Die Reform der Minijobs

Denn sie wissen, was die wollen

Mit der Reform der Minijobs stützt die Bundesregierung den Niedriglohnsektor.

Über das Ziel sind sich eigentlich alle einig, die Befürworter und die Kritiker der Minijob-Reform. Allen geht es um die Schaffung von Arbeitsplätzen. Allein hinsichtlich der Mittel kommt Zwist auf. In einer seit Monaten währenden Diskussion wurde das Vorhaben, die Minilohngrenze anzuheben, scharf kritisiert. Dessen ungeachtet beschloss Ende Oktober die Regierungsmehrheit im Bundestag, die 400-Euro-Verdienstgrenze für Minijobs um 50 Euro anzuheben. Neu ist auch, dass die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nun nicht mehr die Regel, sondern eine Option ist.
Die schwarz-gelbe Koalition will die Anhebung der Minijob-Grenze als »Inflationsausgleich« verstanden wissen – schließlich ist diese seit 2003, als sie unter der rot-grünen Bundesregierung im Zuge der Hartz-Reformen erhöht wurde, unverändert geblieben. Kritiker befürchten nun, dadurch werde es leichter, »normale Jobs in Minijobs zu zerlegen«, so Anette Kramme (SPD), zumal der Minilohn durchschnittlich bei nur bei 220 Euro liege und eine Ausweitung der Freigrenze kaum erforderlich sei.

Wichtiger als die Erhöhung auf 400 Euro war 2003 wohl die zeitliche Entgrenzung. Zuvor durfte die »geringfügige Beschäftigung« – ein Ausdruck, der erstmals 1977 Verwendung fand – maximal 15 Stunden pro Woche ausgeübt werden. Die Neuregelung wurde damals mit der Bekämpfung von Schwarzarbeit begründet.
Während die derzeitige Regierung das Instrument Minijob als »erfolgreich« bezeichnet, kritisiert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Minijobs würden vielfach zur Verschleierung von Schwarzarbeit dienen. So sei, der IG BAU zufolge, jeder sechste Berliner Bauarbeiter offiziell nur geringfügig beschäftigt. Wer das Überstundenaufkommen der Branche kennt, kann sich denken, wie gern gesehen Minijobber in Bauunternehmen sind. Seit 2003 ist die Rechtslage so beschaffen, dass 400-Euro-Jobs theoretisch eine Vollzeitstelle darstellen können, das würde etwa 2,30 Euro Stundenlohn bedeuten.
Die Aufhebung der zeitlichen Beschränkung für »geringfügige Beschäftigung« machte diese Vertragsform für Unternehmer attraktiver. So heißt es in einer Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde: »Es zeigt sich, dass vor allem in der Zeit direkt nach der Minijob-Reform die Zunahme von 400-Euro-Arbeitsverhältnissen mit einem Rückgang von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung einhergegangen ist.« Dass es sich dabei nicht um ein Rand­phä­nomen handelt, verdeutlicht die Bundesagentur für Arbeit (BA): Die gut 7,3 Millionen Minijobs stellen inzwischen mehr als 20 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse. Gewerkschaftsangaben zufolge sind 672 000 Arbeitnehmer zusätzlich auf Hartz IV angewiesen.
Bei der geringfügigen Beschäftigung handelt es sich übrigens um die einzige Erwerbsform, in der Frauen mit einem Anteil von zwei Dritteln die Mehrheit stellen. Daher verwundert es nicht, dass auch die Expertenkommission für den offiziellen Gleichstellungsbericht der Regierung die Auswirkungen der Minijobs bereits im Juni 2011 als »desaströs« bezeichnete.

Die »Leute wollen nebenher arbeiten, diese Freiheit müssen und wollen wir ihnen lassen«, sagte Johannes Vogel (FDP) vorige Woche im Bundestag. Die Rede ist von jenen 2,5 Millionen Arbeitnehmern, die neben ihrer regulären Tätigkeit noch einen Minijob ausüben. Ihre Anzahl hat sich seit 2003 verdoppelt, mittlerweile haben 8,8 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Zweitjob. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren: Während einerseits von Arbeitsfreude und Konsumbedürfnissen die Rede ist, vermuten Gewerkschaften und Linke unzureichende Löhne hinter dem Trend zum Zweitjob. Bekannt ist etwa das Phänomen der working poor in den USA, die sich nur mit mehreren Jobs über Wasser halten können.
Doch Hilmar Schneider, Bereichsdirektor im IZA, sagte im Deutschlandfunk: »Man weiß nicht wirklich etwas darüber, wer diese Zweitjobber sind«. Er glaube nicht, dass Armut »die treibende Kraft« für einen Mininebenjob sei, sondern schlicht, »dass die Bedingungen für Zweitjobs so günstig sind.« Der Forscher beschreibt Minijobs auch als Sparmodell, wenn Überstunden anstehen – unechte Nebenjobs also. So berichtet Schneider von Fällen, in denen Firmen eigens eine Tochtergesellschaft gründeten, »damit ihre eigenen Mitarbeiter die Möglichkeit haben, Überstunden in Form von Minijobs abzuwickeln«. Das Unternehmen spare dabei die Zuschläge, und die Beschäftigten erhielten durch entfallende Sozialabgaben mehr als ihren regulären Nettolohn. Das klingt nach einer verdeckten Subventionierung durch Sozialversicherung und Fiskus.

Die SPD stellt sich nun gegen »eine Verfestigung dieser katastrophalen Beschäftigungsform«, und die Grünen erklären: »Minijobs haben als Brücke in versicherungspflichtige Beschäftigung versagt.« So viel Selbstkritik wurde von SPD und Grünen bisher selten geübt. Wie ernst es ihnen damit ist, wird sich bei der Abstimmung im Bundesrat zeigen. Die Länderkammer muss dem Gesetz zustimmen, weil neben erheblichen Mindereinnahmen und Steuerausfällen des Bundes allein 2013 auch den Ländern und Gemeinden etwa 115 Millionen Euro entgehen würden.
Während die Koalitionsparteien unbeirrt darauf verweisen, Minijobs seien »notwendig zur Flexi­bilisierung« und »zum Abarbeiten von Arbeitsspitzen«, forderte der DGB, die Ausnahmeregelungen für »Kleinstarbeitsverhältnisse« abzuschaffen. Denn in einigen Branchen sei der Anteil von Minijobs extrem hoch, in der Gastronomie liege er bei 50 Prozent und im Einzelhandel bei rund 33 Prozent. Es bestehe also eine Konkurrenz zu normalen Arbeitsverhältnissen, selbst wenn dies nicht der Intention der gesetzlichen Regelung entspreche.
Für Unternehmen liege die Abgabenlast bei Minijobs mit 30 Prozent relativ höher als normal, betont Max Straubinger (CSU). Demgegenüber stünden, so Diana Golze von der Linkspartei, jedoch die »geringen Standards, die sich eingeschliffen haben«. Es werden oft nicht nur geringere Löhne gezahlt, auch gesetzliche Rechte, wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, werden nicht gewährt.
Davon berichten so unterschiedliche gewerkschaftliche Akteure wie die IG BAU, der Verdi-­Erwerbslosenausschuss und die Anarchosyndikalistische Jugend Berlin (ASJ). Letztere will mit ihrer Kampagne »Jung und billig« Aufklärung betreiben, denn unter Jugendlichen seien arbeitsrechtliche Kenntnisse kaum vorhanden.
Es sind jedoch nicht nur Unternehmen, die für die geringen Standards sorgen. In einem Aufsatz zur »Niedriglohnfalle Minijob« für das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Instituts (WSI) berichten die Volkswirtinnen Dorothea Voss und Claudia Weinkopf vom Fall eines tarifgebundenen Einzelhandelsunternehmens, bei dem durch mündliche Absprachen zwischen Firmenleitung und Betriebsrat ein »informelles Tarifgitter« zulasten der Minijobber bestehe, die in den untersuchten Filialen ein Drittel der Belegschaft stellten. So liege, entgegen dem Gleichbehandlungsgebot, der Bruttolohn im Minijob auf dem Niveau des Nettolohns im Normalarbeitsverhältnis. Der soziale Frieden ist gewahrt und wer profitiert davon? Die Firma.