Die griechische Linke und die Angriffe von Nazis auf Migranten

Hand in Hand mit der Polizei

Während viele griechische Linke wieder auf eine institutionelle Lösung der Krise hoffen, greifen Neonazis Migranten an.

Nach dem Generalstreik ist vor dem Generalstreik. Am Montag vergangener Woche kündigten die Gewerkschaftsverbände des Privatsektors (GSEE) und der Staatsbediensteten (ADEDY) an, dass ein weiterer 24stündiger Streik noch für Oktober geplant sei. Am 26. September, dem Tag des letzten Generalstreiks, demonstrierten in Athen mindestens 150 000 Menschen gegen die Sparpolitik. Die Zahl der Teilnehmenden mag groß erscheinen, doch wenn man die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre in Griechenland betrachtet, kann man diesen Streik nicht als Erfolg bezeichnen. Frühere Proteste, etwa im Oktober 2011 und Februar 2012, waren viel größer. Damals war die Stimmung auch eine andere, denn es gab eine Massenbewegung, die wenig mit der institutionellen Politik zu tun hatte und unabhängig vom Einfluss der etablierten Linken war. Diese Bewegung, obwohl sehr heterogen, artikulierte damals noch den Wunsch nach einem radikalen sozialen Wandel.
Von dieser Stimmung war beim letzten Generalstreik nichts mehr zu spüren. Viele Menschen in Griechenland scheinen derzeit nur darauf zu warten, dass die Regierung, die seit drei Monaten im Amt ist, bald stürzt, dass bald Neuwahlen stattfinden und dass die »Koalition der radikalen Linken«, Syriza, der nächste Wahlsieger wird. Diese Situation könnte als Beginn einer neuen politischen Phase bezeichnet werden. Es hat allerdings eher den Anschein, dass viele Menschen nach fast zwei Jahren Demonstrationen, Streiks und Aktivismus frustriert sind und wieder auf eine institutionelle Lösung hoffen.
Am Tag des Generalstreiks gab es drei Orte, an denen sich jeweils die verschiedenen Segmente der griechischen Linken versammelt haben. Die außerparlamentarische Linke und die Anarchisten trafen sich wie üblich vor dem Archäologischen Museum, die kommunistische Gewerkschaft Pame hatte ihren Treffpunkt am Omonia-Platz und die Gewerkschaftsverbände sowie Syriza am zentralen Platz Pedio tou Areos, wo sich die Büros der GSEE befinden.
Die Demonstration dauerte wenige Stunden, und abgesehen von einigen Molotow-Cocktails, die von Anarchisten geworfen wurden, und der Tränengaswolke, die sich anschließend über die Stadt legte, passierte nicht viel. Bekannte Bilder: die sinnlose Gewalt einiger Anarchisten und die griechischen Flaggen vieler linker Patrioten. Auch die neonazistische Chrysi Avgi, die derzeit versucht, sich als Partei der Arbeiter zu profilieren, hatte ihre Anhänger dazu aufgerufen, am Streik teilzunehmen und die griechische Flagge zu schwenken.

Die Repressalien hatten an diesem Tag bereits vor Beginn der offiziellen Demonstration angefangen. Die Taktik der Polizei besteht darin, Protestierende ohne Grund festzunehmen, noch bevor sie den Treffpunkt erreichen. Dies betraf 129 Personen, die nach der Demonstration wieder freigelassen wurden. Die Namen und Fotos von neun während der Demonstration Festgenommen wurden sofort von der Polizei bekanntgegeben und von Massenmedien wie Mega Channel verbreitet, ein Vorgehen, das auf die soziale Stigmatisierung politischer Aktivisten zielt.
Vor allem die spektakulären Bilder der Kämpfe zwischen Anarchisten und Polizei gingen auch diesmal um die Welt. Das ist allerdings nur ein Teil der griechischen Realität. Denn in Athen und in anderen Städten gibt es eine andere Realität, die aus täglichen rassistischen Attacken der Neonazis besteht. Am Abend des Generalstreiks begab sich eine Gruppe von Einwohnern im Stadtteil Kipseli zu einem sozialen Zentrum am Amerikis-Platz, in dem sich Migranten aus Tansania treffen, und forderte die Anwesenden auf, das Haus und das Viertel zu verlassen. Nach diesem ersten »Besuch« tauchten in der folgenden Nacht gegen ein Uhr rund 80 Neonazis von Chrysi Avgi auf, die gemeinsam mit den Anwohnern die Migranten dazu aufforderten, die Gegend zu verlassen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich rund zehn Migranten aus Tansania in dem Gebäude. Die griechischen »Besucher« riefen die Polizei, die den Vorsitzenden der tansanischen Community festnahm. Auch die anderen Migranten wurden eine Weile auf der Polizeistation festgehalten. Als das Gebäude mitten in der Nacht leerstand, kamen die Neonazis wieder und verwüsteten das Zentrum.
Am Dienstag voriger Woche organisierte eine Gruppe Antifaschisten aus Solidarität mit den Migranten aus Tansania eine Motorrad-Demons­tration durch das Athener Stadtzentrum. Sie wurde von der Polizei angegriffen, es gab mehrere Verletzte, 15 Personen wurden festgenommen. Einige von ihnen berichteten nach ihrer Freilassung von Misshandlungen. Bei mindestens einem der Festgenommenen gibt es Anzeichen dafür, dass die Polizei eine Taser-Waffe benutzt hat. Den Antifaschisten war es immerhin gelungen, einige Neonazis in dem Viertel Agios Panteleimonas ausfindig zu machen und eine rechte Demonstration dort zu verhindern.

Auch außerhalb Athens eskaliert die Situation, denn in anderen Städten treten die Neonazis ebenfalls immer offensiver auf. Am 30. September organisierte Chrysi Avgi eine Demonstration in der Kleinstadt Trikala in Thessalien, um die Eröffnung eines Parteibüros zu feiern. Hunderte nahmen daran teil. In Volos fand eine Demons­tration vor dem Parteibüro von Chrysi Avgi statt. Dort gab es Proteste von Antifaschisten. Panagiotis Iliopoulos, ein Abgeordneter von Chrysi Avgi, zog sogar eine Pistole. Am Ende griff die Polizei ein und nahm zwölf Personen von beiden Seiten fest. Auf der Polizeistation sollen die Beamten angeblich einen Augenzeugen daran gehindert haben, gegen Iliopoulos Anzeige zu erstatten.
Die willkürliche Gewalt nimmt kein Ende. Die griechische Presse berichtet kaum darüber, und internationale sowie linke Medien beschränken sich oft auf die spektakulären Bilder der militanten Straßenkämpfe. Aber jenseits des Riot-Spektakels herrschen in Griechenland Zustände, die viele als bürgerkriegsähnlich bezeichnen und die in Zukunft auch in anderen europäischen Ländern drohen könnten.

Aus dem Englischen von Federica Matteoni