Die Kiste mit den Singles

Berlin Beatet Bestes. Folge 166. The Bug: Can’t Take This No More / Rise Up (2012).

Vor über zehn Jahren war ich mal zehn Jahre lang Vegetarier, und ein Grund, Ve­getarier zu sein, war, dass es die Entscheidungen erleichterte. Auf der Speisekarte gab’s für mich jetzt nur noch die Wahl zwischen drei Gerichten und ich war im Restaurant immer als erster mit meiner Bestellung fertig. Ähnlich war es im Supermarkt. Die Auswahl war zwar eingeschränkt, aber auch einfacher. Ein übergroßes Angebot nervt sowieso. Ich will ein ­Essen, um satt zu werden, und meine Zeit nicht mit Entscheidungen verschwenden.
Schlimm war es in den Schachtel­kinos der siebziger Jahre. Während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Kinobesuch noch ein Besuch in einem festlichen Saal war, in dem nur ein Film gezeigt wurde, liefen jetzt zehn Filme in winzigen Zimmern. Mehr Auswahl bedeutete weniger Stil und Komfort. Schrecklich.
Beschränkung kann die Kreativität fördern. Durch die Probleme, die sich aus einer reduzierteren Auswahl an Möglichkeiten ergeben, können neue Lösungen entstehen. Ich zeichne zum Beispiel am liebsten mit einer ganz bestimmten, einen Euro teuren Feder und mit ganz bestimmter schellackhaltiger Tusche auf einem ganz bestimmten leicht kartoniertem 200-Gramm- Zeichenpapier. Immer benutze ich das gleiche Material. Seit Jahrzehnten. Absichtlich beschränke ich mich auf diese einfachen Materialien, denn es geht in meinen Comics um den Inhalt und nicht um den Stil. Da ich nicht mit formalen Fragen kämpfen muss, komme ich schneller zu meinen Geschichten.
­Schallplatten kaufe ich genauso. Zielstrebig steuere ich im Plattenladen immer auf die kleinste Abteilung zu: die Kisten mit den Singles. Es erleichtert meine Kaufentscheidung enorm, dass ich nicht Tausende von LPs und CDs durchkämmen muss, sondern nur die überschaubare Auswahl an Singles. Diese Platte fiel mir wegen des Covers ins Auge. Die Musik hätte ich mir sicher nicht sofort angehört, The Bug machen Dub-Techno. Mit 46 will ich eines nicht mehr sein, ein verzweifelt hipper Typ, der immer noch alles checkt, was als neu gilt. Oder das zumindest glaubt. Ich erkannte allerdings sofort, das Zeke Clough das Cover gezeichnet hat. Zeke ist ein Freund meines Freundes Crippa. Seit Jahren arbeiten der Engländer Zeke und der Schwede Crippa gemeinsam an liebevoll detailliert gestrichelten Monsterzeichnungen. Der Entwurf passt jedenfalls hervorragend zu der ebenfalls augenzwinkernd gefährlich klingenden Musik. Erschienen ist die ätzend gelbe Scheibe auf Acid Ragga, einem Unterlabel von Ninja Tunes, gegründet von Coldcut, den Erfindern von TripHop. Hier wird Reggae zwar nicht schneller, aber eine ganze Spur aggressiver und verzweifelter gemacht. Das ist keine Hippiemusik mehr. I like this Reggae!