Brandt, Schmidt und Steinbrück

Der Anti-Schmidt

In dieser Woche jährt sich Willy Brandts Todestag zum 20. Mal. Helmut Schmidt und seinem Schützling Peer Steinbrück ist er dennoch immer noch viel zu lebendig.

Der Sozialist Herbert Frahm ist lange tot. Er starb vor 20 Jahren in Unkel als ehemaliger Bundeskanzler. Der Bundeskanzler Frahm ist aber nicht bekannt. Denn seit er 1934 in die Emigration ging, nannte sich das damalige Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zur Tarnung Willy Brandt. Und als Willy Brandt kennen ihn alle. Insbesondere in Berlin, wo Brandt von 1957 bis 1966 Regierender Bürgermeister war, wird er geradezu verehrt. Er, der nach seiner Rückkehr aus dem norwegischen Exil seinen Decknamen als seinen offiziellen Namen eintragen ließ, trat alsbald in die SPD ein und entfernte sich von seinen früheren linkssozialistischen Ansichten. Allerdings nicht restlos. Dennoch ließ ihn der Bau der Mauer, die in seine Zeit als Regierender Bürgermeister fiel, zu einem vehementen Befürworter der Wiedervereinigung werden. Folglich kam im November 1989 sein Ausspruch »Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört« nicht überraschend. Dass die DDR den Spion Günter Guillaume an seiner Seite platzierte, so dass Brandt 1974 als Kanzler zurücktreten musste, hat ihn den Realsozialismus hassen lassen. Zudem hatte er den sogenannten Radikalenerlass mitzuverantworten, der bis heute für Lehrkräfte und andere Beamte die politische Freiheit einschränkt. Immerhin aber hat Brandt diesen Erlass später als einen großen Fehler bezeichnet.

Denn obschon Brandt in den sechziger Jahren ein eher klassischer Sozialdemokrat geworden war, der versuchte, auch Wähler rechts von der SPD zu umwerben, stand er immer für Aufbruch. Das Plakat mit dem Aufruf »Willy wählen« findet sich noch heute in vielen sozialdemokratischen Parteibüros an der Wand.
Und dies, obwohl Brandt der innerparteiliche Gegenspieler von Helmut Schmidt war, der es Brandt bis heute nicht verziehen hat, dass er politisch links von ihm stand. 1996 schrieb Schmidt über ihr Verhältnis: »Während der Kanzlerjahre Brandts trat eine weitere Abkühlung ein, weil er den neu in die SPD einströmenden akademischen Nachwuchskräften von links nach meiner Meinung zu weit entgegenkam und weil er keinem seiner drei aufeinanderfolgenden Finanzminister ausreichend geholfen hat, überbordende finanzielle Wünsche abzuwehren.«
Kurz: Der Wahlberliner Brandt war dem Hamburger Kettenraucher zu links und zu »unvernünftig«. Genau diese »Unvernunft« jedoch machte Willy Brandt Anfang der siebziger Jahre für viele Linke attraktiv. Er grenzte sich außerdem zeitlebens von der politischen Rechten ab, mit Franz Josef Strauß war er verfeindet, über Heiner Geißler sagte er 1985, dieser sei »seit Goeb­bels der schlimmste Hetzer in diesem Land«.
Es ist unsinnig, darüber zu spekulieren, wie sich der »Ehrenvorsitzende auf Lebenszeit« zur heu­tigen SPD verhielte. Aber man kann eines sicher annehmen: Die SPD wäre, hätte Willy Brandt noch Einfluss, nicht derart derangiert und hätte immer noch zumindest den Anspruch, eine »sozialistische Partei« zu sein.

Das erklärt, warum Peer Steinbrück, der designierte Kandlerkandidat der SPD, keine Bezüge zu Brandt hat. Der hemdsärmelige Steinbrück verteidigt bis heute die »Agenda 2010« der rot-grünen Regierung und machte als Finanzminister der Großen Koalition keine Anstalten, die Politik der Kanzlerin von links zu kritisieren. Stattdessen präsentiert sich Steinbrück als männlicher »Macher« und rechter Sozialdemokrat, der mit flotten Sprüchen wieder einmal »vernünftig« über Deutschland herrschen will. Merkwürdigerweise ist das, was Steinbrück »vernünftig« findet, immer genau das, was der Bundesverband der Deutschen Industrie auch für richtig hält. Wen wundert es da, dass Helmut Schmidt nun Steinbrück unterstützt. Schmidt hofft, mithilfe von Steinbrück vielleicht doch noch über den Mythos Brandt siegen zu können.