Über den Generalstreik in Spanien

Ein Protesttag genügt nicht

Bei der Demonstration gegen die Spar­politik in Madrid kam es unter dubiosen Umständen zu einem Angriff der Polizei. Im Norden Spaniens wurde gestreikt.

Diesmal sind es 40 Milliarden Euro, die eingespart werden sollen. Das kündigte die Regierung der konservativen Volkspartei (PP) am Donnerstag vergangener Woche nach den Beratungen über den Haushalt für das kommende Jahr an. Die jüngste Sparmaßnahme war der Anlass für eine Demonstration in Madrid, zu der vor allem aus dem Umfeld der Bewegung 15M der indignados ausgerufen worden war. Ein Motto lautete »Oc­cupy Parlamento«, das Parlament sollte »auf friedliche Art und Weise«, wie die Organisatoren zuvor immer wieder betont hatten, mit einer Menschenkette umschlossen werden. Das erklärte Ziel der Protestierenden besteht darin, einen »konstituierenden Prozess« in Gang zu bringen, eine sehr vage Formulierung, mit der meist die Forderung nach einer neuen Verfassung und einer »wirklichen Demokratie« verbunden wird.
Friedlich blieb es nicht. Nachdem die Demons­tra­tion, der sich augenscheinlich weit mehr als die von den meisten Medien gemeldeten 6 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angeschlossen hatten, die Polizeiabsperrung am Platz des Neptunbrunnens erreicht hatte, kam es zu Auseinandersetzungen. Auf Filmaufnahmen ist deren Beginn zu sehen: Eine Gruppe Vermummter schlägt mit Fahnenstangen in die Richtung der Polizei, was diese zum Angriff veranlasst. In linken und liberalen Medien wurden diese Szenen anschließend genau analysiert. Weitere Aufnahmen der folgenden Minuten legen die Interpretation nahe, dass Personen, die zuvor mit den Fahnenstangen nach der Polizei schlugen, einige Minuten später auf Seiten der Polizei an Festnahmen beteiligt waren.

Großen Unmut löste auch ein weiteres Video aus, in dem zu sehen ist, wie eine Aufstandsbekämpfungseinheit in den zentralen Bahnhof Atocha eindringt und dort Reisende, Arbeiterinnen, Arbeiter und Pressevertreter angreift. Popularität erlangte unterdessen der Kellner Alberto Casillas, der die Polizei wild entschlossen daran hinderte, seine Bar, in die sich viele Menschen geflüchtet hatten, zu stürmen. »Ich bin für den PP, aber was die Polizei gemacht hat, war ein Exzess«, sagte er der Tageszeitung El País.
Diese und viele weitere Dokumente der Polizeibrutalität sorgen für Entrüstung. Der PP hatte immer wieder einen gewaltsamen Ablauf der Proteste prognostiziert. Bei vielen entstand nun der Eindruck einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Spontan versammelten sich am folgenden Abend rund 10 000 Menschen auf dem Platz des Neptunbrunnens, um gegen die Polizeibrutalität und für die Freilassung der Festgenommen zu demonstrieren. Dort fand zu diesem Zeitpunkt bereits die Abschlusskundgebung einer länger geplanten Demonstration statt, deren Anlass ein eintägiger Generalstreik an diesem 26. September in den nordspanischen Provinzen Baskenland und Navarra war.
Mit dem Generalstreik wollten die linksnationalistischen Gewerkschaften ELA und LAB, die im Baskenland eine breite Basis haben, gemeinsam mit den syndikalistischen Gewerkschaften CNT und CGT sowie weiteren Basisgewerkschaften dem Sparkurs der Regierung entgegentreten. Der Zeitung Diagonal zufolge werten sie den Streik als erfolgreich. Ihrem Aufruf sei breit gefolgt worden. 56 Prozent der Betriebe in der Industrie hätten an diesem Tag nicht produziert, zähle man die Betriebe hinzu, in denen nur eine eingeschränkte Produktion möglich war, komme man auf 71 Prozent. Ähnliche Zahlen wurden für den öffentlichen Dienst und den Transportsektor genannt. Die öffentliche Verwaltung sei vor allem überall dort komplett zum Erliegen gekommen, wo das linksnationalistische Wahlbündnis Bidu die Mehrheit hat. Das Parteienbündnis hatte sich dem Streikaufruf angeschlossen. »Der heutige Generalstreik war ein weiterer Fortschritt, aber wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass wir noch viele weitere Schritte gehen müssen, um unsere Ziele zu erreichen«, resümierte die CNT in einer Presseerklärung.

Im ganzen Land wurden an diesem Tag Solidaritätskundgebungen mit den Streikenden im Norden des Landes organisiert. Aufgerufen hatte ein neu konstituiertes Bündnis der »klassenkämpfe­rischen Alternativgewerkschaften«, in dem sich unter anderem linksnationalistische und syndikalistische Gewerkschaften organisieren. Das erklärte Ziel dieses Bündnisses ist ein unbefristeter Generalstreik in ganz Spanien, der die Sparpolitik beenden soll. Dem Austeritätsregime wird in dem gemeinsamen Aufruf ein auf Solidarität und Basisdemokratie beruhendes gesellschaftliches Modell entgegengestellt.
Die Initiative knüpft an eine Kampagne der syndikalistischen Gewerkschaften CGT, CNT und SO an, die seit dem Sommer 2011 die Notwendigkeit eines unbefristeten Generalstreiks propagiert (Jungle World 25/2012). Auch vereint sind diese Organisationen aber bislang nicht in der Lage, einen solchen Generalstreik durchzuführen. Dafür fehlt ihnen die Massenbasis. Ihr Mobilisierungspotential ist jedoch auch alles andere als irrelevant, wie die großen Demonstrationen während des landesweiten Generalstreiks am 29. März unter Beweis gestellt haben. Auch am Mittwoch vergangener Woche nahmen Tausende Menschen an den Solidaritätskundgebungen teil.
Damit konstituiert sich nun ein zweiter gewerkschaftlicher Block neben dem der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften CCOO und UGT. Diese haben vor einigen Monaten einen »Sozialgipfel« einberufen, an dem sich rund 200 Organisationen beteiligen. Die Hauptforderung ist hier die Durchführung eines landesweiten Referendums über die Sparpolitik der derzeitigen Regierung. Bereits am 15. September wurde diese Forderung auf einer Großdemonstration in Madrid in die Öffentlichkeit getragen.
Am Samstag demonstrierten erneut weit mehr als 10 000 Menschen in der Nähe des Parlamentes und forderten den Rücktritt der Regierung, die sich aber unbeeindruckt gibt, trotz all des Protestes gegen ihre Politik. María Dolores de Cospedal, die Generalsekretärin des PP, sagte am Donnerstag voriger Woche, die Proteste würden ein »ir­reales Bild Spaniens« entstehen lassen.