Der Geist des Blues

Berlin Beatet Bestes. Folge 168. Dr. Boogie Presents Bear Traces: Nuggets from Bob’s Barn (2011).

Fusselige lange Haare, Bärte und Blues. Diese Kombination aus Fans und Musik entrückte den Blues für mich schon früh in ein Niemandsland, das ich unter keinen Umständen betreten wollte. Als Jugendlicher in den achtziger Jahren wirkte er auf mich wie unter einer Staubschicht konserviert. Alte Hippielehrer und isolierte Ostler hörten Blues. Ich war jung, sie waren alt. Der Blues schien schon aus ästhe­tischen Gründen für mich verloren.
Die haarigste Band von allen waren in den Siebzigern Canned Heat, und so stellt das Cover dieser LP das augenfälligste Mitglied der Gruppe, den massigen Sänger Bob »The Bear« Hite, auch in den Vordergrund. Aus dessen Schallplattensammlung wurde diese Compilation von Blues- und Boogie-Aufnahmen der Vierziger und frühen Fünfziger zusammengestellt. Nachdem ich mich ein wenig mehr mit Canned Heat beschäftigt hatte, sah ich die alten Männer plötzlich mit anderen Augen. Sie waren gar nicht mehr so alt. Es waren wieder Männer Anfang zwanzig, die nicht so aussehen wollten wie ihre Väter. Sie suchten in der Vergangenheit nach Musik, die noch nicht korrumpiert war von einem sich immer schneller drehenden Zeitgeist der sechziger Jahre. Eigentlich waren es Typen wie ich. Der Comic-Zeichner Robert Crumb, auch er ein großer Blues-Fan und Schellackplatten-Sammler, hat sich selbst mal als mittelalterlichen Kasper gezeichnet, der sich in der modernen Welt nicht zurecht findet, weil er so sehr in seiner eigenen Retro-Welt abgetaucht ist.
Bob Hite, der 1981 gestorben ist, hatte schon Ende der sechziger Jahre eine Sammlung von mehreren zehntausend Schellackplatten zusammengetragen. Natürlich war das damals noch etwas einfacher als heute, da das Format erst Mitte der fünfziger Jahre aus der Mode gekommen war. Schließlich habe auch ich einige Schnäppchen gemacht, als in den neunziger Jahren viele Leute ihre Vinyl-Sammlungen loswerden wollten. Allerdings ging Hite mit seinem Fanatismus für den Blues noch einen Schritt weiter. Bevor er überhaupt selbst Musik machte, half er erstmal der Karriere des Bluesmusikers Sunnyland Slim auf die Beine. Blues galt in den sechziger Jahren bei Schwarzen als unmodern, genauso wie die elektrische Gitarre. Sly Stone durfte elektrisch sein, weil er ein Soulbrother war. Jimi Hendrix dagegen wurde von Schwarzen abgelehnt – zu weiß. Anders als der Jazz der zwanziger und dreißiger Jahre, der zum Synonym für weiße Musik wurde, blieb der Blues in den sechziger Jahren schwarz. Canned Heat, Eric Clapton und die Stones versäumten es nie, sich vor John Lee Hooker und Lightnin’ Hopkins zu verbeugen.
Die auf dem vielseitigen Label Sub Rosa erschienene Compilation »Bear Traces« ist eine Mischung aus Blues, Rhythm’n’Blues, Boogie und Doo Wop, die prominente Namen wie Lightnin’ Hopkins, Nappy Brown und Paul Gayton sowie Unbekanntere versammelt. Alle Titel machen gute Laune. Es ist Musik zum Tanzen und Rocken. Für Leute, die mal wieder eine LP kaufen möchten, die nicht korrumpiert ist vom sich immer schneller drehenden Zeitgeist. Wie Bob Hite immer sagte: »Don’t forget to boogie!«