Die Opfer sind auch nur Täter
»Apartheid: Südafrikas Geschichte, Palästinas Realität«, lautete das Motto für den akademischen und kulturellen Boykott Israels durch die Studierendenvertretung der University of the Witwatersrand in Johannesburg Ende August. Es ist eines von vielen Beispielen dafür, wie in Südafrika die Delegitimierung Israels vorangetrieben wird. So unterstützen vor allem linke und zivilgesellschaftliche Gruppen, die Vereinigung der Kirchen und Universitäten antiisraelische Kampagnen wie Boycott, Divestment and Sanctions (BDS). BDS wurde 2005 begründet und führt verschiedenste antiisraelische Strömungen weltweit zusammen, aufgerufen wird zu kulturellen, wirtschaftlichen, politischen, akademischen und sportlichen Boykotts, mit dem Ziel, »Israel zu ächten, wie Südafrika unter der Apartheid geächtet wurde«. Mitte Oktober erregte eine kostspielige Plakat- und Anzeigenkampagne Aufmerksamkeit, die von anonymen Geschäftsleuten, die BDS überstützen, gesponsert wurde. Landesweit wurde dabei auf Werbeflächen der Landverlust der Palästinenser seit 1946 dargestellt.
Auch der Gewerkschaftsdachverband Cosatu und die kommunistische Partei SACP, die mit der Partei African National Congress (ANC) an der Regierung beteiligt sind, unterstützen BDS. Einige Parteimitglieder setzen sich bereits seit längerem dafür ein, dass der ANC sich dem Boykott anschließt, Ende Oktober forderten nun auch 150 selbsternannte ehemalige Anti-Apartheid-Aktivistinnen und -Aktivisten aus aller Welt den ANC dazu auf. Unter ihnen befindet sich auch die Bundestagsabgeordnete Annette Groth von der Linkspartei. Die Boykottinitiative wird auch auf der Konferenz des ANC im Dezember ein Thema sein.
Bereits 2001 wurde bei einer Versammlung von über 3 000 NGOs am Rande der UN-Antirassismuskonferenz im südafrikanischen Durban eine Resolution beschlossen, die Israel als rassistischen Apartheidstaat diffamierte. Damit wurde unter großer Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit die Legitimation für weitgehende Boykottaufrufe geschaffen. Den Effekt von Kampagnen wie BDS, insbesondere von akademischen Boykottaufrufen, möchte Benjamin Shulman, ehemaliger Vorsitzender der Vereinigung jüdischer Studierender in Südafrika, nicht überbewerten, er betont jedoch deren Symbolkraft. »Internationale Solidaritätskampagnen fühlen sich dadurch bestärkt, dass südafrikanische Organisationen Israel als rassistischen Apartheidstaat verunglimpfen. Es wird argumentiert, dass der Vergleich gerechtfertigt ist, wenn ihn Menschen verwenden, die selbst unter der Apartheid gelitten haben«, sagt er der Jungle World.
Eines von mehreren öffentlichkeitswirksamen Projekten ist die Dokumentation »Roadmap to Apartheid«. Die südafrikanische Produktion wurde im März anlässlich der »Israeli Apartheid Week« erstmals ausgestrahlt und hat seitdem mehrere internationale Preise von Honolulu bis Mailand gewonnen. Die 95minütige Dokumentation möchte den Vorwurf, Israel sei ein Apartheidstaat, mit Fakten stützen. Es kommen israelische Friedensaktivisten, südafrikanische Anti-Apartheid-Aktivisten, internationale Unterstützer der Palästinenser sowie Bewohnerinnen und Bewohner Israels und des Westjordanlands zu Wort. Um jedem Vorwurf der mangelnden Objektivität vorzubeugen, heißt es im ersten Satz der Filmbeschreibung, dass dieser Film von einer weißen Südafrikanerin und einem israelischen Juden gedreht worden sei, die aus erster Hand von ihren Erfahrungen berichteten.
Mit geschickten Überblendungen und Gegenüberstellungen versucht der Film, Parallelen zwischen dem heutigen Israel und dem südafrikanischen Apartheidsregime aufzuzeigen. In der südafrikanischen Geschichte und Gegenwart wichtige Konsequenzen der Apartheid wie Passkontrollen, Wasserknappheit und die Trennung von Bevölkerungsgruppen, etwa durch Zäune und Mauern, werden detailliert analysiert, während die politischen Kontexte, wie die jeweiligen Umstände der Staatsgründung und die Bedrohung durch Nachbarstaaten der beiden Länder, anscheinend keiner Erwähnung wert sind. So kommt der Film zu dem Schluss, dass die einzige Lösung des Nahost-Konflikts die Gründung eines gemeinsamen Staates sein könne, der auch allen Flüchtlingen ein Rückkehrrecht gewähre. Als Vorbild wird dafür das heutige Südafrika herangezogen. Dass dies das Ende des jüdischen Staates bedeuten würde, müsste den Autoren des Films klar sein. Dies scheint jedoch nicht als problematisch wahrgenommen zu werden, da in ihrer vereinfachten Analyse der weltweit existierende Antisemitismus, der Israel nach wie vor notwendig macht, gar nicht vorkommt. Der Widerstand gegen die Apartheid wird sogar mit der Intifada gleichgesetzt. Überraschend knapp behandelt der Film hingegen die Tatsache, dass Israel tatsächlich, vornehmlich in den späten siebziger und achtziger Jahren, enge Beziehungen zum südafrikanischen Apartheidsregime pflegte und dieses mit Waffen und moderner Technologie belieferte.
Trotz der weit verbreiteten und teils aggressiven antiisraelischen Stimmung im heutigen Südafrika kommt Milton Shain, der Direktor des Kaplan-Zentrums für jüdische Studien und Forschung in Kapstadt, zu dem Schluss, dass Antisemitismus nach dem Ende der Apartheid stärker geächtet werde als früher. Dies hänge vor allem mit dem Konzept der »Regenbogennation« und der vergleichsweise liberalen südafrikanischen Verfassung zusammen, die Intoleranz und Diskriminierung ächtet. »Während sich Antisemitismus in die Alltagskultur vieler europäischer Länder eingeschrieben hat, beschränkt er sich in Südafrika auf einen politischen Elitendiskurs und wird vor allem im Zuge antiisraelischer Reden sichtbar«, meint Shulman. Neben jüdischen Organisationen beziehen vor allem rechte Parteien wie die African Christian Democratic Party (ACDP) eine proisraelische Position. Von linken Gruppen ist hingegen keine Kritik an den zahlreichen Boykottaufrufen zu vernehmen.