Der Herbst kommt. Und mit ihm der Federweiße

Es gärt in dir

Federweißer ist ein widerwärtiges, heimtückisches Gesöff. Nicht aus Lust am Genuss, sondern aus Ahnungslosigkeit und Verblendung wird er getrunken.

Federweißer – schon das Wort ist Lug und Trug. Der Bestandteil »Feder« verheißt Leichtigkeit, das »Weiß« suggeriert Harmlosigkeit und Reinheit. Doch der Federweiße ist keineswegs rein. Vielmehr handelt es sich um eine trübe, gärende, beißend riechende Traubensaftplörre, die nicht harmlos und leicht ist, sondern schwer und stechend in den Eingeweiden rumort.
Dennoch sind unzählige Menschen jedes Jahr aufs Neue geradezu euphorisiert, wenn findige Winzer im Herbst ihren aus dem Saft minderwertigen Traubenabfalls gewonnenen und unter Beimengung von Zucker und Hefe zurechtgepanschten, zu gutem Wein nicht taugenden Federweißen anbieten. Sie stürzen sich gläserweise eine Brühe in den Schlund, die in Kanistern, Fässern und Flaschen blubbert wie ein stinkender, eutrophierter Tümpel im Hochsommer. Und sie sind überzeugt, eine Delikatesse zu sich zu nehmen.

Woher rührt die Begeisterung für das abscheuliche Gesöff? Ist es Verblendung oder Ahnungslosigkeit? Nehmen wir zunächst wohlwollend an, es handelt sich um letzteres. Dann wäre es die höchste Pflicht, die Ahnungslosen aufzurütteln und sie vom Konsum abzuhalten – von Genuss kann man nun wirklich nicht sprechen. Angesichts der Begeisterung für den Federweißen, Bitzler, Bremser, Most oder wie die trübe Gärsuppe sonst noch so genannt wird, dürfte nur ein drastisches Mittel helfen: die gnadenlose Abschreckung.
Wer wie ich in einem Weinanbaugebiet aufgewachsen ist, kann von genügend abschreckenden Erlebnissen berichten. Schreckliche Szenen sind mir in Erinnerung, Bilder von Menschen, die ihren Mageninhalt wegen des Kohlensäurereichtums des gärenden Faulsaftes in hohen Fontänen von sich gaben, Wimmerlaute verkaterter Jugend­licher, deren gemarterter Magen-Darm-Trakt sie tagelang zu zittrigen, neben und auf der Kloschüssel dahinvegetierenden Häuflein Elend machte. Solche Dinge geschehen beim harmlosen Verlauf des Konsums von Federweißem.
Doch es kann auch katastrophal ausgehen, wie dieser Vorfall zeigt (Triggerwarnung: Die folgende Schilderung kann bei Menschen mit Federweißertrauma schwere Ekelgefühle hervorrufen): Eines Herbstabends nahm ich in meinem Auto einen motorisch erheblich eingeschränkten Federweißerzombie mit, der an einer Ampel, an der ich anhalten musste, einfach delirierend umgefallen war. Nachdem ich ihn ins Fahrzeug gehoben und seinem Lallen mit großer Mühe eine Straße und eine Hausnummer abgelauscht hatte, wollte ich ihn nach Hause fahren. Während der Mann jedoch besinnungslos und wie gelähmt neben mir saß, arbeitete die gärende Brühe in seinen Eingeweiden derart tückisch weiter, dass der Hilflose kurz vor der Haustür nicht mehr zurückhalten konnte, was da in ihm brodelte, und es sich aus ihm heraus flüssig und grün durch die Hose hindurch auf das Polster ergoss. Es brauchte Monate und etliche Flaschen Fleckenentferner und Parfüm, um den Geruch und den Fleck aus dem Sitz zu entfernen.
Es dürfte deutlich geworden sein: Federweißer ist ein mieses, heimtückisches Getränk. Seine Wirkung hat nichts von der angenehmen und allmählich eintretenden Regression, die andere alkoholische Getränke gewähren können. Stets schlägt er unbarmherzig zu und degradiert den Menschen zu einem Mitleid erregenden Gärbehälter. Da ihm ordentlich Hefe zugesetzt wird, macht er noch dazu Pickel.

All das ist bekannt. Und dennoch ist die Begeisterung über das trübe Zeug jedes Jahr groß. Deshalb liegt die Vermutung nahe: Es ist Verblendung im Spiel. Ein weiteres Indiz hierfür ist die Art und Weise, wie Federweißer gern konsumiert wird: im Zuge von Zusammenrottungen mit Namen wie »Bitzlerfest«, »Bremserfest« und »Federweißerfest«. Dort herrscht dann eine mit großem Humpatäterä beschallte, brutale Geselligkeit: Der stierende Erwin fasst der Heidi von hinten an die Schultern, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, sich mit anderen Erwins über die Übel der Welt auszulassen, also über Fußballtrainer, Ausländer und Heidi. Wenn es schlecht läuft, finden die anwesenden Jungmänner einen Auswärtigen oder Brillenträger zum Verprügeln, noch bevor sie sich übergeben müssen. Wenn es einigermaßen glimpflich abgeht, vermöbeln sie sich einfach gegenseitig. Es geschehen also Dinge wie auf jedem Wein-, Bier- oder Wurstfest – nur eben in gesteigerter, noch irrsinnigerer Form. Denn so wie der Federweiße in den Eingeweiden brodelt, gärt er auch im Kopf.
All dies lässt nur ein Urteil zu: Federweißer ist das Gesöff der Ahnungslosen und Verblendeten. Wer ihn trinkt, statt ihn einfach wegzukippen, hat sich Magen-Darm-Beschwerden und schlechte Haut redlich verdient.