Der Papstbesuch im Libanon

Papstbesuch im Sündenpfuhl

Der Besuch des Papstes im Libanon beruhigte nur kurzfristig die konfessionellen Konflikte. Die Furcht vor einem erneuten Bürgerkrieg wächst.

Für einen Moment schien es, als seien alle konfessionellen Konflikte vergessen. Ganz Libanon war Papst. Auf dem Weg vom Flughafen in die Beiruter Innenstadt wurden in dem von der islamistischen Miliz Hizbollah kontrollierten Gebiet Willkommensbanner aufgehängt, eine Shia-Delegation wurde beim Besuch von Papst Benedikt XVI. im Präsidentenpalast prominent platziert. Sogar der salafistische Sheikh Salem el-Rafei betonte: »Die Christen sind ein wichtiger Faktor im Libanon, und ich denke, sie haben jedes Recht, enthusiastisch auf den Besuch des Papstes zu reagieren.« Der wachsende Einfluss der Salafisten durch den sogenannten arabischen Frühling komme auch den Christen zugute: »Ich denke, diese Entwicklung ist eine positive für die Christen, insbesondere, da die islamistischen Parteien alle Religionen respektieren.«
Nur einer wollte sich nicht in den Konsens einfügen. Sheikh Omar Bakri, dessen Machtbasis in der umkämpften Stadt Tripoli liegt, forderte die Muslime zu Protesten auf. »Der Papst hat sich für seine Beleidigung des Propheten Mohammed und des Islam, die er 2006 in Deutschland geäußert hat, nie entschuldigt. Was der Papst gesagt hat, egal ob es persönlich gemeint war oder in Form eines Zitates eines byzantinischen Königs, ist ein gewichtiger Grund, sich gegen den Besuch zu stellen.« Doch trotz solcher markigen Sprüche blieben Proteste zunächst aus.
Einer der Höhepunkte des Papstbesuchs war das Jugendtreffen in Bkerke. Vor der pompösen Residenz des maronitischen Patriarchen Bechara Boutros al-Rahi versammelten sich Zehntausende Jugendliche und begrüßten Ratzinger wie einen Popstar. Jenseits von einem Massengebet und Tanzeinlagen mit Techno-Untermalung prangerten die Patriarchen wie auch der Papst den Sündenpfuhl Beirut an. Ob Homosexualität, Drogen oder Pornographie – all das drohe die Christen im Libanon weiter zu schwächen.

Aber die frommen Sprüche passen nicht zum Leben der zumeist jungen Christen. In Stadtteilen wie Hamra oder Gemmayzeh versammeln sich jeden Abend partywütige Christen, zumeist aus der Mittel- oder Oberschicht stammend, um dem Alltag zwischen Konfessionskrieg, Korruption und unsicherer Zukunft zu entkommen. Wodka fließt in Strömen, Ferraris und Porsches fahren im Schritttempo und mit aufgedrehtem Sound durch die engen Gassen. Koks und andere Drogen sind leicht zu erwerben, in den Apotheken wird Viagra freihändig ausgegeben. Mehrere Sexualpartner oder -partnerinnen auf einmal zu haben, ist hier normal. Und trotz oft protziger Kreuz- oder Jesustätowierungen scheinen die Worte der Patriarchen hier schnell vergessen zu sein. »Was bleibt uns denn anderes übrig?« fragt eine junge Libanesin am Rande einer Cocktailbar in Hamra. »Wir wissen doch alle, dass dieser Frieden eine Farce ist. Die Muslime werden immer mehr und warten nur darauf, uns wieder anzugreifen.«
Solche Ressentiments teilen die meisten Christen. Und entsprechend halten alle christliche Parteien erbittert an dem konfessionellen Vergabesystem in der Politik fest und lehnen einen neuen Bevölkerungszensus strikt ab. Zu groß ist die Angst davor, Privilegien sowie Politikerposten an Muslime zu verlieren. Ghina Narfal, eine ältere Christin aus der Oberschicht, fasst diese Stimmung am Rande der Abschlusszeremonie des Papstes zusammen: »Heute haben wir Hoffnung, da der Papst zu Besuch ist. Doch sobald der Papst den Libanon verlassen hat, werden wir keine Hoffnung mehr haben.«
Doch jenseits der christlichen Hochburgen und der straff organisierten Hizbollah gibt es kleinere Gruppen, die eine Veränderung in der libanesischen Gesellschaft einfordern. Firas Taher, ein junger libanesischer Linker, versuchte im Zuge des Papstbesuchs eine Demonstration zu organisieren. Schwule und Lesben, Kirchenkritiker wie säkulare Kräfte sollten kooperieren und ihre Ablehnung der vatikanischen Politik, aber auch der Korruption im eigenen Lande deutlich machen. Die Organisation lief über Facebook. Doch eine Woche vor dem Papstbesuch wurde die Demonstration abgesagt. Zu schwierig war es, einen Konsens zu finden – und mit nur 61 Zusagen blieb die Resonanz äußerst gering. Viele hatten Angst vor der Reaktion der Mehrheitsgesellschaft. Ein Facebook-Nutzer kommentierte auf der Protestseite: »Meint Ihr das wirklich ernst? Die Religiösen werden uns abschlachten!« Firas räumte dann auch ein, dass er Morddrohungen erhalten hatte sowie die Mitteilung, dass solch ein Protest angegriffen werden würde. »Die Veranstaltung wurde aber nicht wegen den Drohungen abgesagt«, betont er, »denn diese Drohungen waren von Anfang an da. Ich habe den Protest abgesagt, weil ich realisiert habe, dass die libanesische Gesellschaft für solch einen Protest noch nicht reif genug ist.«
Auch die meisten Palästinenser, die nach Jahrzehnten im Libanon noch immer ausgegrenzt werden, konnten dem Papstbesuch nichts abgewinnen. Im Gegenteil: Dessen Besuch überschnitt sich mit dem 30. Jahrestag des berüchtigten Massakers von Sabra und Shatila, bei dem christliche Falangisten-Milizen mehrere tausend Zivilisten in den Flüchtlingscamps töteten. »Ich denke, die Christen und der Papst wollen uns erneut demütigen«, meinte ein Palästinenser kurz vor dem Jahrestag. »Eine Entschuldigung vom Papst für dieses Massaker wäre das Mindeste. Aber auch die Muslime und die Hizbollah, die sich stets als Verteidiger unserer Sache aufspielen, helfen uns in keiner Weise. Wir verrotten hier in Armut und ohne jede Möglichkeit, Staatsbürger zu werden. Alle Seiten wollen uns nur für ihre Politik missbrauchen.«
Kaum war der Papst abgereist, änderte sich der Ton bei vielen muslimischen Oberhäuptern. Hassan Nasrallah, der berüchtigte Chef der Hizbollah, nutzte die Empörung über den von einem ägyptischen Kopten in Kalifornien gedrehten Film »Die Unschuld der Muslime«. In Beirut versammelten sich bis zu 100 000 Menschen unter der Flagge der Miliz, um gegen Israel und die USA zu hetzen und ihre Opferbereitschaft für den Propheten Mohammed zu bekunden. Kleinkinder wurden mit Flaggen und Spielzeugwaffen ausstaffiert, und Nasrallah forderte in einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte ein Verbot jeglicher Beleidigung des Islam – weltweit.

Die Skandalisierung des Films kam der Hizbollah gerade recht, ist die Miliz doch in der arabischen Welt in Verruf geraten. Denn während sie die Aufstände in Ägypten und Libyen willkommen geheißen hatte, schwieg sie zu dem Bürgerkrieg in Syrien. Was kaum verwunderlich ist. Die Hizbollah erhält Waffen, Gelder und Training primär aus Syrien und dem Iran. Der Zusammenbruch des Assad-Regimes und die Isolation des Iran würden sie weiter schwächen. Entsprechend versuchte Nasrallah sich bei seinem Auftritt als weiterhin einzigen ernsthaften Verteidiger der Muslime darzustellen und drohte den USA ernste Konsequenzen an, sollte die Regierung den Film nicht verbieten.
Doch die Macht der Hizbollah scheint nicht mehr allumfassend zu sein. In Tripoli versammelte sich ein von Salafisten mobilisierter Mob und zog randalierend durch die Straßen. Und die sich häufenden kurzen Gefechte zwischen Pro- und Anti-Assad-Clans zeigen, dass die Hizbollah sich nicht mehr als die eigentliche Polizeimacht im Land gerieren kann. So sehen viele Bürger des Landes, ob Christen oder Muslime, die Gefahr eines erneuten Bürgerkriegs. »Die Hoffnung auf Frieden schwindet immer mehr«, meint Charibel Daoud, ein katholischer Mönch, der an einer christlichen Schule in Beirut lehrt. »Wir haben zu viele Fraktionen mit ihren eigenen Waffen und Milizen in diesem Land. Jeder wartet nur darauf, dass die andere Seite einen Fehler begeht oder dass Syrien endgültig kollabiert. Denn dann wird auch der Libanon sich einem erneuten Bürgerkrieg nicht entziehen können.«