50 Jahre James Bond

Fifty Shades of Bond

Vom wildgewordenen Kleinbürger zum eleganten Globalisierungsgegner: Martin Compart beschreibt die Wandlungen des James Bond.

Nicht nur die Rolling Stones feiern dieses Jahr ihr 50. Jubiläum. Auch ein weiterer Popmythos der Swinging Sixties wird ein halbes Jahrhundert alt, nämlich der erfolgreichste Filmserienheld aller Zeiten – der Geheimagent ihrer Majestät, 007, James Bond. Gefeiert wird das mit einem neuen Roman und dem neuen Film »Skyfall«, in dem Daniel Craig vielleicht zum letzten Mal in der Rolle des Agenten zu sehen sein wird. Regie führt im 23. offiziellen Bond-Film Sam Mendes, der gerade geboren wurde, als der dritte Bond-Thriller in die Kinos kam. Das war 1965, und der Film hieß »Goldfinger«. Damals war Bond der Inbegriff des Kalten Kriegers. Aber die Produzenten begannen bereits damit, Bonds Feindbilder zu aktualisieren: Schon bald kämpfte er nicht mehr gegen die Kommunisten, sondern gegen Konzerne, die die Weltgemeinschaft erpressten. War Bond anfangs der Held einer hedonistischen Angestelltenkultur, verkörpert er heute das Versprechen, dass sich nationale Interessen gegen internationale Kapitalinteressen behaupten können. Vielleicht sind es diese steten Modifikationen des Subtextes, die die Figur so lange so erfolgreich gemacht haben. »Dr. No«, der erste Bond-Film, hatte am 5.Oktober 1962 in London Premiere. In Deutschland startete er am 25. Januar 1963. Damit war die Bundesrepublik das zweite Land der Welt, in dem der Film ins Kino kam. In Frankreich lief Dr. No. zwei Tage später an, in den USA sogar erst im Mai 1963. Allerdings ist Sean Connery nicht der erste Schauspieler, der Bond verkörperte: Bereits 1954, also ein Jahr nach dem Erscheinen des ersten Bond-Romans »Casino Royale«, hatte der amerikanische Sender CBS in seiner Reihe »Climax!« eine höchst eigenwillige Verfilmung des Debüt­romans ausgestrahlt. Secret-Sercive-Agent Bond mutierte durch den amerikanischen Schauspieler Barry Nelson zum CIA-Agenten Jimmy Bond. Diese unfreiwillig komische Adaption erfreut sich heute auf Youtube großer Beliebtheit. Immerhin wurde mit dieser TV-Produktion die Reihe der großen Bond-Schurken eröffnet, die oft von namhaften Schauspielern dargestellt wurden: Hier war es Peter Lorre als Le Chiffre. Die gesamten fünfziger Jahre hindurch bemühte sich Bond-Erfinder Ian Fleming um die Verfilmung seiner Heldengeschichten. Ende der fünfziger Jahre war der junge Richard Burton für den ersten Bond-Film im Gespräch. Sowohl John Huston wie auch Alfred Hitchcock wurden als Regisseure angefragt. Ein fast undurchdringliches Chaos aus Urheber- und Produktionsrechten entstand und führte sogar zu einem Plagiatsprozess gegen Ian Fleming. Er hatte nämlich 1958 dem Produzenten Kevin McClosky und seinen Geldgebern einmal mehr die Rechte übertragen, einen Bond-Film zu drehen. Daraus entstand das Shooting Script »Thunderball« von Drehbuchautor Jack Whittingham. Fleming verkannte die Rechtslage und entnahm dem Drehbuch Szenen, die von Whittingham entwickelt worden waren, um sie in seiner Romanfassung von »Thunderball« zu verwenden. Im Urheberrechtsprozess in den frühen sechziger Jahren wurden Kevin McClosky die Filmrechte an dem Buch zugesprochen. Sehr zum Leidwesen der inzwischen offiziellen Bond-Produzenten Cubby Broccoli und Harry Saltzman. Zwar konnte man sich 1966 darauf einigen, gemeinsam den vierten Bond-Film »Thunderball« zu produzieren, aber die Remake-Rechte verblieben bei McClosky, mit einer fast 20jährigen Sperre. So kam es – sehr zum Verdruss von Broccoli – 1983 zu dem Bond-Film »Sag niemals nie«, in dem Sean Connery nochmals James Bond spielte. Broccolis Firma Eon hatte zwar versucht, den Film zu verhindern, scheiterte aber. Daher gab es 1983 gleich zwei Bonds: Roger Moore in »Octopussy« und Connery in »Sag niemals nie«. Ein Geschäft wurde es für beide Seiten: »Octopussy« spielte 187 Millionen Dollar ein, Connerys Film 160 Millionen. Alle von Eon Productions realisierten ­Filme haben insgesamt bisher ungefähr fünf Mil­liarden Dollar eingespielt. »Casino Royale« wurde nicht der erhoffte große Erfolg. Es wurden nur 4 750 Exemplare gedruckt. Ein Jahr nach der Veröffentlichung hatte Fleming mit dem Roman 325 Pfund verdient. Das waren 1954 immerhin 3 812 D-Mark. Über die Hälfte der Auflage wurde an Bibliotheken und Leihbüchereien verkauft. Deshalb ist es für bibliophile Fleming-Fans schwierig, ein gut erhaltenes Exemplar des viel gesuchten Buches aufzutreiben. In den neunziger Jahren musste man dafür mindestens 4 000 Dollar hinlegen. Im renommierten Antiquariat Adrian Harrington werden die Erstausgaben aller 14 Bond-Bücher als Schnäppchen für 30 000 Pfund angeboten. Mit jedem Buch wurde die Auflage leicht erhöht, aber erst der vierte Roman, »Diamantenfieber«, hatte eine Startauflage von über 10 000 Exemplaren. Selbst nach vier Romanen hatte es Bond nicht auf die Bestsellerliste geschafft. Immerhin kaufte die Filmgesellschaft Rank für 5 000 Pfund die Rechte an »Moonraker«, ließ sie dann aber verfallen. Bei so viel Instinktsicherheit drängt sich ein Vergleich mit der Musikindustrie auf: Es war die Plattenfirma Decca, die es ablehnte, die Beatles unter Vertrag zu nehmen. Erst nachdem sich Präsident John F. Kennedy 1961 im Life Magazine öffentlich als Bond-Fan bekannt hatte, erreichten die Verkaufszahlen von Flemings Büchern ungeahnte Höhen. Jetzt war auch das Kino ernsthaft interessiert, und die Produzenten Harry Saltzman und Cubby Broccoli sicherten sich die Rechte. Fleming bekam für jeden Roman 100 000 Dollar auf die Hand und wurde mit fünf Prozent an den Netto-Einnahmen der Filmverwertungen beteiligt. Das sollte sich als Lizenz zum Gelddrucken erweisen, in deren Genuss vor allem die Erben kamen und kommen. Denn Ian Fleming konnte den Welterfolg nicht lange genießen. Im Juli 1964 besuchte er noch die Dreharbeiten zu »Goldfinger«. Einen Monat später, am 12. August, starb er nach seinem zweiten Herzinfarkt. Zu viele Drinks, zu viele Zigaretten und ein überzeugt exzessives Leben hatten ihren Preis gefordert. Zum Zeitpunkt seines Todes waren weltweit 30 Millionen Bond-Bücher verkauft, zwei Jahre später waren es bereits 60 Millionen. Auch wenn es nur wenigen auffiel, als James Bond 1953 die literarische Bühne betrat: Geboren war ein neuer fiktionaler Typus, der Cold-War-Hero, der hochspezialisierte Geheimagent mit der Lizenz zum Töten. Mit einem Schlag gehörten die Freizeitgeheimagenten alter Schule, von John Buchans Richard Hannay über Sappers Bulldog Drummond bis hin zu den Clubland-Heroes eines Dornford Yates, der Vergangenheit an und waren Fossilien ohne Sex-Appeal, chancenlos im Kampf gegen den neuen Brutalo. Der begabte Amateur gehörte einer anderen Zeit an und wirkte lächerlich. Die Ritter vom Secret Service kämpften als Profis mit schmutzigen Tricks gegen den Drachen des Weltkommunismus. Die alten Regeln galten nicht mehr. Alles war jetzt erlaubt, solange du auf der richtigen Seite standest. Großbürgerliche Ideale spielten keine Rolle mehr. Man konnte dem Publikum nicht länger vormachen, dass der Westen nach den ehrenhaften Regeln des Duells kämpfte, um seine Feinde zu besiegen. Der Romancier John le Carré bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: »Ich habe Bond nie wirklich als Spion gesehen. Ich halte ihn eher für ein Wirtschaftswunderkind des Westens, mit der Lizenz, sich im Interesse des Kapitals extrem schlecht zu benehmen.« Fleming selbst hatte keine zu hohe Meinung von seinen Büchern. Er schrieb 1956 an Raymond Chandler, der sich als Bond-Fan bekannt hatte, dass er selbst nicht viel von seinen Romanen halte und sie vielleicht ernster nehmen sollte. Andere Kreise hatten eine sehr hohe Meinung von 007: Die Geheimdienste lernten ihn lieben. Allen Dulles, der damalige Direktor des amerikanischen Geheimdiensts CIA, forderte seine Techniker auf, die Gadgets aus den Filmen auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls nachzubauen. Ganz nebenbei wertete Bond das Image der Geheimagenten auf. Den Gegner verteufeln, um die eigenen Positionen zu rechtfertigen – das konnte Bond besser als jeder CIA-Stratege. Geheimagent zu sein hieß glamouröses Leben, freier Sex, herumreisen und jeden abknallen zu dürfen, den man nicht mochte. Zumindest in der Phantasie konnte sich ein wildgewordener Kleinbürger austoben. Man muss sich nur einmal verdeutlichen, dass man für Bond mit dem Slogan vom »berühmtesten Geheimagenten der Welt« warb. Eine Figur, die so einen Widerspruch aushält, hält so ziemlich alles aus und ist zu Recht Mythos. Kritiker übersehen gerne, dass der literarische Bond über ein kompliziertes Innenleben verfügt und Entwicklungen durchmacht. In »Goldfinger« aus dem Jahre 1959 etwa stellt Bond geradezu neurotisch seine Motivation in Frage. In »Feuerball« ist er zu Anfang ein körperliches und seelisches Wrack, das von M in eine Klinik geschickt wird. Zwei Jahre später, in »Im Geheimdienst ihrer Majestät«, will er den Dienst quittieren und ist völlig am Ende, als seine frisch angetraute Frau ermordet wird. Im darauf folgenden Roman, »Man lebt nur zweimal«, rächt er seine Frau zwar, bleibt aber traumatisiert zurück. Dieser geradezu surreale Roman ist der düsterste der Reihe. Fleming war fertig mit seinem Helden. Aber der von Krankheit gezeichnete Autor setzte sich noch einmal an die Schreibmaschine und schrieb den letzten und schwächsten Bond-Roman: »Der Mann mit dem goldenen Colt«, der allerdings die höchste Startauflage verbuchen konnte. Bemerkenswert ist der Anfang, der bisher undenkbar war: Nach seinem Japan-Abenteuer wurde Bond von den Russen »umgedreht« und versucht nun, M zu ermorden. Mit der Filmversion von »Man lebt nur zweimal« begann die neue Ära der Bond-Filme, in denen Ausstattung und spektakuläre Stunts wichtiger waren als die literarischen Vorlagen. Tatsächlich könnte man alle Bond-Filme seit »Im Geheimdienst ihrer Majestät« neu drehen, wenn man sich ernsthaft an die literarischen Vorlagen hielte. Heraus kämen völlig andere Filme, die lediglich noch Titel und ein paar Personen mit den alten Filmen gemeinsam hätten. Der Sex in Romanen und Filmen wirkt heute harmloser als in manchem Fernsehfilm. Aber in den fünfziger und frühen sechziger Jahren war er schockierend: Bond schlief mit Frauen aus reiner Lust und ohne Trauschein. Zur selben Zeit propagierte Hugh Hefner in den USA in seiner Illustrierten Playboy, in der mehrere Bond-Geschichten vorabgedruckt wurden, Sex als ständig verfügbares Konsumgut. James Bond war das perfekte Männerideal der Playboy-Leser, die sich voll und ganz mit ihm identifizieren konnten. Hefner und Bond erklärten der Mittelschicht, was das gute Leben ist: Sex ohne Verpflichtung, schnelle Autos, der Konsum teurer Markenartikel und die weite Welt als Abenteuerspielplatz. Das war natürlich nicht umsonst zu haben. Der Preis dafür war und ist der Verzicht auf Selbstbestimmung und die völlige Unterordnung unter Vorgesetzte, die einem das Denken und die Entscheidungen abnehmen. Aber immerhin bekam man auch die Lizenz zum Töten. Flemings Bond war ein Rassist und Chauvinist. Seiner Meinung nach waren alle Nationen, selbst die europäischen, der britischen unterlegen. Nach der begeisterten Lektüre des Manuskripts von »Liebesgrüße aus Moskau« merkte Flemings Lektor an, dass die Russen in dem Buch etwas dumpf und schwerfällig geschildert seien. Fleming antwortete darauf: »Das liegt daran, dass die Russen dumpfe und schwerfällige Leute sind.« Bonds dümmliche Aussagen über den Charakter von »Rassen« wurden zum großen Teil aus den deutschen Übersetzungen getilgt. Nur die weißen Vettern in den USA kamen etwas glimpflicher weg. Fleming war lange vor Douglas Coupland der erste Literat, der Konsumgüter als Product Placement in seine Romane einführte. Ein Zitat: »Bond nahm eine eiskalte Dusche und wusch sein Haar mit Pinaud Elixier, dem Prinzen unter den Haarwaschmitteln.« Das Auswählen von Konsumartikeln, die Bond zum guten Leben braucht, ist eine der letzten großen Freiheiten in einer maroden Gesellschaft. Allerdings hatte die Fetischisierung von Produkten in den Romanen auch die Funktion, durch Realitätsbezüge die phantastischen Geschehnisse glaubwürdiger zu machen. Die Filme und das Merchandising machten Bond selbst zu einem Markenzeichen, um das herum ganze Produktpaletten entstanden. Der Film übernahm dankbar Flemings Methode. Den Anfang des gezielten Product Placements machte »Goldfinger«. Un­erreicht, wie der Aston Martin DB 5 von diesem Film zum Mythos aufgebaut wurde. Und jedes Mal, wenn Bond der körperlichen Hygiene huldigt, stehen gut sichtbar Produkte der Firma Gillette im Bild. Broccoli hatte den Werbevertrag ohne Wissen des Regisseurs abgeschlossen. Der wunderte sich dann, als er den Rasierschaum in die Kulisse gestellt bekam. James Bond ist natürlich mehr als ein Werbeträger. Er ist eine Popikone und hatte im Westen viele Jahre immensen Einfluss auf Mode und Stil. Er war die Symbolfigur des Kalten Krieges, der moderne, westliche Nachkriegsmann, der ein neues Wertesystem verkörperte. Er ist die mythische Figur der Angestelltengesellschaft, die in den fünfziger Jahren eine dramatische Veränderung erfuhr. Gefragt war nicht länger der bescheidene Handlanger, der seine Freizeit im Kreis der Familie verbrachte. Die neue Konsumgesellschaft verlangte von ihren Mitgliedern andere Fähigkeiten, als sie in früheren kapitalis­tischen Epochen gefordert waren: Statt Treue zum Arbeitsplatz war nun Mobilität erforderlich, man brauchte jetzt den mitdenkenden Facharbeiter, und statt Bescheidenheit war verstärkter Konsum gefragt. Anders als zuvor wurde der hedonistische, konsumfreudige Weltmann heroisiert, der seine Bedürfnisse auslebt. Das hohe Lied der Vereinzelung wurde angestimmt; gefördert wurden ideologisch gefestigte Handlanger, die konsumierten. Bonds massenmedialer Erfolg verlief parallel zu dem Aufstieg der mittlereweile bedrohten westlichen Mittelschichtsgesellschaft. In den Filmen wird noch mehr als in den manchmal ziemlich düsteren Büchern der Irrglaube ans ewige Wachstum verbreitet. Jeder neue Bond-Film musste noch größer, aufwendiger und teurer werden als sein Vorgänger. Dabei kämpfte Bond schon früh gegen multinationale Konzerne oder weltweite Gangstersyndikate. Bonds Gegner waren immer wieder Giganten der Hochfinanz. Zu Recht vermutete 007-Chef M hinter ihren respektablen Fassaden Machenschaften, die nicht dem Zweck dienten, neue Arbeitsplätze zu schaffen oder Wirtschaftsstandorte zu sichern. Gegen ihren massiven Einsatz von Kapital in Materialschlachten konnte Bond nur seine individuellen Fähigkeiten und die Pfiffigkeit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung unter Q setzen. Im Dienste nationaler Interessen führt der Agent erfolgreich einen Kampf gegen Monopole und Großgangster, die angesehene Bosse von Konzernen sind. Das ist so, als würde der Kapitän der Titanic einen Mann mit einem Eimer losschicken, um das Schiff zu retten. Ein tröstliches, kleinbürgerliches Märchen. »Skyfall« läuft am 1. November in deutschen Kinos an.