Das Aufklärungsbuch der Rapperin Lady Bitch Ray

Geh zur Schule, Bitch!

Die Rapperin und Sprachwissenschaftlerin Lady Bitch Ray predigt vaginale Selbst­bestimmung und warnt junge Frauen vor promiskuitivem Sex.

Als ich ein Teenager war und mehr über Sex wissen wollte, war meine Mutter zu verklemmt, meine Fragen zu beantworten. Meine große Schwester hatte auch keine Ahnung und vor meinen Freundinnen wollte ich mich nicht als unerfahren outen. Mir blieb nur die fleißige Lektüre der Bravo-Rubrik »Liebe, Sex und Zärtlichkeit«, wo Mädchen meines Alters Fragen stellten, die von Dr. Sommer beantwortet wurden. Hier erfuhr ich, was der Glückstropfen ist und dass man von ihm auch schwanger werden kann, wie man sich als Frau am besten selbst befriedigt und warum eigentlich jeder ein bisschen bisexuell ist. Ende August dieses Jahres ist Dr. Sommer, der im richtigen Leben Martin Goldstein hieß und Religionslehrer und Psychotherapeut war, im Alter von 85 Jahren verstorben. Rest in Peace, ich habe schon lange keine Fragen mehr zu Sex.
Doch wie ergeht es den jungen Frauen heute? Findet Aufklärung jetzt im Internet statt? Was ist, wenn Mädchen die Informationen fehlen, um die richtigen Fragen zu stellen – greifen sie dann wie ich früher zur Bravo? Seit ein paar Tagen gibt es eine Alternative: »Bitchism«, das neue Buch von Lady Bitch Ray alias Reyhan Sahin, 480 Seiten dick, Einband in Babyrosa. »Ich würde mich freuen, wenn junge Frauen ›Bitchism‹ lesen. Auch die Mütter sollten sich freuen, wenn ihre Töchter mein Buch lesen, denn hier lernen Frauen, selbstbewusster zu werden«, erklärt die Autorin voller Überzeugung. Ihr Buch sei ein »neofeministisches Aufklärungsbuch, eine Art Lifestyleguide für Frauen«, und die Bitch die emanzipierte Frau von heute.
Vor mehr als vier Jahren begann die junge Rapperin aus Bremen ihre Tour durch die Talkshows. Bei Sandra Maischberger brachte sie mit Vulgärausdrücken die anderen Gäste aus der Fassung und wurde schlagartig bekannt. Oliver Pocher überreichte sie beim Interviewtermin ein Glas mit ihrer Scheidenflüssigkeit. Einige Regionalsender verweigerten daraufhin die sonst übliche Wiederausstrahlung der Sendung »Schmidt & Pocher«. Nach einem Zusammenbruch 2009 verabschiedete sie sich von der Öffentlichkeit und konzentrierte sich auf ihre Unikarriere. Demnächst soll ihre Dissertation mit dem Titel »Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs. Eine kleidungssemiotische Untersuchung muslimischer Kopftuchträgerinnen in der Bundesrepublik Deutschland« erscheinen. Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse ist jedoch erst einmal ihr Buch »Bitchism. Emanzipation. Integration. Masturbation« herausgekommen. »Juckt Deine Muschi vor Wut und willst Du Dich emanzipieren? Steckt Deine Möse angeekelt ihre Zunge heraus, wenn sie von den derzeitigen Diskussionen zur Emanzipation der Frau in Deutschland hört? Dann ist dieses Buch genau das richtige für Dich, Bitch!« heißt es zu Beginn. Wer sich von den anzüglichen Ausdrücken nicht abschrecken lässt, sollte nach dem »Vorspiel«, so nennt die Autorin ihr Vorwort, ruhig weiter lesen. Ganze 69 696 vulgärsprachliche Ausdrücke sind im Buch enthalten, hat die Autorin ermittelt. Grund genug für den Bastei-Lübbe-Verlag, das Buch nicht wie ursprünglich geplant zu veröffentlichen, sondern das Manuskript als jugendgefährdend, pornographisch und volksverhetzend zurückzuweisen. Erschienen ist es nun im Panini-Verlag, in dem sonst Graphic Novels und satirische Comics wie »Mad« oder »Die Simpsons« verlegt werden. Mitverlegerin ist Lady Bitch Ray selbst mit dem von ihr eigens dafür gegründete Vagina Style-VS-(Votzenschleim)-Verlag.
Tatsächlich geht es in »Bitchism«, zumindest auf den ersten Blick, vor allem um vaginale Würde, vaginales Körperbewusstsein, vaginale Selbstbestimmung, vaginale Unabhängigkeit, vaginale Ehre und vaginalen Intellekt. Das sind die sechs »Bitchism-Tugenden«. Im nächsten Kapitel zur »Bitchism-Sexualität« wird darüber aufgeklärt, dass guter Sex »keine Drogen braucht« und wie der gute Sex funktioniert. Dazu braucht es neben der Bitch, die sich richtig zu befriedigen weiß, auch den Bitcher als männliches Pendant, den emanzipierten Mann, der es der Bitch ordentlich besorgt und umgekehrt. All das ist reich und bunt bebildert, auch wenn Männer dort nur als Plüsch- oder Gummischwänze auftauchen.
Doch nicht alles, was sich hinter der sexualisierten Sprache des Buchs verbirgt, ist tatsächlich Sex, findet auch die Autorin: »Es hat ja auch eine bestimmte Funktion. Die Sprache ist ziemlich sexualisiert in ›Bitchism‹, weil ich finde, dass gesellschaftliche Strukturen sich auch in der Sexualität widerspiegeln. Diese sexuellen Beispiele sollen dazu dienen, dass Frauen einfach lernen, sowohl im sexuellen Bereich als auch im gesellschaftlichen Alltagsbereich sich nicht unterzuordnen.«
Deshalb hat Lady Bitch Ray neben einigen Tipps zu richtiger Stellung, der Pflege der Muschihaare und zum Einsatz von Körperflüssigkeiten viele Ratschläge für das alltägliche Leben einer Bitch parat. Oft sind diese erstaunlich moralisch und geradezu streng: Sex sollte man nicht zu früh haben (»Fang bitte nicht schon mit 16 an, mit jedem Typen zu ficken, denn das, Süße, wird man Dir mit 30 ansehen«). Fremdgehen sollte man in der Regel mit Trennung bestrafen (»Sei konsequent und hör auf, beide Augen oder Deine Votze zuzudrücken, Bitch!«), Bildung ist wichtig (»Gib Dir Mühe in der Schule, Bitch!«) und Kinder soll Bitch möglichst spät und erst nach der Karriere bekommen (»Weil unsere Gesellschaft noch nicht gerecht genug für Mütter konzipiert ist, Bitch!«).
Für die »Kanacken-Bitch« gibt es ein eigenes Kapitel mit sexueller Aufklärung (»Du bist oft so behaart wie das Arschloch Deines Vaters!«). Vor allem geht es aber darum, Selbstbewusstsein zu vermitteln, schließlich weiß Lady Bitch Ray als Tochter türkischer Einwanderer, wovon sie redet: »Du bist als Kanacken-Bitch auch allein vollwertig, Du brauchst keinen anderen Menschen, um zu atmen. Du kannst alles allein machen: alleine wohnen, studieren, arbeiten, verreisen, Dich verlieben, ficken, bumsen, blasen und selbst dafür die Verantwortung übernehmen. Schließlich bist du auch in der Lage, Dich selbst zu befriedigen, Bitch!«
»Bitchism« ist mehr als ein reines Aufklärungsbuch. Natürlich ließe sich fragen, ob das Konzept des »Bitchism« wirklich feministisch genannt werden muss und ob die Bezugnahme auf die Riot-Grrrl-Bewegung nicht auch schon einen ganz schönen Bart hat. Die einen reden vom Slutwalk, die anderen von »Bitchism« und »Bitchwalk«, verwirrt das nicht eher, als dass es hilft? Dass sich die Autorin den Titel »Bitchism« als Marke hat schützen lassen, spricht auch nicht gerade dafür, dass sie ein politisches Bündnis im Sinn hat. Auch bleibt zu bezweifeln, dass die Zielgruppe – junge Frauen zwischen 16 und 22 – tatsächlich in den Buchladen läuft und knapp 20 Euro zahlt, um »ihr hübsches Gesicht« ins Buch zu stecken, wie Lady Bitch Ray befiehlt. Aber vielleicht reicht es ja, wenn eine Bitch Mut und Geld genug dafür hat. Die Freundinnen können sich das Buch ausleihen und, wenn sie strenge Eltern haben, notfalls unter ihrem Kopfkissen verstecken.

Lady Bitch Ray: Bitchism. Emanzipation. Integration. Masturbation. Vagina-Style-Verlag/Panini Books, Stuttgart 2012, 480 Seiten, 19,99 Euro