Die blockierte politische Debatte in Israel

Neid auf die USA

Die politische Debatte in Israel ist blockiert. Benjamin Netanyahu hat sich dem Dialog mit der Gesellschaft in entscheidenden Fragen konsequent entzogen.
Von

Zwei wichtige Wahlkämpfe konkurrieren derzeit um die Aufmerksamkeit israelischer Bürgerinnen und Bürger. Seit sich die Knesset am 8. Oktober aufgelöst hat und Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die Parlamentswahlen – die ursprünglich im Oktober 2013 abgehalten werden sollten – auf kommenden Januar vorgezogen hat, hat das Interesse für den Wahlkampf in den Vereinigten Staaten schlagartig abgenommen. Ein Vergleich der beiden Wahlkämpfe kann aber nützlich sein, um die politischen Verhältnisse in Israel zu verstehen.
Die US-amerikanische Demokratie ist ein merkwürdiges Phänomen: Dort scheint man die Notwendigkeit einer linken Partei noch nicht realisiert zu haben. Stattdessen gibt es zwei Parteien, die sich in ihrer Politik kaum voneinander unterscheiden. Und dennoch: Die Debatten zwischen den beiden Kandidaten bieten ein eindrucksvolles Bild. Selbst wenn sie mit Klischees und politisches Versprechen um sich werfen, verstehen sie offenbar die Notwendigkeit, die Menschen anzusprechen und ihnen politische Alternativen anzubieten.
Die politische Debatte in Israel ist das genaue Gegenteil davon. In den vergangenen drei Jahren hat Netanyahu es vermieden, sich mit einigen der zentralen Fragen auseinanderzusetzen, die die Zukunft Israels betreffen. Der Ministerpräsident hat nie die Absicht gezeigt, den Friedensprozess mit den Palästinensern voranzutreiben, und schwieg, als Außenminister Avigdor Liebermann in einer Rede vor den Vereinten Nationen im September 2010 sagte, Frieden sei in absehbarer Zukunft nicht zu erreichen. Netanyahu ignorierte das Problem der Asylsuchenden aus afrikanischen Ländern, und seine Regierung unternahm nichts, als die rassistische Gewalt gegen Migranten eskalierte, die auch von Mitgliedern seiner Koalition verbal gefördert worden war. Schließlich ignorierte Netanyhau die Hunderttausenden Menschen, die im vergangenen Jahr für soziale Gerechtigkeit demons­trierten.
Sich dem Dialog mit der Gesellschaft und den Medien zu entziehen – abgesehen von Israel Hayom, einer kostenlosen Tageszeitung, die von Sheldon Adelson herausgegeben wird, der unter anderem auch Mitt Romney sponsert –, ist das eine. Etwas anderes ist es aber, mit der Entscheidung, Neuwahlen abzuhalten, die Knesset zu übergehen. Anders als viele israelische Wählerinnen und Wähler hat Netanyahu ein gutes Gedächtnis. Das letzte Mal, als er die Likud-Partei zu Wahlen führte, nachdem er mehrere Jahre Finanzminister gewesen war, bekam die Partei nur zwölf Abgeordnete (was zehn Prozent der Mandate in der Knesset entspricht). Netanyahu weiß auch, dass er Ende kommenden Jahres wohl keine Wahl gewinnen würde, wenn die parlamentarische Debatte über das Haushaltsgesetz jetzt stattfände. Denn dieses Gesetz wird eines sein, das ihn das Amt kosten könnte. Derzeit muss Netanyahu keine wirkliche Konkurrenz fürchten. Weder Shelly Yachimovich von der Arbeitspartei noch TV-Star Yair Lapid haben bisher eine Beteiligung an einer Koalition unter Netanyahu ausgeschlossen. Aus israelischer Perspektive kann man die US-amerikanischen Wählerinnen und Wähler nur beneiden. Barack Obama mag viele seiner Anhängerinnen und Anhänger enttäuscht haben, er steht trotzdem für eine glaubwürdige Alternative zu seinem rechtskonservativen Gegner. Eine solche Alternative ist genau das, was in der israelischen Politik derzeit fehlt.
Übersetzung: Federica Matteoni