Marylé Sena im Gespräch über den Konflikt zwischen den Farc und der Regierung in Kolumbien

»Den Krieg beenden«

Nach 50 Jahren Krieg verhandeln die linke Guerilla Farc und die kolumbianische Regierung seit drei Wochen über ein Friedensabkommen (siehe auch Seite 13). Indigene und Bauern, die in erster Linie unter dem Konflikt leiden, sitzen nicht mit am Tisch. Marylé Serna gehört der Bauernbewegung des Departamento Cauca an, einer der am schlimmsten vom militärischen Konflikt betroffenen Regionen im Süden Kolumbiens. Außerdem ist sie Sprecherin des Congreso de los Pueblos, eines Bündnisses kolumbianischer Basisorganisationen. Mit ihr sprach die Jungle World über die Aussichten auf Frieden.

Welche Hoffnungen setzen Sie in die international als »historisch« gefeierten Verhandlungen? Indigene und Bauern sind ja nicht daran beteiligt.
Es stimmt, dass wir nicht in Oslo beteiligt sind, das gilt übrigens auch für die zweite Guerilla, die Nationale Befreiungsarmee (ELN). Wir wollen das aber auch gar nicht. Wir glauben nicht, dass dieser Verhandlungstisch der Ort ist, an dem Frieden im Land geschlossen wird.
Warum nicht?
Dort wird nur vom bewaffneten Konflikt als solchem gesprochen. Wir glauben aber, dass das Problem weit tiefer liegt. Deswegen haben wir als soziale Bewegungen einen alternativen Prozess, den Congreso de los Pueblos, in Gang gesetzt. Wir planen für März nächsten Jahres einen großen Kongress für den Frieden, vor allem aber streben wir eine dauerhafte zivilgesellschaftliche Organisation an, um demokratische Beteiligung durchzusetzen. Nur so können wir den Krieg beenden. Wir wollen Themen wie Landraub, soziale und kulturelle Rechte, Bürgerrechte, die Freihandelsabkommen und die Präsenz der multinationalen Konzerne auf die Tagesordnung setzen.
Viele dieser Themen dürfte die Farc auch im Sinn haben, sie will mit der Regierung über »Korrekturen der Wirtschaftsordnung« verhandeln. Die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos hat aber schon vorab klargestellt, dass sie ihre unternehmerfreundliche Politik, die Kolumbiens Wirtschaft boomen lässt, auf keinen Fall zur Disposition stellt.
Wir wissen, dass die Regierung bestimmte Themen nicht anrühren wird. Aber einen dauerhaften Frieden wird es ohne eine andere Politik nicht geben.
In den Wochen vor den Friedensverhandlungen sind eine ganze Reihe von Vertrauten des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe wegen Korruption und anderer Vergehen angeklagt worden. Dabei ist Präsident Santos selbst ein alter Weggefährte von Uribe. Ist das nicht ein gutes Zeichen?
Santos steht für das gleiche neoliberale Modell wie Uribe, aber er will ihm ein anderes Gesicht geben, um es effizienter zu machen. Deswegen gibt es Fortschritte in Sachen Demokratie und Justiz, wie diese Anklagen. Santos will sich so zwar von Uribe distanzieren, gleichzeitig liefert er das Land aber noch stärker dem Zugriff des Kapitals aus.
Der bewaffnete Kampf hat zu einer Militarisierung des Landes geführt. Bis heute herrscht keine Waffenruhe, allein in den vergangenen Wochen sind über 50 Rebellen getötet worden. Was wäre aus Ihrer Sicht der wichtigste Schritt, um die Lebensbedingungen in den Kriegsgebieten zu verbessern?
Natürlich muss es eine bilaterale Waffenruhe geben. Hinzu kommt, dass die Militarisierung grundsätzlich mit Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen einhergeht. Für unser Konzept von einem ganzheitlichen und nachhaltigen Frieden ist die Demilitarisierung daher sehr wichtig.
Wer soll die Kontrolle in den entmilitarisierten Gebieten übernehmen?
Wir wollen alternative Institutionen aufbauen, um die Sicherheit zu gewährleisten, etwa Bauernwehren oder die Guardia Indígena. Das sind Akteure, die von den indigenen Autoritäten eingesetzt wurden, um mit zivilen Mitteln die indi­gene Autonomie umzusetzen, und die an kollektive Entscheidungen gebunden sind. Sie haben unser Vertrauen – leider werden sie weder von der Regierung noch von der Guerilla akzeptiert.
In der letzten Zeit gibt es in Süd- wie Nordamerika immer mehr Menschen, die den »Krieg gegen die Drogen« für verloren erklären und deshalb für eine Legalisierung und staatliche Kontrolle des Kokainhandels plädieren. Halten Sie dies für eine gute Idee?
In den Gemeinden, die zum Anbau von Koka gezwungen werden, gibt es eine Dynamik von Gewalt und Zerstörung. Das Land wird unfruchtbar, die Umwelt und die sozialen Beziehungen nehmen Schaden. Den Nutzen aus dem Kokaanbau ziehen andere. Gleichzeitig war der sogenannte Krieg gegen die Drogen der Vorwand für die Militarisierung unserer Lebensräume, für Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen. Meine persönliche Meinung ist, dass eine Legalisierung und Kontrolle des Handels durchaus ein Ausweg sein könnten: Die Gewinne würden sinken, es gäbe kein so starkes Interesse mehr, den Anbau aufrechtzuerhalten.
Ähnliches sagt Evo Morales, der Präsident Ihres Nachbarlandes Bolivien. Ist sein Regierungsmodell Vorbild?
Eben nicht. Morales hat große Probleme, seine Politik zeigt, dass es sehr schwer ist, das neoliberale Herrschaftsmodell zu durchbrechen. Es genügt eben nicht, die institutionelle Herrschaft an sich zu reißen. Wir müssen um die Macht kämpfen, aber vor allem müssen wir um neue Formen der effektiven demokratischen Beteiligung kämpfen. Das ist unser Friedensprozess.