Italiens Rechte in der Krise

Gedrängel am Trog

Nochmal mit Silvio Berlusconi? Die italienischen Rechten streiten über die Bündnisse für die bevorstehenden Wahlen.

Mario Monti stellt sich nicht zur Wahl. Vergangene Woche sagte er in New York in einem CNN-Interview, dass er im Frühjahr 2013 nicht für das Amt des italienischen Ministerpräsidenten kandidieren wolle. Gleichzeitig stellte er aber klar, dass er »im Falle außergewöhnlicher Umstände« für ein zweites Mandat bereitstände.
Damit kündigt sich an, dass der vermeintliche Ausnahmezustand, der ohne vorausgehende Neuwahlen im vergangenen Herbst zu seiner Ernennung führte, fortdauern soll. Denn sechs Monate vor den Parlamentswahlen herrschen in Italien tatsächlich außerordentlich instabile politische und institutionelle Verhältnisse. Zum einen konnten sich die Parteien bisher auf kein neues Wahlgesetz einigen, sollte jedoch nach dem alten gewählt werden, wird es voraussichtlich keine klaren Mehrheitsverhältnisse geben. Zum anderen aber ist noch völlig offen, welche Parteien mit welchen Kandidaten überhaupt zur Wahl antreten.
Die Parteien der Rechten und der Mitte befinden sich seit Silvio Berlusconis Rücktritt in der Krise. Mit dem Scheitern der rechten Regionalregierung im Latium werden die Auflösungserscheinungen der einstigen Mehrheitspartei Popolo delle Libertà (PdL) offensichtlich. Renata Polverini, die Präsidentin der zweitgrößten italienischen Region, musste Anfang voriger Woche ihren Rücktritt erklären, nachdem bekannt geworden war, dass ihre Fraktionsmehrheit unter dem Vorwand der Wahlkampfkostenrückerstattung und der »Unterstützung politischer und kultureller Aktivitäten« unkontrolliert Millionenbeträge aus dem Regionalhaushalt abgezogen hatte.
Gegen den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der PdL, Franco Fiorito, leitete die Staatsanwaltschaft Rom ein Ermittlungsverfahren ein. Als Vorsitzender der Haushaltskommission soll er nicht nur für die Verschwendung von Steuergeldern für teure Reisen, Luxusautos und großzügige Abendessen verantwortlich sein, sondern darüber hinaus 800 000 Euro aus der Parteikasse auf seine Privatkonten verschoben haben.

Aufgedeckt wurde die regionale Misswirtschaft nicht etwa von der Opposition, sondern infolge von Streitigkeiten innerhalb des PdL. Dass aus den beiden Parteien Forza Italia (FI) und Alleanza Nazionale (AN) nie ein vereintes »Volk der Freiheiten« geworden ist, zeigt sich nirgendwo deutlicher als im Latium. Die Provinzen südlich von Rom waren seit jeher ein Zentrum für die Anhänger der faschistischen Nachfolgepartei MSI und später eine Hochburg der postfaschistischen Alleanza Nazionale. Seit einigen Jahren sind sie zu einem Laboratorium für rechtsextreme Koalitionen geworden.
Sowohl die Regionalpräsidentin Polverini als auch der römische Oberbürgermeister Gianni Alemanno verdanken ihre Wahlerfolge einem breiten Bündnis rechtsextremer und offen neofaschistischer Parteien und Gruppierungen (Jungle World 36/2012). Fiorito stammt aus einem dieser traditionell rechten Wahlkreise. Dass er just im Juli, als einige nationale PdL-Politiker öffentlich eine Wiederbelebung der Forza Italia forderten und Berlusconi erstmals seine erneute Kandidatur in Aussicht stellte, den Fraktionsvorsitz an einen Parteikollegen des FI-Flügels verlor, kam einer innerparteilichen Kriegserklärung gleich. Die Mehrzahl der einstigen AN-Anhänger ist strikt gegen eine Rückkehr Berlusconis in nationale Spitzenämter.
Für die parteiinterne Entmachtung und die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft rächte sich Fiorito nun an Carlo De Romanis, der gegen ihn intrigiert hatte, mit der Veröffentlichung von Fotos einer Motto-Party, die der junge Fraktionsvizevorsitzende vor zwei Jahren auf Parteikosten veranstaltet haben soll. Die Fotos zeigen De Romanis als Odysseus verkleidet, umringt von Männern mit Schweinemasken und jungen Gladiatoren, die mit Frauen in luftigen Gewändern vor antiken Säulen posieren.
Zu einer Zeit, in der im Rahmen der Austeritätspolitik Sozialausgaben gekürzt und gleichzeitig Steuern und Gebühren für öffentliche Dienstleistungen erhöht werden, erregten die Fotos wütende Empörung und bitteren Spott. Das inszenierte Gelage wurde in den Medien mit einer Episode des antiken Romans »Satyricon« in Verbindung gebracht, in der der neureiche Emporkömmling Trimalchio ein Gastmahl ausrichtet, das seine Zugehörigkeit zur kulturellen und politischen Elite bezeugen soll und schließlich doch nur seine dummdreiste Geschmacklosigkeit demonstriert. Die moralische Erregung verstellt jedoch den Blick auf die politischen Folgen dieses Skandals.

Die intellektuelle Rechte hat dem griechischen Mythos längst eine ganz eigene politische Bedeutung gegeben. Unter dem Titel »Rückkehr nach Ithaka« diskutieren ihre Vertreter seit dem Sommer vorigen Jahres in dem Online-Magazin tota­lità.it über die Notwendigkeit einer Rückkehr zu alten Traditionen. Der neurechten Mythologie zufolge verfiel die historische Rechte Anfang der neunziger Jahre, als sie nach jahrzehntelanger antifaschistischer Ächtung in der Koalition mit Berlusconi plötzlich salonfähig wurde und Regierungsämter übernahm, in einen Rausch. Ebenso wie sich Odysseus’ Reisegefährten von der Magierin Kirke hatten verlocken lassen und zur Strafe in Schweine verwandelt worden waren, hätten sich viele Kameraden von der Macht verführen lassen und schließich in Berlusconis Einheitspartei ihre politischen Ideale verraten.
Nach dem Scheitern der Regierungskoalition im Latium sehen sich die Rechtsintellektuellen in ihrer Forderung nach einer rechten Neugründung bestätigt, die Altfaschisten appellieren unverhohlen an die Wiederbelebung der neofaschistischen Ideologie. In der postfaschistischen Tageszeitung Il Secolo d’Italia und auf einschlägigen Internetforen wird der 41jährige Fiorito verleumdet, er sei eine »anthropologische Katastrophe«, die die unglückliche Irrfahrt des PdL verschuldet habe. Voller Nostalgie gedenken dort alte Veteranen des MSI der siebziger Jahre, als die Jungen noch neofaschistische Schlägertypen waren, die für ihre ideologische Überzeugung den Heldentod starben.
Im Latium könnte die Partei La Destra kurzfristig profitieren und das rechtsextreme Lager für sich gewinnen. Ob sich die Ex-Faschisten auch auf nationaler Ebene von der bürgerlich-liberalen Rechten abspalten und eine Rechtspartei gründen, die das nationalkonservative mit dem klerikalfaschistischen und neofaschistischen Lager vereint, wird nicht zuletzt von den politischen Entscheidungen Berlusconis abhängen. Zur Diskussion steht eine »einvernehmliche Trennung« der Rechten in drei unabhängige Parteien und ein »restyling« früherer Wahlbündnisse.

Doch die Schaffung eines neuen Labels, das eine bürgerlich-christliche, eine freiheitlich-liberale und eine postfaschistische Rechtspartei in einer Föderation vereinen würde, birgt das Risiko einer Wahlniederlage. Deshalb könnte sich Berlusconi mit seiner angeschlagenen Partei PdL für die Unterstützung eines »moderaten Zentrums« entscheiden, das sich bisher weder als Partei noch als Koalition konstituiert hat, zusammen aber jene Mehrheit bildet, die Monti für eine zweite Amtszeit berufen möchte. Für eine postfaschistische Neugründung bliebe dann die Rolle einer radikalen Oppositionspartei.
Die Parteien des Mitte-Links-Lagers haben diesem Szenario wenig entgegenzusetzen. Im Latium sind sie durch die Affäre diskreditiert, weil sie die Verschwendung öffentlicher Gelder stillschweigend mitgetragen haben, und auf nationaler Ebene droht nach Montis Vorstoß der zögerliche Versuch, eine sozialdemokratische Koali­tion für eine eigene politische Mehrheit zu bilden, endgültig zu scheitern.