Unisex-Tarife für private Versicherungen

Unisex sells

Das wird nicht billig: Ab dem 21. Dezember gelten Unisex-Tarife für private Versicherungen.

Männer fahren schneller Auto. Frauen gehen häufiger zum Arzt. Deshalb haben Männer bisher höhere Beiträge für die KFZ-Versicherung gezahlt – und weil sie risikofreudiger sind und früher sterben auch für die Unfall- und Risikolebensversicherung. Dagegen sind die private Kranken- und Rentenversicherung sowie die Berufsunfähigkeitsversicherung für Frauen teurer.
Wegen der Tarifunterschiede kann die Differenz der über Jahrzehnte gezahlten Beiträge einige zehntausend Euro ausmachen. So zahlt eine 35jährige Frau in einer Beispielrechnung der Hanse-Merkur-Versicherung zurzeit 297 Euro für den Standardtarif der »Start Fit«-Versicherung für Selbständige, ein gleichaltriger Mann dagegen nur 203,03 Euro. Deutliche Unterschiede gibt es bislang ebenso in der Rentenversicherung. Bei gleichen Einzahlungen erhalten Frauen unter Umständen zehn Prozent weniger Rente im Monat – weil die Versicherer davon ausgehen, dass sie länger zahlen müssen. Für die Risikolebensversicherung zahlen Männer dagegen im Jahr zwischen 40 und 100 Euro mehr als Frauen.

Das soll sich nun ändern. Ab dem 21. Dezember gelten sogenannte Unisex-Tarife für alle privaten Versicherungen. Grund dafür ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom März 2011, wonach die unterschiedlichen Tarife für Frauen und Männer unzulässig sind. Glaubt man Versicherern und Medien, ist damit das heteronormative Zeitalter zu Ende. »Ihr Geschlecht tut nichts zur Sache«, titelt etwa Focus online, die Nachrichtenagentur DPA verschickt eine Meldung mit der Überschrift: »Kleiner Unterschied spielt bald keine Rolle mehr«. Der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) veröffentlichte im vergangenen Jahr in der Verbandszeitung PKV Publik einen Cartoon, in dem ein Versicherungsvertreter einem Kunden die Hand schüttelt mit den Worten: »Ob Sie jetzt Frau Müller sind oder Herr Müller, macht in Zukunft auch keinen Unterschied mehr …« Die Deutsche Krankenversicherung bietet derzeit auf Facebook einen »Unisex-Scanner« an, der herausfinden soll, »wie unisex« die eigenen Freunde sind, und lädt mit der Frage zur Benutzung ein: »Ihr tragt schon einmal die gleichen Turnschuhe oder T-Shirts, geht zum selben Friseur oder heißt beide Pascal mit Vornamen?«
Selbstverständlich geht es bei den Unisex-Tarifen nicht um die Frage, ob Männer und Frauen künftig die gleichen Turnschuhe tragen müssen, dürfen oder wollen. Sie sollen bei privaten Ver­sicherern lediglich die gleichen Prämien zahlen. Ähnliche Diskriminierungsverbote gibt es bereits für andere private Verträge, etwa im Arbeitsrecht oder bei der Vermietung von Wohnungen. Geregelt ist all das in der Europäischen Gleichstellungsrichtlinie, der Deutschland mit dem seit 2006 geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nachkommt. Allerdings konnte die Versicherungslobby eine Ausnahme durchsetzen: Gemäß der EU-Gleichstellungsrichtlinie durften die Mitgliedstaaten unterschiedliche Tarife bei Versicherungsverträgen erlauben, wenn sie sicherstellen konnten, »dass genaue Daten in Bezug auf die Berücksichtigung des Geschlechts als bestimmender versicherungsmathematischer Faktor erhoben, veröffentlicht und regelmäßig aktualisiert werden«. Solange es sich also statistisch nachweisen ließ, dass Männer häufiger Autounfälle bauen und Frauen öfter zum Arzt gehen, durften die Versicherer unterschiedliche Tarife ansetzen.

Gegen diese Ausnahmeregelung klagte eine belgische Verbraucherorganisation. Der Europäische Gerichtshof entschied daraufhin, dass die Versicherungen künftig die gleichen Tarife für Männer und Frauen anbieten müssen. Weil die Ausnahmeregelung für Versicherer unbefristet galt, sah das Gericht nämlich die Gefahr einer dauerhaften Ungleichbehandlung. Es erklärte die Ausnahme mit Wirkung zum 21. Dezember für nichtig, weil sie »der Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern« zuwiderlaufe.
Die Versicherer waren von dem Urteil wenig begeistert. »In der Versicherungswirtschaft geht es nach Risiken. Wer ein höheres Risiko hat, soll auch eine höhere Prämie zahlen«, sagt der Pressesprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Hasso Suliak. »Die Tatsache, dass Frauen fünf Jahre länger leben, muss eben berücksichtigt werden.«
Die Verbraucherverbände haben die Unisex-Tarife hingegen begrüßt. »Nur weil das Merkmal Mann und Frau einfach zu erheben ist, ist das kein Grund dafür, das jeweilige Geschlecht in statistische Sippenhaft zu nehmen«, sagte Gerd Billen, der Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen nach dem Urteil. Der Verband befürchtet allerdings, dass die Versicherer die neuen Tarife zu allgemeinen Beitragserhöhungen nutzen werden. Suliak bestätigt das: »Das Niveau der Prämien wird sich voraussichtlich insgesamt erhöhen.« Die Zeitschrift Finanztest der Stiftung Warentest hat Stichproben bei 20 Versicherern ausgewertet und kommt zu dem Ergebnis: Die Vergünstigungen für Frauen dürften gering ausfallen, die Preissteigerungen für Männer könnten bis zu 40 Prozent betragen.
Die Versicherer betonen zwar gerne, dass Männer und Frauen bisher gleichermaßen von den unterschiedlichen Tarifen profitiert hätten. »Aber ich kann doch eine KFZ-Versicherung nicht mit einer privaten Rentenversicherung vergleichen«, widerspricht Susanne Diehr vom Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie. »Erst recht nicht, wenn inzwischen alle aufgefordert werden, privat für die Rente vorzusorgen.« Sie sieht die Neuregelungen zwar vorsichtig positiv, immerhin werde »auf Druck der EU nun eine Ungleichbehandlung beendet«.

Da die Versicherer nicht mehr nach dem Geschlecht unterscheiden dürfen, sei es jedoch wahrscheinlich, dass sie künftig andere Kriterien stärker berücksichtigen, etwa das Alter, die Ernährungsgewohnheiten oder den Body-Mass-Index. Damit könnten die privaten Versicherer zum Vorbild für die gesetzlichen Kassen werden, befürchtet Diehr: »Auch bei der gesetzlichen Krankenkasse wird ja schon gesundheitsschädigendes Verhalten sanktioniert.« Die Risikoanalyse könnte damit ferner bei den gesetzlichen Sozialversicherungen das Solidaritätsprinzip ablösen.
Von der Einführung der Unisex-Tarife dürften vor allem die Versicherer profitieren, so unwillig sie sich auch geben. Denn sie haben mit dem 21. Dezember einen Stichtag, mit dem sie für Vertragsabschlüsse werben können. »Bleiben Sie ein Mann und sichern Sie sich eine höhere Rente«, heißt es beispielsweise bei der Europa-Versicherung. Die Berliner Bank wirbt mit dem Spruch: »Männer haben Vorfahrt. Noch.« Die Asset-Secur wiederum zeigt ein Bild, auf dem ein Mann und eine Frau am jeweils anderen Ende eines Seils ziehen, während der Text in militärischem Tonfall auffordert: »Männer, rettet eure Beitragsvorteile. Frauen, wartet nicht mit eurer Vorsorge.« Und die Universa hat sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Bis zum 20. Dezember um 24 Uhr lädt sie zum »Männerschlussverkauf«.