Vertreibung von Obdachlosen in Hamburg

Ausgetrunken

Mit Hilfe der Deutschen Bahn vertreiben Hamburger Behörden die Obdachlosen am Hauptbahnhof.

Zusammengesunkene, betrunkene Menschen, die vorbeihetzende Reisende gelegentlich nach einer Spende oder einer Zigarette fragen – ein unerträglicher Zustand am Hamburger Hauptbahnhof, muss sich die Stadtverwaltung gedacht haben. Nun hat sie das vermeintliche Problem ganz einfach gelöst, und noch dazu, ohne sich selbst die Finger schmutzig machen zu müssen.

Seit Ende Oktober darf nämlich der private Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn eingreifen. Die Hamburger Wirtschaftsbehörde und der Bezirk Mitte haben es der Bahn vertraglich gestattet, ihre Hausordnung auch unter den öffentlichen Hallenvordächern sowie in einem Fußgängertunnel durchzusetzen, die Vereinbarung gilt für die kommenden zehn Jahre. Feiste Männer und Frauen in dunkelblauen Uniformen patrouillieren seitdem mit dem Eifer von Schrebergartenaufsehern um das historische Gebäude und reagieren äußerst schnell, sobald sich beispielsweise ein Obdachloser eine Flasche Bier öffnet. Allerdings lässt das engagierte Personal diejenigen in Ruhe, die nicht nach Obdachlosigkeit aussehen. Wer mit gepflegtem Äußeren ein Bier trinkt, wird nicht behelligt. Wer mit gammeliger Kleidung und einer Flasche Korn auffällt, wird verscheucht. Armut hat hier keinen Platz.
Ähnliches ereignete sich schon einmal im Sommer 2011. Damals wollte der Bezirk Mitte einen Zaun errichten, der Obdachlose von einem stadtbekannten Schlafplatz in St. Pauli fernhalten sollte. Der Aufruhr war groß, viele Hamburger fühlten sich an die Zeiten des früheren Innensenators Ronald Schill erinnert. Doch von dem Vorhaben wurde schnell wieder abgelassen. Der federführende Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) musste einige Monate später wegen eines an einer Überdosis Methadon gestorbenen Mädchens den Posten räumen. Das Jugendamt, für das er zuständig war, hatte es trotz vieler Hinweise versäumt einzugreifen. Mit dem neuen Leiter sollte alles besser werden: Andy Grote (SPD) hat keinen Ruf als Hardliner und gilt als aufgeschlossen und kompetent.

Noch Mitte Oktober hieß es, die Bahn werde niemals das Hausrecht über den Bahnhofsplatz erhalten. Doch Grote hat seine Meinung schnell geändert. Immerhin schlägt er nun auch vor, einen sogenannten Trinkerraum für Obdachlose und Alkoholiker einzurichten. Dort könnten diese dann auch Toiletten benutzen. Glaubt man einigen Leserbriefschreibern in den Hamburger Medien, dann war der Uringestank das Schlimmste an dem vermeintlich unhaltbaren Zustand. Doch wird dabei häufig verschwiegen, dass die Stadt vor drei Jahren die Toilettenhäuschen auf dem Bahnhofsplatz abreißen ließ. Seitdem hieß es: entweder 70 Cent für die Toilette ausgeben oder draußen pinkeln.
Auch die Lage des Hamburger Hauptbahnhofs ist entscheidend: Er liegt in St. Georg, einem Viertel, in dem es früher eine große Fixerszene und einen Straßenstrich gab. Freiern ist es seit knapp einem Jahr jedoch verboten, mit den Prostituierten Kontakt aufzunehmen. Ihnen droht eine empfindliche Strafe, den Frauen ein Platzverbot. Eine Fixerstube, die immer noch beliebt ist, gibt es noch in dem Stadtteil. Aber sobald sie die Türen schließt, muss die Kundschaft verschwinden.

Das gesamte Viertel hat sich verändert. Zahlungskräftigere Mieter ersetzen die alten. Kleine Geschäfte müssen wegen horrender Mietsteigerungen schließen. Die alteingesessene Buchhandlung Wohlers konnte im letzten Moment dank vieler Unterstützer gerettet werden. Aus öffentlichen Plätzen wurden wenig einladende Flächen ohne Sitzbänke. Es gibt also kaum Rückzugsmöglichkeiten für die Trinker, die nun vom Sicherheitspersonal am Bahnhof vertrieben werden.
Markus Schreiber dürfte das recht sein. Er betreut mittlerweile für die Außenalster WPB Holding Luxussanierungen in St. Georg und möchte den zentral gelegenen Hansaplatz in dem Viertel zum schönsten Ort Hamburgs machen, wie er der Hamburger Morgenpost sagte. Wie der Platz aussehen soll, kann man sich vorstellen.