Vor 30 Jahren starb ein junger Werder-Fan

Tod in der dritten Halbzeit

Vor 30 Jahren starb der 16jährige Werder-Fan Adrian Maleika.

Auch wenn es vielen nicht bekannt sein mag: Der 17. Oktober 1982 war ein wichtiges Datum in der Geschichte des deutschen Fußballs, denn an diesem Tag starb Adrian Maleika. Tags zuvor war der 16jährige Anhänger des SV Werder Bremen zusammen mit anderen mit dem Zug zum Nordderby gegen den Hamburger SV nach Hamburg gefahren. Nachdem es am Hauptbahnhof Reibereien gegeben hatte und die Bremer Fans von der Polizei zerstreut worden waren, fuhr Adrian zusammen mit seinen Freunden vom Fanclub »Die Treuen« auf eigene Faust und abseits der Masse der Werderfans zum Stadion. Anders als üblich waren sie dann allerdings nicht am S-Bahnhof Stellingen, sondern eine Station weiter in Eidelstedt ausgestiegen. In der Nähe des Stadions begegneten sie zwei der gefürchtetsten und berüchtigsten Fangruppen des HSV, den »Löwen« und den »Skinheads«. Beide galten als offen gegenüber Rechten bis rechts und als äußerst gewaltbereit. Wie zu erwarten kam es zu einer heftigen Schlägerei, doch anders als damals üblichkamen nicht nur Fäuste, sondern auch Mauersteine zum Einsatz. Einer von ihnen traf den flüchtenden Adrian Maleika, der von vielen, die ihn kannten, als friedlich, fast sogar ängstlich, beschrieben wird, am Kopf und verletzte ihn schwer. Wenige Stunden später erlag er im Allgemeinen Krankenhaus in Altona seinen Verletzungen – und plötzlich war alles anders.
Zwar gehörte Gewalt, auch schwere Gewalt, damals, Anfang der achtziger Jahre, zum Alltag in Fußballdeutschland, und zumindest bei Derbys und anderen emotional aufgeladenen Spielen knallte es ebenso regelmäßig wie heftig, doch bis dahin hatte es nie einen Toten gegeben. War es bis dahin noch möglich gewesen, von jugendlichem Leichtsinn, von Bock auf Action und von altersbedingtem Austesten von Grenzen zu sprechen, waren die Grenzen jetzt klar und unwiderruflich überschritten worden. »Gewalt beim Fußball war damals weit verbreitet«, erinnert sich Manfred Knaust, »aber der Tod von Adrian war trotzdem ein Schock. Damit hatte einfach keiner gerechnet. Bis dahin dachten alle, man haut sich ein bisschen und morgen ist wieder gut, aber das ist eben nicht immer so.« Was geschehen ist, war aus Knausts Sicht ein »Einschnitt für die Szene«, und er gehört zu den wenigen, die es wirklich wissen müssen, denn viel näher dran als er konnte man nicht sein.
Damals, Ende 1982, war Knaust gerade dabei, zusammen mit Lutz Linnemann in Bremen das erste Fanprojekt Deutschlands aufzubauen. Zwar hatten beide nur befristete ABM-Verträge, doch in der traditionell von der SPD regierten Hansestadt gab es immerhin vergleichsweise viel Offenheit für Sozialarbeit und Gewaltprävention. Außerdem unterrichtete damals an der Bremer Universität unter anderem der Kulturwissenschaftler Narciss Göbbel, der sich mit seiner Arbeit nicht nur auf die damals wegweisenden Studien des Centre for Contemporary Cultural Studies in Birmingham bezog, sondern auch die Fankultur des Fußballs zu einem seiner Forschungsschwerpunkte gemacht hatte. Vielen gilt Göbbel daher heute als geistiger Begründer des Bremer Fanprojekts und damit in­direkt auch aller anderen Fanprojekte in Deutschland.
Eine der Folgen des tragischen Todes von Adrian Maleika war nämlich ein Umdenken und Einlenken der Verantwortlichen im deutschen Fußball, was den Umgang mit den Fans und ihrem Verhalten angeht. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde zwar damals wie heute dem mittlerweile nahezu legendären »Frieden von Scheeßel« eine zentrale Rolle zugeschrieben. Dabei trafen sich Fans, aber auch Vereinsvertreter von Werder Bremen und dem Hamburger SV auf halber Strecke zwischen beiden Städten in einem kleinen Gasthof, um sich medienwirksam dazu zu verpflichten, keine Rache zu üben und sich in Zukunft nicht mehr über das allgemein übliche Maß hinaus auf die Fresse zu hauen. Doch viel wichtiger war die Gründung von Fanprojekten in einer wachsenden Zahl deutscher Städte.
Hamburg war aus naheliegenden Gründen die erste Stadt, die bereits 1983 ein eigenes Fanprojekt einrichtete. Frankfurt und Bielefeld, wo Wilhelm Heitmeyer die Arbeit des Projektes wissenschaftlich begleitete, folgten bereits 1984, Hannover 1985, Karlsruhe und Mannheim 1986, Dortmund und St. Pauli 1988. Heute gibt es bundesweit rund 50 Fanprojekte, die in der Koordinationsstelle Fanprojekte organisiert sind. Die gute Arbeit, die das Bremer Fanprojekt gerade auch nach dem Tod Adrian Maleikas geleistet hat, hatte hier sicher eine Vorbildfunktion. Zumindest aber war es ein Pilotprojekt, dessen bloße Existenz in anderen Städten zum Argument für eigene Bestrebungen werden konnte.
Heutzutage ist weithin akzeptiert, dass Fanprojekte wichtige Arbeit leisten. Vergessen hingegen scheinen die Zeiten, in denen es sie noch nicht gab. Anders lässt sich nicht erklären, dass DFB, DFL und ein Gutteil der Medien heute einhellig von eskalierender Gewalt ungekannten Ausmaßes sprechen und bereits im Abbrennen von Bengalos oder dem Erstürmen des Spielfeldes nach Aufstiegen oder Meisterschaften, wie es seit den frühesten Tagen des Fußballs üblich ist, bürgerkriegsähnliche Zustände zu erkennen glauben. »Gewalt in den und um die Stadien ist heute viel, viel seltener als damals«, meint Manfred Knaust, »was auch daran liegt, dass vielerorts die Ultras heute die Räume besetzen, die früher rechte Hooligans innehatten.«
In der Tat wird nicht nur häufig vergessen, wie groß das Gewaltproblem in den Fußballstadien der achtziger Jahre war und wie sehr damals Gewalt und rechte Ideologien Hand in Hand gingen. Es wird auch fast ebenso häufig vergessen, wie groß und wie wichtig der Anteil der aktiven Fanszene der Neunziger und später auch der Ultraszene beim Zurückdrängen von Gewalt und Rechtsextremismus war. Anstatt anzuerkennen, dass immer wieder entscheidende Impulse aus der Fanszene selbst kommen, werden von Seiten der Verbände und vieler Medien die Fans zum Feindbild erkoren und Stehplätze zu Schlachtfeldern erklärt. Dass bei so viel Ignoranz kaum Gutes herauskommt, verwundert kaum.
Dass es nach wie vor viel zu tun gibt, lässt sich jedoch auch nicht leugnen. Nur liegt das Problem nicht bei der Pyrotechnik, sondern in der Tatsache, dass seit geraumer Zeit rechte Hooligans in zahlreichen Kurven wieder an Einfluss gewinnen. Das gilt für Braunschweig und Aachen genauso wie für Duisburg oder 1860 München – und als kürzlich beim Spiel zwischen dem Hamburger SV und Borussia Dortmund über 90 Minuten ein Banner in der Gästekurve der rechten Dortmunder Hooligangruppe »Borussenfront« zum 30jährigen Bestehen gratulierte, hing auf der Gegenseite beim HSV ein Banner der »Löwen«, eben jener Gruppe, deren Mitglieder für den Tod Adrian Maleikas zumindest mitverantwortlich waren. Aber derlei rechte Kontinuitäten werden hierzulande ja gerne mal übersehen.