Alternative. Zwar ist dies auch keine systemische Lösung für alle, aber man kann anders als bei Bio sein Gewissen hinsichtlich der Tiere tatsächlich beruhigen. Gerade hat die Jagdsaison wieder begonnen. Da wo im Sommer die Eisdiele ist, zieht bei uns hier im Kiez über den Winter wieder der Laden mit dem Wild ein. Es ist zwar nur ein von Jagdlobbyisten verbreitetes Märchen, dass die Jagd aus Waldschutzgründen notwendig sei. Aber für die Fleischbeschaffung ist sie tatsächlich optimal. In Deutschland werden jährlich rund 30 000 Tonnen Fleisch aus der Jagd auf den Markt gebracht, dazu etwa 1 500 Tonnen Wildfleisch aus den 6 000 deutschen Gattern. Das meiste Wildfleisch kommt jedoch aus großen Gehegen in Neuseeland. Es ist arm an Fett und reich an Eiweißen, Mineralstoffen und Vitaminen. Gesund für den Menschen und besser für das Tier – ein Bio-Siegel hat es nicht.