Der Herbst kommt. Und mit ihm der Federweiße

Wandlungsfähig und offen

Der Federweißer tut, was er will. Das ist zwar nicht praktisch für den, der ihn trinken will, aber sein rebellischer Charakter ist vorbildlich.

Bei meiner ersten Begegnung mit diesem vielfach angepriesenen Getränk war ein Einkaufskorb im Spiel, also eines dieser extrem unhandlichen, scheußlich anzusehenden geflochtenen schweren Dinger, die nur theoretisch ein guter Ersatz für Plastiktüten oder Stoffbeutel (haben jetzt eigentlich wirklich alle dieses weiße Jungle World-Dingens?) sind, rein praktisch jedoch als gefährlicher Gegenstand verboten gehören. Der fragliche, mit rot-weiß gepunktetem Stoff ausgelegte Korb sollte jedoch nicht dazu kommen, sich in seine spitzen Einzelweidenruten aufzulösen und die Oberschenkel von zu dicht vorbeilaufenden Passanten oder gar die seiner Besitzerin aufzuspießen. Das Ende seines jungen Lebens begann damit, dass im ört­lichen Supermarkt die Federweißer-Saison eingeläutet wurde, gemeinsam mit der dazugehörigen Werbekampagne. Die lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Endlich da, ganz toll, schmeckt super, mal was anderes und dazu noch günstig, sofort kaufen, und zwar alle, sonst ist es nämlich zu spät.
Na dann. Rund eine halbe Stunde später sollte sich herausstellen, dass es eine ziemlich gute Idee gewesen wäre, den Hinweis auf dem Etikett »Flasche nicht legen« ernst zu nehmen. Denn natürlich war fast der gesamte Federweißer nicht nur ausgelaufen, sondern hatte mit den übrigen Korbbewohnern, nämlich unter anderem einem Brot, Brausepulver (echt wahr!) und einer Zeitung eine völlig neue Art von Pappmachee gebildet, die zumindest im Anfangsstadium noch flüssig genug war, um aus den Korbritzen herauszutropfen und einen kleinen Matschsee im Kofferraum zu bilden.

Um es kurz zu machen: Der Korb war hin, und mit ihm auch der eher klägliche Versuch, eine ordentlich ausgerüstete Einkäuferin zu werden, wofür man dem Federweißer nicht genug danken kann. Natürlich konnte der gerade in Gärung übergegangene Traubenmost, der in der Schweiz den schönen Namen Sauser trägt, an diesem Tag nicht probiert werden, obwohl sich in der Flasche noch ein Rest befand. Die trübliche Flüssigkeit sah aber nicht verzehrfähig aus, sondern so, als ob sie weitgehend aus Brausematsch bestünde.
Ein paar Jahre vergingen, bis ich wieder einmal darauf stieß, wie im Lebensmitteleinzelhandel auf großen, sehr orangefarbenen DIN-A-4-Zetteln die Ankunft des Federweißers beworben wurde. Ankauf und Transport gelangen diesmal ohne jeden Zwischenfall. Und so konnte er endlich probiert werden. Tja. Der sehr süße Nochnichtwein schmeckt jedenfalls deutlich besser als vieles, was sonst noch so in Flaschen gefüllt wird, also zum Beispiel die ganze nachgemachte Coca Cola, deren Abscheulichkeit in dieser Zeitung noch nicht hinreichend angeprangert wurde, aber das ist ein anderes Thema. Wir waren beim Federweißer, der traditionell zu eigenartigen Gerichten serviert wird, wie zum Beispiel, passend zum Helmut-Kohl-Revival, Pfälzer Saumagen, das ist grob in den eigenen Magen gestopftes und dann in heißem Wasser gegartes Schwein (sagt Wikipedia).

Außerdem wird gern Zwiebelkuchen zum Federweißer gereicht. Nun sind Zwiebeln an sich schon ziemlich eklig, jedenfalls Gemüsezwiebeln, sie aber noch heimtückisch zu Gebäck zu verarbeiten, ist schon sehr, sehr fies. Wahrscheinlich werden die Federweißer-Beilagen genau danach ausgesucht, dass am Ende das weinähnliche Getränk das Beste am Gesamtmenü ist – ein echt cleverer Trick. Vielleicht sind die Geschmacksnerven von notorischen Sauser-Liebhabern aber durch das jahrzehntelange Bombardement mit prickelnder Süße auch nur so weitgehend abgestorben, dass ihnen weder totes Schwein im eigenen Verdauungsorgan noch Kalorien mit Zwiebeln irgendetwas ausmachen. Und immerhin gibt es da ja auch noch die Maronen, die nicht ganz so oft zum Federweißer serviert werden, aber echt gut schmecken.
Warum, trotz aller Einwände, Federweißer ein unbedingt verteidigenswertes Getränk ist? Nun: Alles, was dazu geeignet ist, den Weidenkorb-Terror (auch den mit rot-weißen Punkten natürlich) zu unterbinden, ist per se gut. Und Federweißer darüber hinaus noch deswegen, weil man ihn dann trinken sollte, wenn er noch so eine Art Traubenlimo ist, also ganz wenig Alkohol enthält und nicht zu allzu schlimmen Kopfschmerzen am nächsten Tag führt. Und am allerbesten ist ja eigentlich, dass es mit ihm ein Getränk gibt, für das noch niemand eine idiotensichere Verschlusstechnik erfunden hat, die man dann doch wieder nur unter Inkaufnahme schwerer Verletzungen aufbekäme. So kann der Federweißer, wenn man ihn nicht artgerecht hält, noch heute nach Herzenslust das tun, was er anscheinend am liebsten macht: auslaufen und seine Umgebung versauen.