Repression gegen Oppositionelle in Russland

Im falschen Film

Wegen eines dubiosen Videos gehen die russischen Behörden gegen prominente linke Oppositionelle vor.

Dass sich russische Strafverfolgungsbehörden gegenseitig mit haarsträubenden Aktivitäten überbieten, die sich mit Recht und Gesetz nur bedingt vereinbaren lassen, ruft in Russland kaum mehr Verwunderung hervor. Wird das Fernsehen mit auf den Plan gerufen, um vordergründig Fakten für spätere Gerichtsverfahren zu liefern, verschwimmen Realität und Fiktion vollends.
Andrej Loschak, einer der wenigen kritischen Fernsehjournalisten in Russland, wies jüngst nach, dass es den Fernsehzuschauern mittlerweile schwerfällt, den Wahrheitsgehalt einer Sendung zu erkennen. Allerdings eher unfreiwillig, denn geplant war eine Satire auf im Fernsehen alltägliche Praktiken der Desinformation. »Völlige Finsternis«, sein TV-Mehrteiler im Doku-Stil, imitiert investigativen Journalismus trotz absurd anmutender Behauptungen so überzeugend, dass viele Zuschauer die präsentierten Schlussfolgerungen glaubten. Schließlich wird die kaum weniger absurde staatliche Propaganda ebenso von vielen geglaubt.

Künstlerisch weniger ambitioniert, aber mit schwerwiegenden Folgen arbeiteten Loschaks Kollegen vom Fernsehsender NTV, der für seine propagandistischen Sendungen berüchtigt ist. Am 5. Oktober lief der Beitrag »Anatomie des Protests 2«, der den linken Flügel der russischen Opposition als revolutionäre Zelle darstellte, die auf einen Staatsstreich hinarbeite. Als Instrukteur fungiert Giwi Targamadse, ein enger Vertrauter des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili. Targamadse gilt seit der »Rosenrevolution« in Georgien 2003 als Geheimwaffe im Kampf gegen postsowjetische Führungskader. So soll er 2006 seine Unterstützung beim Sturz des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko angeboten und vor den letzten Präsidentschaftswahlen in der Ukraine für die Entsendung von 2 000 Kämpfern nach Donetsk, der Heimatstadt von Viktor Janukowitsch, gesorgt haben, damit dieser die Wahl verliert. Als Beweis für die jüngste georgische Einmischung in innerrussische Angelegenheiten führte NTV eine Videoaufnahme an, die der Sender von einem unbekannten Georgier auf der Straße erhalten haben will. Die Audiodatei gab es als Bonus dazu, sie wurde hinterher mit dem Video zusammenmontiert. Genau so sieht die Aufnahme auch aus. Gefilmt wurde mit einer versteckten Kamera bei einem angeblichen Treffen Targamadses in Minsk mit dem linken Oppositionsführer Sergej Udalzow, dessen Mitstreiter von der Linksfront, Leonid Razwozzhajew, und dem Kommunisten Konstantin Lebedew. Alle drei kandidierten für die ursprünglich für den 21. Oktober angesetzten Wahlen zum oppositionellen Koordinationsrat. Die Wahlen wurden wegen ständiger DDoS-Attacken auf die Website, über die das Abstimmungsverfahren geregelt wird, um einen Tag verlängert.

Die drei Russen sind auf dem Video gut zu erkennen, nicht aber ihre Gesprächspartner. Zudem stimmen die Lippenbewegungen mit dem vermeintlichen Gesprächsinhalt nicht überein.
Das alles stört die russischen Ermittlungsbehörden offenbar keineswegs. Obwohl nicht einmal ein Gutachten über die zweifelhaften Aufnahmen vorliegt, leitete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen die linken Oppositionellen wegen der Vorbereitung von Massenunruhen ein, ein Delikt, für das bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe vorgesehen sind. Während Udalzow nach einer ersten Vernehmung vorerst auf freien Fuß gesetzt wurde, befindet sich Lebedew seit einigen Tagen in Untersuchungshaft. Razwozzhajew wurde nach der Stellung eines Asylantrags beim Uno-Flüchtlingswerk in Kiew vom russischen und ukrainischen Inlandsgeheimdienst de facto entführt und nach Moskau überstellt. Er soll gestanden haben, Geld von Targamadse bekommen zu haben. Beim Abtransport aus dem Gericht hatte er den Umstehenden zugerufen, er sei zwei Tage lang gefoltert worden.
Ein weiterer Aktivist der Linksfront, Konstantin Kosjakin, ist wegen der Angelegenheit zur Fahndung ausgeschrieben. Dabei liegt er seit zwei Wochen in einem Moskauer Krankenhaus.