Ein Outing wäre ein Fortschritt

Echte Kerle braucht das Land

Ein homosexuelles Outing prominenter Bundesligaspieler wäre ein großer Fortschritt. Ein Plädoyer für größtmögliche Offenheit.

Es mag sein, dass die Last, die der erste offen schwule Bundesligaspieler zu tragen hätte, besonders groß wäre. Ja, dass er im Grunde ein Akteur vom Kaliber eines Müller, Gómez oder Reus sein müsste, um von Anfang an jede homophobe Reaktion auf dieses Outing an sich abprallen lassen zu können: Kein Spieler mit geringerer Prominenz hätte die Besorgnisapparate, die die wichtigste Sportart des Landes umstellen, auf seiner Seite: also den Kicker, die Bild-Zeitung, den Deutschen Fußball-Bund und das Fernsehen (ARD, RTL und so weiter). Sie allein könnten garantieren, dass aus einem performativen Selbstausdruck kein voyeuristisches Spießrutenlaufen würde. Denn, nicht wahr, selbst die Bundeskanzlerin erklärte jüngst, es sei eigentlich an der Zeit, dass sich auch in diesem für heterosexuell-männliche Projektionen so wichtigen Milieu einer als homosexuell erklärt.
Richtig ist doch: Fußball ist eine Rekrutierungsmaschine erotischer Blickformen, die das Homosexuelle ausgrenzt und das Homosoziale um­so mehr feiert. Fußball inszeniert schon, man schaue sich nur Torjubelszenen an, durch die Dramatik, die durch die Regeln selbst angelegt ist, eine Konkurrenz, die Männer einander so nah wie sonst nie im heterosexuellen Leben bringt. Schwules stört nur, wenn man phantasmatisch mitdenkt, dass die Schwelle zum Schwulsein beim Duschen, Jubeln und Feiern körperlich so niedrig sei. Im Fußball lebt also die Unterstellung, dass man möglichen Grenzverletzungen (zum explizit Homosexuellen) Einhalt gebieten müsse. Es darf nicht sein, so suggeriert die bisherige Inszenierung, dass ein Spieler auf der Tribüne statt seiner Freundin oder Frau seinen Lebensgefährten, Mann oder Freund zu sitzen hat. Fußball lebt sozusagen von der Phantasie, dass da etwas sein könnte, ließe man die Zügel locker.

Was man dagegen braucht, ist also einer, der diesem gewaltigen dramatischen Druck standhalten könnte. Der wie ein klassischer Macker einfach sagt: Ich bin, wie ich bin, und wem ich ans Gemächt gehe, geht nur mich und den an­deren was an. Einer, der sich des Dramas bewusst ist.
Jetzt zu sagen, ein Outing trage zur Stigmatisierung bei, verkennt das Potential eines solchen Bekenntnisses. Hinter eine Nichtlüge kann niemand zurück – so wie etwa die afroamerikanische Bürgerin Rosa Parks vorher wusste, was sie tun würde, wenn sie im öffentlichen Omnibus Platz nimmt, wo dies nur weißhäutigen Passagieren gestattet ist. Parks wusste, was sie an aufwühlenden Gefühlen provozieren würde – obwohl doch auch sie sich hätte denken können: Was soll’s, komme ich doch da zum Sitzen, wo es mir erlaubt ist. Auch sie hätte meinen können: Was lade ich mir den Stress auf, das Catwalking auf öffentlichen Diskurspfaden, all die Talkshows und People-Magazine mit ihren Wünschen nach Home­stories. Und so weiter und so fort!

Aber so sehr vor allem wahr ist, dass ein Coming-out nur deshalb für die allermeisten Schwulen und Lesben so dramatisch ausfällt, weil es als Drama (mit möglicherweise tragischem Ausgang) behandelt wird, so wahr ist auch, dass homosexuelles Begehren nur begrenztes Potential für ein persönliches Drama birgt. Man könnte sagen: Psychisch ist ein zunächst inneres Outing vor allem eine Absage an die Erwartungen der Eltern und ein Konflikt mit der Konstruktion, nicht derjenigen sexuellen Orientierung zu frönen, der man seine Geburt verdankt. Aber das könnte ein kleiner Konflikt sein – so wie es allenfalls ein minimaler Konflikt sein müsste, als Fußballer unversteckt schwul zu sein.
Es braucht Männer, die, in klassischen Worten, Manns genug sind, ihre Homosexualität nicht zu verschwiemeln oder zu verleugnen. Echte Kerle scheuen sich nicht. Sie könnten den Beweis dafür antreten, dass es, wie so viele Linke und Liberale inzwischen fälschlich sagen, gar nicht so schlimm sei, so zu sein. Aber die Heucheleien von Linken und Alternativen und ihren Wünschen nach möglichst diskreter Behandlung von sexuellen Fragen sind ein anderes Thema.
Sagen wir: Diskretion schadet allen. Am ehesten natürlich all jenen, die ihr Schwulsein unter der Decke halten – sorry für diesen Kalauer! –, aber auch jenen, die im Homosexuellen nichts als eine weicheiige Dramaqueen erkennen wollen. Müssen sie nicht, und zwar gar nicht!

Der Autor ist Redakteur der Taz und wird, nach etlichen Selbstbekenntnissen, die aber gleichwohl unwahr gemeint sein könnten, in der öffentlichen Arena gewöhnlich für schwul gehalten. Es störte ihn nie.