Das Urteil im Piraten-Prozess

Havariertes Verfahren

Im Piraten-Prozess vor dem Hamburger Landgericht wurde das Urteil gesprochen. Für viele bleibt die Rechtsmäßigkeit des Verfahrens jedoch fraglich, Entlastungszeugen waren nicht zugelassen.

Die Begründung des Urteils dauerte vier Stunden – fast genauso lang, wie das deutsche Containerschiff Taipan Anfang April 2010 in der Hand der Angeklagten war, bevor die niederländische Marine es – nach Absprache mit der Bundesregierung – stürmte und die 15köpfige Besatzung befreite. Trotz ihrer Länge waren die Ausführungen des Richters nicht überzeugend. Die mangelhafte Erfahrung in grenzüberschreitender Arbeit, zumal in Somalia, die Überforderung in Sachen Weltjustiz sowie die Grenzen des Gesetzes, an die das umstrittene Verfahren von Anfang an gestoßen ist, hat das Landgericht Hamburg mit wenigen Worten weggewischt oder sie zum Nachteil der Angeklagten ausgelegt. Zudem konnte den einzelnen Männern keine konkrete Tatbeteiligung nachgewiesen werden – nicht zuletzt deshalb, weil die niederländische Marine keine Spuren gesichert hatte. Das ist, nebenbei gesagt, auch nicht deren Aufgabe.
Der Richter verwies auf die »Mithaftung« aller zehn Somalier. Sie seien an Bord der Taipan gestellt worden und hätten zuvor das Schiff für wenige Minuten in Richtung Somalia gesteuert, bevor der Kapitän im Schutzraum die Maschinen stoppen konnte. Anders als die Verteidigung wertete das Gericht die Tat als vollendet und nicht als Versuch. Obwohl er alle Anträge auf Ladung von Entlastungszeugen abgewiesen hatte, sah es der Richter auch als erwiesen an, dass alle freiwillig an dem bewaffneten Überfall beteiligt waren – und nicht, wie vier der Angeklagten vorgebracht hatten, unter Waffengewalt oder unter Einsatz von Drogen dazu gezwungen worden seien. Das Gericht verurteilte die zehn Männer aus Somalia wegen erpresserischen Menschenraubs und bewaffneten Angriffs auf den Seeverkehr zu Freiheitsstrafen zwischen zwei und sieben Jahren. Damit blieb es immerhin deutlich unter den drakonischen Forderungen der Staatsanwaltschaft. Diese hatte für die drei Jugendlichen zwischen vier und fünfeinhalb und für die Erwachsenen bis zu zwölf Jahre – bei einer Höchststrafe von 15 Jahren – gefordert. Die Anwälte hatten die Einstellung des Verfahrens, Freisprüche oder deutlich niedrigere Strafen verlangt.
Der Richter wies darauf hin, dass es nicht um Abschreckung, sondern um den »Schutz der Rechtsgüter der Weltgemeinschaft« gehe. Mit dem Prozess übernehme das Landgericht »auch ein Stück internationale Verantwortung«, so der Gerichtssprecher.
Es war ein historischer und bislang einzigartiger Prozess. Und das nicht nur, weil zum ersten Mal seit Jahrhunderten Seeräuber vor einem deutschen Gericht standen und weil er so lange dauerte wie kaum ein anderer, sondern weil er wie unter einem Brennglas die globalen Machtunterschiede und die Kluft zwischen Arm und Reich in einen Hamburger Gerichtssaal holte.
Das Verfahren steht für eine neue, entgrenzte Strafjustiz, die sich mit Hilfe des Militärs anmaßt, über Taten in entfernten Weltregionen zu urteilen und dabei auch – gelinde gesagt – bereit ist, gesetzliche Grundlagen wie etwa die Strafprozessordnung oder das Jugendstrafrecht extrem weit auszulegen. Ob der Bundesgerichtshof in ­einer Revision daran etwas auszusetzen hat, wird sich zeigen.