Ein Porträt der jüdisch-griechischen Sängerin Roza Eskenazi

Roza hat den Blues

Schwere Zeiten, melancholische Lieder: Die Subkultur des Rembetiko aus den zwanziger Jahren wird wiederentdeckt. Mit ihr die ­jüdisch-griechische Sängerin Roza Eskenazi, die auf Youtube eine posthume Karriere macht.

Die griechische Mythologie kennt nicht nur männliche Helden, sondern wird auch von stolzen Hero­inen bevölkert. Auch die Kulturgeschichte des Landes wurde von vielen selbstbewussten Frauen geprägt. Manche, wie die Schauspielerinnen Meli­na Mercouri oder Irene Papas, sind international berühmt geworden. Andere, wie die Schriftstellerin Lily Zográfou, gelten eher als Geheimtipp innerhalb einer literarisch begeisterten Szene. Roza Eskenazi dürfte insbesondere denjenigen ein Begriff sein, die sich für das griechische Rembetiko, die Musik einer fast vergessenen Epoche, interessieren.
Griechenlands Geschichte kann aber nicht nur auf zahlreiche herausragende Frauengestalten zurückblicken, auch die Krisen waren in diesem Land Legion. Griechinnen und Griechen mussten also schon des Öfteren schwere Zeiten überstehen: die Militärdiktatur der Obristen während der Jahre 1967 bis 1974, die Frauen wie Melina Mercouri ins Exil zwang; die deutsche Besatzung der Jahre 1941 bis 1945 sowie der sich anschließende Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Monarchisten. Und zuvor die jahrhundertelange Besatzung durch das Osmanische Reich seit dem Jahr 1453.
Doch das Leben unter osmanischer Besatzung war durch relative Toleranz geprägt, so dass die Besiegten weiter ihren Geschäften und ihrem bisherigem Lebenswandel nachgehen konnten. Zwar waren die Unterworfenen Bürger zweiter Klasse und mussten eine besondere Steuer entrichten, wurden aber in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht so weit Ruhe gelassen, dass sich Teile des Osmanischen Imperiums als Re­fugium für diejenigen Jüdinnen und Juden anboten, die 1492 von den katholischen Königen aus Spanien vertrieben worden waren: In den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, in Alba­nien, Bulgarien und in Griechenland bildeten sich bedeutende jüdische Gemeinden. Und in der jüdischen Community des damaligen Konstantinopel wurde mit Sarah Skinzazi bzw. Roza Eskenazi, wie sie sich später nannte, eine Frau geboren, die für die Kulturgeschichte Griechenlands von zentraler Bedeutung ist.
Roza Eskenazi kam wahrscheinlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Welt. Wahrscheinlich? Oder doch eher zu Beginn des 20.? Die Frage, wie alt die Musikerin Roza Eskenazi wirklich war, als sie am 2. Dezember 1980 in Athen verstarb, ist bis heute nicht geklärt. Wie viele andere Künstlerinnen, die auf das Wohlwollen eines patriarchalisch geprägten Publikums angewiesen sind, deren Attraktivität also stetig taxiert und von tatsächlicher oder vorgeblicher Jugendlichkeit abhängig gemacht wird, hat auch sie sich immer als um mehrere Jahre, möglicherweise auch um mehr als ein Jahrzehnt, jünger ausgegeben und ihr tatsächliches Geburtsdatum verschwiegen.
Als Sarah Skinzazi in Konstantinopel zur Welt kam, hatte die sogenannte Katastrophe von Smyrna sich noch nicht ereignet. Ihre Biographen betonen diesen Umstand, denn noch lebten Griechen und Türken zwar mehr schlecht als recht miteinander, erstere unter der Vorherrschaft der anderen, aber noch hatten die Massaker, zu denen es in Folge des Ersten Weltkriegs kommen sollte, nicht stattgefunden.
Die Katastrophe von Smyrna belastet das Verhältnis von Griechen und Türken bis auf den heutigen Tag. Zwar ist es richtig, dass christliche Armenier und Griechen, sephardische Juden und Angehörige weiterer Minderheiten im Osmanischen Reich unbehelligt leben konnten. Den Niedergang des Osmanischen Reichs aber haben viele von ihnen nicht überlebt. Zu den Opfern zählten zahlreiche Bewohner. Die griechischen und armenischen Bezirke der Stadt Smyrna (das ist das heutige Izmir) wurden am 9. September 1922 angegriffen und von Anhängern der so genannten Jungtürken, der Bewegung des späteren Staatspräsidenten Mustafa Kemal, in Brand gesetzt. Rund 40 000 Menschen kamen ums Leben. Knapp ein Jahr später musste die verbliebene griechische Bevölkerung – mehr als eine Million Menschen – aus Kleinasien geholt und in Griechenland angesiedelt werden, während eine halbe Million Türken Griechenland in Richtung Türkei zu verlassen hatte. 1923 war jeder Vierte auf dem Staatsgebiet des heutigen Griechenlands ein Vertriebener.
Eskenazi lebte zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerem in Saloniki, dem heutigen Thessaloniki. Viele im 15. Jahrhundert aus Spanien und Portugal vertriebene Juden hatten sich in Saloniki angesiedelt, so dass der jüdische Bevölkerungsanteil zeitweise gar 40 Prozent betrug.
Roza Eskenazi war keine Rembete, wie die Flüchtlinge aus Kleinasien in den zwanziger Jahren in Griechenland genannt wurden. Die Rembeten siedelten sich in den Randbezirken der großen Städte an und entwickelten dort ihren Musikstil, dessen große Protagonistin Roza Eskenazi dennoch wurde: Über lange Jahre hinweg – ihre Karriere dauerte von 1913 bis weit in die sechziger Jahre hinein – war sie die Stimme des Rebetiko, des griechischen Blues, der Elend und Verzweiflung zum Ausdruck bringt und von Armut, Drogen und der Sehnsucht nach dem besseren Leben erzählt. Das Rembetiko entstammt den Armenvierteln von Piräus, Thessaloniki und Athen, den Tavernen, Spelunken, Gefängnissen und Bordellen. Er vermischt griechisch-türkische Traditionen mit dem jüdischem Einfluss. Wenn dunkle Männerstimmen unglückliche Lieben, Geldmangel und die Furcht vor dem Tod besingen, erinnert das an Momente des spanischen Flamenco.
Ihre Karriere begann Roza Eskenazi mit Kleinkunstauftritten in Theatern und Cabarets. 1929 machte sie ihre erste Schallplattenaufnahme. Die Platte machte sie zu einer berühmten Frau, nicht nur in Griechenland, nicht nur auf dem Balkan: Auf zwei ausgedehnten Tourneen hat sie ihre Musik in den fünfziger Jahren bis in die USA gebracht und viele Exilgriechen dort zu Tränen gerührt.
Die deutsche Besatzung überlebte Eskenazi dank gefälschter Papiere, sie führte unter einem falschen Namen ein Lokal.
Unter dem Einfluss ihres wesentlich jüngeren Lebensgefährten ist sie offenbar als alte Frau noch zur griechischen Orthodoxie konvertiert.
Angesichts der Krise scheint Griechenland sich wieder auf seine Subkultur und somit auch auf die Musikgeschichte der Armen zu besinnen. Dokumentarfilme und Bücher über das Rembetiko sind in jüngster Zeit erschienen. Roza Ezkenazi ist heute auch ein Youtube-Star. Viele ihrer Lieder, darunter das berühmte, von ihr komponierte »Kanarini Mou Glyko«, wurden ins Netz gestellt. Für westeuropäische Hörer klingen ihre Lieder, die sie in mehreren Sprachen vorzutragen verstand, jedoch eher disharmonisch. Man muss sich in diesen Sound erst hineinhören. Dann aber bleibt man vielleicht dabei.