So schön. Ein utopischer Film

So schön

Ein utopischer Film.

1

tonio trifft franz. franz geht die treppe hoch, tonio geht sie runter. tonio dreht sich nach franz um, franz lacht und bleibt stehn. tonio traut sich nicht und geht weiter. franz kehrt wieder um. dann rennen tonio und franz über eine straße lachend. es ist ganz hell und sommer, und auf der straße kaufen viele leute ein. es ist eine fußgängerstraße. franz reißt tonio mit mit seinem lachen. eigentlich wollte tonio nämlich stark sein. tonio wollte heute nicht auf die klappe gehn. aber er ging doch und hat auf der treppe dahin franz getroffen. jetzt rennt er mit ihm, und sie sind zuhause. sie kommen rein, es ist auch drinnen sehr hell, die wände weiß, die räume groß, sie gehen über einen flur, franz voran, tonio guckt. in einem raum, es ist die küche, sitzt wer. franz sagt: hallo. der sagt zu franz: hallo, und zu tonio: hallo. der da sitzt, isst grad ein brot. er hat sich ein brettchen hingestellt, eine stulle geschmiert und aus einer folie wurst genommen. er hat, als er grüßt, den mund voll und trägt kurze haare, die er nach geschmack der zeit hochföhnt. er trägt eine brille und sieht ein bisschen älter aus als er ist, anfang zwanzig. auch franz und tonio sind anfang zwanzig, tonio hat einen seitenscheitel und kurze, vorne etwas längere haare, einen dem geschmack der zeit entsprechenden ponyschnitt. franz trägt seine haare halblang. er hat sie rot gefärbt, und wenn er gute laune hat, haben die haare locken. zu der zeit, da franz lebt, gibt es eine sängerin, deren haare hat er nachgemacht, milva. franz ist groß und schlank und trägt meistens weiße sachen. er wird sich im folgenden manchmal an die brust von jemand lehnen oder lehnen wolln, was ein bisschen zum lachen aussieht, weil er doch so groß ist und die andern etwas kleiner. aber das mit der brust passt doch eigentlich ganz gut, denn tonio hat breite schultern und ein tischört, dessen ärmel schräg angeschnitten sind. das macht breite schultern. tonio hat breite schultern und unterstützt sie mit seinem tischört. seine hosen sind eng. auch die hosen von franz sind eng. aber weiß. aber das sehen wir nicht mehr, denn er hat sie ausgezogen und ist mit tonio ins bett. lachend. das bett ist eine matratze, die in einem großen weißen raum liegt, der mit leinenvorhängen vor den fenstern nur leicht dunkel gemacht wurde. wir sehn franz ganz nah, wie er tonio ein bisschen nimmt, seine arme umfassen tonio, tonio ist noch ein bisschen verblüfft, nicht schüchtern nur verblüfft. franz küsst ihn, legt sich auf ihn, dann ist er unter ihm, beißt ihn in ein bein, setzt sich hin und guckt tonio an, lässt ihn seine armmuskeln anspannen, tonio nimmt die haare von franz & sagt: wiene frau.

2

paul guckt zur tür rein von franz und fragt: kaffee? franz und tonio liegen im bett, franz sagt ja. tonio schüttelt ein bisschen den kopf beim lachen und küsst franz. draußen hat paul kaffee gemacht, stellt ein tablett voll für zwei leute und dann eins für ganz viele. er nimmt das erste kleine und geht weg, gleich dieselbe bewegung mit dem zweiten dem großen tablett. mit dem durch den flur, ein fuß eine tür auf, wir gehn in ein großes, ein bisschen vollgestelltes zimmer, wo viele leute sind. jemand hilft ihm, es ist ein mann, die tür geht vor uns zu. drin die zehn leute sitzen am boden und auf sesseln und dem bett. sie reden erst ein bisschen durcheinander und trinken und verteilen tassen und so, kleine nahe bewegungen von tasse in hand und kaffee rein und jemand gibt einem andern was. das murmeln wird leiser. paul sagt: ich denke, es hat nur zweck, das ganze, wenn wir überlegen, was wir tun können. freundschaft beteuern und so brauchen wir nicht. das wissen wir ja schon, dass die hochschulgruppe die wohngebietsgruppe lieb hat. eine frau anfang vierzig sagt: ja paul, aber ihr helft uns ja eh schon aus immer. paul: eben, und jetzt helft ihr uns mal. die frau: soll ich mich vor die uni stelln und flugblätter verteiln? die leute lachen, freundlich, die frau auch. paul: gera du weißt schon. gera streckt ihm ein bisschen die zunge raus. paul: die meinung ist doch die: die an der hochschule sind nicht richtig drauf im politischen, haben keinen kontakt zur bevölkerung, arbeiten nich –. ein paar rufen: quatsch! naja, sagt gera, son bißchen. paul: also machen wir doch mal zusammen n bildungsabend. warum ist eine organisierte kraft nötig. vielleicht kommen da ja ganz witzige sachen raus, wenn die kindergärtnerin – (gera macht handküsse in die menge) – und der student – (alle gucken auf einen jungen, ders merkt, sich übertrieben umguckt ob er gemeint ist, dann auch handküsse wirft) – sich mal darüber verständigen, warum sie denn nun drin sind in der vorhut. – die leute lachen über das kleine schauspiel eben. paul sagt: gura? gara? wie war doch dein name? gera: puul? paal? ach paul! wieder gelächter. also gut gera, sagt paul. vielen dank, sagt gera. bitte bitte, sagt paul. also gera, sagt paul, wollt ihr zu uns kommen oder wir zu euch? kommt doch mal ins freizeitheim, sagt gera. paul gibt drei vor, dann sagen alle: machen wir! die leute stehen auf, verabschieden sich, reden ein bisschen. gera sagt zu dem jungen mann, der vorhin küsschen geworfen hat: bleibst du?, er sagt: ja. okay, sagt gera, also dann. und zu paul: also dann, söhnchen. paul: tschüss, mama.

3

gera geht den flur lang mit ein paar leuten, die küchentür ist auf. der flur ist lang und von offenen türen beleuchtet, in die hier geht sie rein. die küche ist hell, wie alles, ein tisch darin zum essen, die sachen in offenen weißen regalen, abwasch. trotzdem der eindruck von alles auf seinem platz. in der ecke ein weißer staubsauger. gera sagt, wir sehn sie in der tür: na? franz und tonio sitzen am küchentisch, franz sagt: eim mürmschtem? nein, lacht gera, kein würstchen. und zu tonio: guten tag. guten tag, sagt tonio. das ist tonio, sagt franz, meine neueste errungenschaft (er hat ausgekaut). gera sagt: ich bin gera. tonio guckt, wer zu wem gehört, gera sagt: ich gehöre zu dem jungen, der hier noch wohnt. gera ist groß, schlank, sportlich, kurze haare, ist offen. manchmal nickt sie bei etwas, um es zu erledigen, weil sie weiß, dass sie nicht bei allem drin ist, was ihr sohn macht; dies nicken ist dann einverständnis. ist sein mann drin?, fragt franz. ja, sagt gera. vielleicht wolln sie kaffee, sagt franz boshaft. gera lacht durch die nase, sagt tschüss, geht. franz nimmt eine leere kaffeekanne, stellt sie auf ein tablett wie eben paul, tassen und so, steht in pauls tür und sagt: kaffee?, geht zu ihnen, sie lagen schon halb auf der couch (die schwarzweiß ist), es läuft plötzlich ein deutscher schlager (glaub an dich selbst und dein leben beginnt), franz setzt das tablett ab, schenkt mit der leeren kanne keinen kaffee ein, verteilt die vollen tassen, der junge mit franz sitzt nur und paul hebt beide hände zum kopf, die daumen an die schläfen, lässt die finger vor und zurück wedeln und streckt die zunge dazu raus. in der küche küsst franz tonio. im zimmer küsst paul diesen jungen. der junge ist – wie sie alle – anfang zwanzig, sieht auf allen fotos vorteilhaft aus, hat kurze dichte, dunkle haare, braunen teint, grün irisierende augen, trägt sachen, als könne er sie sich erlauben, wir können ihn uns gut vorstellen als jemand, der fotos in james-dean-pose machen lässt und sie an agenturen schickt. er ist hier aber dekorateur. aber in geras partei­gruppe. aber fällt nicht auf in diskos. aber liebt paul. die vier küssen sich immer noch. der junge, den paul küsst, könnte erika heißen. da er aber ein mann ist, heißt er bruno oder fritz. da fritz so schlecht von dem namen von franz zu unterscheiden ist, heißt er bruno. der name passt allerdings überhaupt nicht zu ihm. wie gesagt, erika passt besser. aber es gibt noch eine erika, deshalb geht es nicht. bruno guckt manchmal franz an, als könne oder wolle der ihm paul wegnehmen. wir wissen nicht, weshalb. weshalb er so guckt. aber wenn franz was macht albern, dann guckt bruno nicht lustig manchmal.

4

einmal, dies ist eine rückblende, geht franz in das kaufhaus, in dem bruno arbeitet. er macht das, was bruno machen würde, könnte er den arbeitsplatz von franz aufsuchen und hätte zeit dazu. franz geht die leuchtenden treppen hoch, rollt an irgendwelchen ständen vorbei, sieht verkäuferinnen sich bücken, jemanden eine lampe nehmen und wegtragen, das preisschild weht hinter ihm her. franz sieht 77 schilder von der decke baumeln mit einem befehl, am ende der halle steht jemand auf einer leiter und macht das achtundsiebzigste davon an. er geht auf die leiter zu, franz, der drauf ist wirklich bruno, er geht zu einer verkäuferin, fragt sie etwas laut und deutlich. auf der großen leiter über uns steht bruno und guckt runter. er sieht franz. franz tut, als würde er bruno nicht sehn. die perspektive, aus der wir bruno gucken sehn, wäre unter anderen umständen ungeheuer anzüglich. franz hat locken und einen großen weißen kunstpelzmantel an. er flirtet ein bisschen mit der verkäuferin, einer älteren frau mit dauerwelle, die sich wundert, dass franz wolle kauft. ein bisschen haben wir angst, dass bruno runterfällt. das vorgehen von franz ist gemein. das vorgehen von franz ist gemein, weil es auf pri­vilegien beruht. franz geht mit der wolle, bruno bleibt. franz hat keine angst. franz verlässt das kaufhaus, ihm folgt kein detektiv, er geht durch die leuchtenden straßen. die sonne trifft sein haar, und es leuchtet rot. er sieht sich in der scheibe an, die das kaufhaus verglast, er sieht die leute, die ihn sehn, er sitzt in einem café, jemand kommt dazu, franz trinkt, der auch, sie trinken einander zu, franz geht wieder. franz sitzt zuhause und erzählt. einer schreibt mit, ein anderer macht fotos. franz bewegt seine hände, greift in seine haare, verzieht sein gesicht, lässt sich zurückfallen, zieht die beine an, guckt schräg und schätzt ab und lacht und zeigt etwas und steht in der küche und will eine kakaudose greifen und hat nur den deckel und der kakau fliegt in der küche rum und franz lacht und hält sich am tisch fest dazu. darüber musik, und franz fängt an zu singen, er singt: halt die welt an, stop die zeiger der uhren. wir sehn ihn, wie er – richtig mit mikro, ganz echt – die kamera ansingt, wie er so schritte macht, wie er choreografie einhält. die schönen stunden mit dir gehn sonst viel zu schnell vorbei. als er die strophe singt mit mein erstes rendezvous, sehn wir wieder tonio, wie er franz bei irgendwas zuguckt. tonio steht und guckt, vielleicht in der küche von franz, und denkt: das gibts nicht. das kann nicht sein. das ist nich echt; und sagt es. aber was ist das, echt. sagt franz.

5

bruno ist von der leiter runter und hat schluss. er steht am ausgang des hauses zum kaufen und wartet. guckt wartend. da leuchtet sein gesicht jetzt. da fängt er an zu lächeln. eine kol­legin fällt einem brecher um den hals, bruno steht noch. da ist paul da. sie stehn voreinander, ganz lächelnd. paul nimmt ihn an die hand, sie gehn durch den feierabenddrängel. sitzen zuhaus und küssen sich. bruno liest ein flugblatt, das paul geholt hat stolz, bruno fragt was dazu, paul erklärt. dann fragt paul was, und bruno zieht kurz eine schulter hoch und guckt runter. wie solls gewesen sein. blöd. und re­nate? noch nichts, sagt bruno, sie will ja ein mädchen. wir sehn paul und bruno drunter tee kochen (paul) und salat machen (bruno). dann fahrn sie ubahn, sitzen nebeneinander, gucken jeder woanders hin, paul legt seine hand auf die hand neben ihm auf dem sitz, bruno zieht sie weg mit kurzem blick: nicht, die leute. da­rüber sagen sie: wie warn die neuen schuhe? – ich hab wieder ne blase. aber das ist immer bei neuen. sie solln ja sehr bequem sein. warn auch teuer genug. ich liebe dich. – ich dich auch. – und du? – jürgen ist habilitiert. wir warn alle da, ich hab eine frage gestellt. die ganze partei­gruppe war da. stell dir das vor: die parteigruppe begleitet den habilvortrag eines ihrer mitglieder mit tosendem applaus. besonders war der vortrag aber nicht. – und jetzt ist jürgen professor? – jetzt kann ers werden. – heut hab ich dem deuter ein schild auf den kopf knallen lassen. – mit absicht? – n bisschen. ich habs drauf ankommen lassen. die kette ist gerissen, an der es hing. – und? – er konnte nichts machen. bruno sieht sehr jung aus, jünger als er ist. wie bruno spricht und sitzt, traun wir ihm eine geschichte wie die mit dem schild nicht zu. wir denken z. b. nicht, dass er jemanden anbrüllen kann. wir denken z. b. nicht, dass er auf jemanden losgehn könnte. sie steigen jetzt aus, gehn hoch in ein viertel mit viel grün und durch grün auf ein großes betonhaus zu. die kleinen straßen werden voller, leute in dem alter von den beiden, diese leute liegen auf den wiesen oder stehn an der essenschlange. an der essenschlange steht eine junge frau und verteilt flugblätter. hallo gisela, sagt bruno, gisela sagt: hallo, und paul: hallo. du verteilst mit, sagt gisela zu bruno. ja, sagt bruno. na wunderbar, sagt gisela. bruno nimmt einen packen und geht zu den leuten auf der wiese. paul hat eine liste und versucht, leute auf sie unterschreiben zu lassen.

6

der kern der arbeiterklasse. bilder von männern, die glühendes in einen ofen tun. die arme, die schutzbrilln, die hitze. leute in weißen kitteln vor schaltpulten. leute, die auf dem sportplatz fußball spieln. das meiste, was die jugend bewegt, ist durch tausend fäden verknüpft mit dem kampf der arbeiterklasse, zu der ja die meisten jungen menschen unserer stadt selber gehören. jemand, der etwas vorliest auf einem podest. jemand, der als cowboy verkleidet neue zigaretten anpreist. jemand, der augenbrauenstifte kauft. jemand, der sich schminkt. tonio, der aus einer bank kommt. tonio, der sich in einer bank einen mantel anzieht. tonio, der auf die uhr guckt. tonio, der geld zählt. tonio, der ja herr deuter sagt. tonio, der seinen schlips rückt und zum chef geht. tonio, der seinen wecker ausmacht. tonio, der nachts nach hause kommt. tonio ist bankangestellter. tonio war abends mit franz weg. tonio heißt eigentlich hans hansen, wirklich, aber das wäre zu plump. tonio gähnt ein bisschen, wenn er arbeitet und am abend vorher mit franz weg war. franz hat gesungen in einer kneipe und tonio mitgenommen danach an orte, wo er erkannt wird, franz. franz setzt sich immer mit dem rücken zum publikum, so nennt er das, wo die meisten leute doch die wand hinter sich haben wolln. so passt franz zu den meisten leuten gut, in dieser beziehung. franz hat an dem abend gestern wieder den weißen mantel an und streicht wieder viel in seinen haaren rum. und trinkt heiße zitrone, tonio gintonic. jemand kommt zu ihnen an den tisch, das lokal ist weiß mit bildern an der wand, sehr modern, und begrüßt franz und von der seite tonio (wer issen das?). tonio ist die spur zu gut gekleidet wie franz, aber anders. er hat sich noch nicht umziehen können nach der arbeit (gestern hat er auch gearbeitet). franz versucht sehr, keinen unterschied zu machen zwischen auftritt und lokal. tonio versucht den unterschied, zwischen seiner arbeit und der zeit hier. wenn tonio es nicht geschickt kaschiert, sieht ihm der unbefangene zuschauer den bankangestellten schon hundert meter gegen den wind an. tonio ist homosexuell. das sehen ihm viel weniger menschen an, zum beispiel. wenn tonio nicht in der bank beschäftigt wäre, würde er sich eine kleine strähne seines ponys färben lassen, türkis vielleicht. der abend in dem hellen lokal ist schön. einmal grüßt auch tonio wen, er erzählt franz, dass er mal mit dem geschlafen hat, es ist schon ein glück, dass der überhaupt noch grüßt. franz und tonio bringen ihre köpfe nah beieinander und lachen. franz gibt ihm einen kuss, tonio. tonio zwingt sich, nicht wegzuziehn.

7

tonio ist aus seiner bank gekommen und zu franz gegangen. bruno-erika hat flugblätter verteilt und ist mit zu paul gegangen, er hatte einen halben tag frei noch zu kriegen. paul und bruno haben miteinander geschlafen. tonio und franz haben miteinander geschlafen. einmal musste franz ein bisschen lachen, weil tonio an einer stelle fragt, was machst du? franz sagt dann: das weißt du doch. das merkst du doch. und lacht. paul hat bruno in seine arme genommen und am ende hin und her gewiegt. bruno macht beim küssen immer die augen zu, paul nicht. franz macht die augen auch zu, aber sicher können wir nicht sein. franz lässt sich falln wo es geht. heute nacht ging es. franz steht auf und tut so, als wolle er frühstück machen. da steht tonio auch schon auf und sagt: ich mach schon. da legt franz sich wieder hin und liest ein bisschen was über sich. da steht, dass er zeug hat. das zeug nämlich, noch höher zu steigen. auf der erfolgsleiter nämlich (die perspektive, aus der wir franz gucken sehn). tonio hat wieder rumgezickt gestern. tonio hat gesagt, er will heut nicht. tonio war müde (franz glaubte das). franz glaubte das und ließ ihn. da hatte tonio schlechte laune. tonio wollte noch was trinken, als sie zu hause warn. tonio ging in die küche und kam nicht wieder. tonio traf in der küche paul. er unterhielt sich mit paul. als er aus der küche zurückkam, war franz eingeschlafen. deshalb haben sie eben grade miteinander geschlafen. paul und bruno haben schon gestern abend miteinander geschlafen. bruno wird ganz still, wenn er mit paul schläft. ganz sanft auch, und still. einmal war es so schön für die beiden, dass paul richtig doll lachen musste mittendrin, sie schliefen miteinander, und paul lachte ganz doll und kam. es war so schön, dass er bruno gar nicht mehr berühren brauchte. bruno kam auch. danach haben sie sich ganz lange geküsst. ganz lange. tonio hat schon wieder paul getroffen in der küche. ein bisschen geht bruno nicht in die küche, weil er da franz treffen könnte. bruno redet nicht viel mit franz. bruno will nicht viel mit franz reden. als franz einmal im kaufhaus war und ihn angeguckt hat, hat er ganz lange nicht mit franz gesprochen. nicht, dass er ihm nicht geantwortet hat. aber er wusste jedwedes gespräch geschickt zu umgehen. ein bisschen fragt sich bruno, warum paul und franz überhaupt zusammen wohnen. wo sie doch fast nichts zusammen machen. angeblich, ganz früher, war franz mal mit zu einer versammlung. er ist aber früher gegangen. wenn franz gesungen hat wo, war paul auch schon mal mit, aber er guckte mehr die leute an, franz kannte er ja schon. aber sie haben beide wenig geld. das ist das, was bruno weiß.

8

franz ist wieder eingeschlafen. er wacht wieder auf ganz langsam. er dreht sich um zu uns im schlaf, nimmt ein kissen nah an sich, kuschelt sich rein, dreht sich wieder um, zieht aufm bauch die beine an, hockt jetzt im bett noch halb schlafend, blinzelt, ob er alleine ist, ist er alleine oder ist tonio in der küche?, tonio ist in der küche, ja, franz entspannt sich und fällt um, lächelt versunken darüber, liegt ausgebreitet auf dem rücken, wir sehns von oben, er dreht sich von uns weg, macht die decke weg, geht. er geht wie er ist in die küche, und er ist nackt, paul steht auf und sagt: zieh dir was an maus, und holt einen weißen bademantel. bruno sitzt auch schon da, und für franz ist gedeckt. wie lange sitztn ihr schon, sagt franz. nich lange. paul sagt: versungen gestern? ich bin, sagt franz, ein einziger versinger. na, sagt paul freundlich. und: heute demo. auch das noch, sagt franz: wogegen wofür. paul steht auf, ballt eine faust, stößt sie zackig nach unten und sagt dazu: gegen den krieg!, stößt die faust in die luft und sagt noch bestimmter: für den frieden! sie lachen. – kommt wieder irgendwer hierher, der das gegenteil behauptet? – nein, sagt paul, aber es ist jahrestag. verstehe, sagt franz: kommst du mit? natürlich kommt er mit, sagt paul. er kommt wohl, sagt franz, eher unnatürlich mit. oder? ja, sagt tonio. eben, als sie gelacht haben, hat franz ganz laut und hell gelacht und kreischig und bruno nur mit dem mund und tonio richtig. was zieh ich denn an, sagt franz vor dem großen spiegel im flur. bruno muss sich an ihm vorbeidrängeln, franz hält ihn am arm und sagt: geht das? sicher geht das, sagt bruno. franz hat seine ganz enge weiße satinhose an und ein pludriges weißes hemd. jetzt packt er eine weiße tasche voll mit spiegel und fettstift für die lippen und kleinem deo und kleinem stadtplan und einem taschentuch und fahrkarte und geld und kajalstift und erfrischungstüchlein und ruft: wo issen mein schlüssel? paul und tonio und bruno stehn schon an der tür und warten, und paul sagt: das weißt du doch. rraahh!, schreit franz, wenn ich es wüsste würd ich doch nicht fragen! na auf dem küchenregal, sagt paul. vielen dank, sagt franz. er holt ihn. alles klar, sagt paul und sieht die andern an. franz sagt: alles klar. als sie den ubahnschacht hinuntersteigen, pfeift ein dreizehnjähriger franz nach, der in seinen engen schuhn nicht so schnell vorankommt wie die andern. franz dreht sich um und guckt den dreizehnjährigen an, wie man einen dreizehnjährigen nicht angucken sollte. als er die andern eingeholt hat, sagt er: habt ihr gesehn, da hat mich schon wieder einer erkannt.

9

franz rennt immer noch, diesmal hinter mehren her. alle rennen ein bisschen, die leute ziehn schnell und winken denen an der seite zu. die an der seite kriegen auch flugblätter, auch von bruno, und sie gucken skeptisch (ein älteres ehepaar), belustigt (zwei männliche türkische arbeiter), ratlos (eine frau, die eigentlich einkaufen wollte) (es ist samstag) (verkaufsoffener samstag), ein junger aufm fahrrad traut sich nich, leute winken oben aus dem haus mit den transparenten (es ist wohl instandbesetzt), und einer frau mit goldbrosche, klein und pelzkragen und fünfzig, will bruno ein flugblatt geben. sie sagt nein und bruno guckt und sie lacht und sagt: ich habs geschrieben. helmut sagt (helmut ist auch da): schaut, die vom nightlife sind auch alle da, alle etwas angeschossen weil es viel viel zu früh ist aber da. dann singen welche ein lied, wehrt euch leistet widerstand. paul versichert sich mit den augen und singt dann mit. franz auch. es ziehen wagen mit mit großen pappraketen, einer der mitgeht hat eine maske auf, in der er aussieht wie ein präsident, ein paar frauen haben die gesichter weiß und andere haben kinder an der hand oder müssen nach hause, stillen. ich will auch, sagt franz, nach hause stillen. komm, baby, ich mach dir eins, sagt tonio und erschrickt darüber. franz kriegt sich nicht wieder ein. jetzt sagen welche im takt: weg mit den atomraketen, und es sagen immer mehr. paul auch. franz hat sich paul und tonio genommen und geht rückwärts und hat sie an der hand. er guckt sie an, macht ein mächtiges gesicht und sagt immer wieder: weg mit den atomraketen! weg mit den atomraketen! und betont mal das a von den atomraketen, dann das ra von den raketen, dann das en von den raketen. franz zieht sie ein bisschen, und weil bruno paul an der hand hat, zieht er alle mit. tonio guckt sich manchmal um, ob wer an der seite steht, den er kennt, er geht auch nicht zur demo von den schwulen. tonio hat ein bisschen angst. tonio denkt, es nützt sowieso nichts. also warum sich schwierigkeiten machen. andrerseits findet er es hier auch ganz witzig. als ihm einfällt, dass er es hier witzig findet, muss er auch schon lachen. weil franz so komisch ist. weil er gar nicht hierher passt. sie gehen in der nähe von leuten, die alle eher normal aussehn. obwohl die andern in dem zug oft jung sind und angemalt, aber die hier. fast fällt tonio schon auf mit seinen hosen. und dann erst franz. bestimmt denkt bruno das auch. franz geht rückwärts und hat tonio an der hand und paul. und bruno. unter einem brückenbogen von der sbahn johlen sie nochmal alle. dann kommen die rauchschwaden von vorne und die polizei. es ist wie im fernsehn. alle rennen weg.

10

franz ist aufgestanden von der couch in seinem zimmer (schwarzweiß und genau wie die von paul) und hat gesagt moment mal, und tonio sitzt und guckt uns an und sagt: ich möcht gern irgendwas ganz anderes machen. ich weiß noch nicht, ob ich weitermache in der bank. ich würde gern auch studiern, wie paul. oder was künstlerisches. irgendwas am theater. auch hinter der bühne. einmal hat mich franz gefragt, wozu ich lust hab; und ich hab angefangen: ein halbes jahr um die welt, und mal in einem hellblauen anzug über einen bahnhof gehn, und achtmal hintereinander kettenkarussell, und in der zeitung stehn. er meinte aber nur im moment. wozu ich grad lust hab.

11

das zimmer ist weiß. die bilder an der wand haben weiße dünne rahmen, es ist wer drauf aus einem film oder es ist etwas gemalt. die lampe ist weit oben, die überdecke vom bett glänzt ein bisschen, auch weiß. es ist ein bisschen wie in einem katalog. es ist ausgewählt. es ist das zimmer von franz. manchmal zieht sich franz lauter schwarze sachen an, das ist so schön unmodern. dann ist er jemand anders vielleicht. meistens ist er aber weiß. wie das zimmer von paul. auch das zimmer von paul ist ziemlich weiß. erst hat franz paul ein paar sachen geschenkt, die er nicht mehr brauchte, sie waren weiß. dann passten dazu nicht mehr die komischbraunen sachen und zum weißen jacket nicht mehr das grünrotkarierte hemd. ein grünrotkariertes hemd!, sagt franz einmal, als er paul ansieht. paul steht vor ihm und sie gehen beide weg und franz zupft noch ein bisschen an paul herum. franz hat freunde, die vor einer verabredung viel zu früh fertig sind und alles steht schon, der kragen und die haare und ­alles, und so sitzen sie ganz grade auf ihren betten und lesen noch schnell was und warten, und es kommt nichts durcheinander. sowas macht paul nicht. paul hat in seinem zimmer viele bücher. er hat sich immer mit den andern angelegt und musste deshalb viel wissen. oder er wusste viel, und deshalb musste er sich mit den andern anlegen. früher saß paul manchmal in seinem zimmer und sah sich um und dachte: wenn einer reinkommt und sieht das, was denkt er. paul stand dann auf und ging zu dem leninbild. aber er hatte ihm doch rote lippen gemalt, dann konnten sie doch nichts dagegen haben. er war doch nicht eng. sie doch. sie. seit franz wurde sein zimmer heller. die plakate hängen jetzt im flur (abgehängt werden sie nicht), die fotos von den andern grad wieder im schuhkarton, keine fotowand mehr. wo paul hinkommt, haben die leute sich an der wand (wie franz) und pinnwände (wie er). sie, wenn sie zu ihm kommen, sind erstmal ein bisschen still und verschütten keinen kaffee. da sollten sie erstmal franzens zimmer sehn. sie vermissen die grünpflanzen und hochbetten und hängeregale und deckchen und figürchen. schwule sind, sagt franz mal zu ihm, schwule sind diminutiv. dann, sagt paul, bin ich nicht schwul. wusst ichs doch, sagt franz: ich vermisse an dir missionarischen eifer, diskussionsfreudigkeit und schnelles reagieren in brenzligen situationen, beides zeichnet den langjährig schwulen bezettweh arbeiterbewegten klässler und kämpfer aus, ich vermisse das an dir, schätzchen. tust du das, sagt paul: dann erwähn doch bitte noch die fehlende einschätzung der partei zu uns. und franz: wenn du willst.

12

grad eben daran musste paul grad eben jetzt denken, in diesem moment, an dieses: wenn du willst. paul sitzt neben bruno und bruno malt. beide sind auf einer versammlung der mitglieder der gruppenvorstände des kreises. die mitglieder der gruppenvorstände haben sich den bericht des kreisvorstandes angehört und paul hat gedacht: warum nehmen wir nicht wen, der eine modischere brille hat. warum nehmen wir nicht wen, der besser reden kann. warum nehmen wir nicht wen, der weniger säuft. bruno hat gedacht: ich möchte ihn küssen. aber dies ist ja ein film, und da denken die leute nicht. der kreisvorsitzende ist ein mann an die sechzig, oder sieht nur so aus, und er sitzt jetzt vorn und hört sich die andern an. die andern haben alle alter, es sind so dreißigvierzig. kommunistenehen finden in kreisbüros statt. deshalb halten sie auch lange. bruno und paul sind schon sehr lange befreundet. sie gehen sehr vertraut miteinander um. sie waren von den ersten, die die andern mit sich konfrontierten, und sie taten es sehr ehepärlich. trotzdem küsst jetzt bruno paul nicht. bruno denkt: nein. bruno guckt, als denke er: wenn es nicht so blöd wäre, würde ich unterm tisch lesen. dabei hat der kreisvorsitzende vorhin mal wieder genau die richtigen sachen gesagt. einer vom parteivorstand hat nämlich gesagt, die jugend kommt in bewegung. und jetzt schaun wir, wo das alles ist. eigentlich müssen wir kommunisten überall sein. überall, wo die jugend ist. in den kneipen, an den arbeitsplätzen und in den ämtern, in den konzerten und kinos. am besten, wir winken ihnen von der leinwand runter oder aus den büchern. wir müssen alles mit allem in verbindung bringen. wir müssen andauernd aufpassen, dass wir uns auch bewegen. das ist ziemlich anstrengend. nichts genügt mehr, und weil wir so oft recht haben, wissen wir das manchmal nicht. – der kreisvorsitzende hat das so nicht gesagt, aber hat es so gemeint. der kreisvorsitzende hat seine letzten beiden ehen hier im kreisbüro verbracht, und das sehen wir ihm an. er trägt einen anzug, er trägt in seinen haaren krem. sähen paul und bruno sehr anders aus, fiele das auf. die leute um sie sehen aus wie verwaltungsangestellte oder arbeiter, die verwandte besuchen. die leute um sie sind froh, dass paul und bruno ein paar sind. paul und bruno sind auch froh, dass sie ein paar sind, besonders bruno. dafür hat bruno aber auch mehr angst. nachher, wenn sie aufgestanden sind, wird gera noch ein bisschen mit ihnen stehn und den andern, sie werden noch etwas trinken gehn, sie werden witze machen und sich einen schönen abend. da werden paul und bruno eine weile dabeisein, dann werden sie franz treffen, paul wollte das. franz wartet nämlich auf sie.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Ronald M. Schernikau: und als der prinz mit dem kutscher tanzte, waren sie so schön, dass der ganze hof in ohnmacht fiel. Herausgegeben von Thomas Keck. Mit einem Nachwort von Stefan Ripplinger. Verbrecher-Verlag, Berlin 2012, 120 Seiten, 18 Euro. Das Buch ist soeben erschienen.