Der Aufstieg der Nazis in der Krise

Ein Hauch von Weimar

Das Manifest »Nichts Goldenes an dieser Morgenröte« zieht eine Verbindungslinie von Rostock nach Athen.

Es ist ein Warnruf der besonderen Art gegen die Faschisierung, der in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. »Manche bezeichnen uns als Diaspora-Griechen, andere als Dritte Generation der Gastarbeiter, für manche sind wir Fremde.« So beginnt der Text mit dem Titel »Nichts Goldenes an dieser Morgenröte«, der bis Redaktionsschluss bereits von mehr als 1 500 Personen unterzeichnet war, darunter auch Prominente wie Kostas Papanastasiou, der Wirt aus der Fernsehserie »Lindenstraße«. »In unserm Alltag waren wir es gewohnt, über Rassismus und Gewalttaten zu reden, die wir als Migranten in Deutschland erleben, und uns dazu zu verhalten«, heißt es in dem Manifest weiter. »Wir werden nie die Bilder von den Angriffen der Neonazis auf Migranten und Flüchtlinge in Rostock vergessen, bei denen Schaulustige Beifall klatschten und die Polizei tatenlos zuschaute, während all das live im Fernsehen übertragen wurde.« Ein Schlenker zum NSU und der »Verwicklung des Verfassungsschutzes«, dann geht’s von Rostock nach Athen. »Es trifft uns und macht uns gleichzeitig wütend, dass ähnlich Ereignisse in Griechenland alltäglich geworden sind.« Eine rhetorische Frage: »Wie sehr haben die Wirtschaftskrise, die Auflösung gesellschaft­licher Strukturen, die Geringschätzung der Institutionen, die Migrationspolitik in Griechenland und Europa zum Aufstieg der Chrysi Avgi beigetragen?« Eine Feststellung: »Sicher ist, dass in dieser Krise, die für Griechenland so schmerzvoll ist, sowohl die Politik Deutschlands als auch die Umsetzung von ausweglosen Sparmaßnahmen eine wichtige Rolle gespielt haben.« Und: »Die Krise der Wirtschaft verschärft die Krise der Demo­kratie.«
Es ist genau diese Verknüpfung von rassistischen Alltagserfahrungen in Deutschland, der deutschen Europa-Politik und dem Aufstieg der Neonazis der Chrysi Avgi, die die besondere Qualität des Manifests ausmacht. Zweifellos verschärft die von Angela Merkel forcierte Austeritätspolitik in Griechenland die Krise. Die europäische Migrationspolitik mit ihrer famosen Drittstaatenregelung wirkt sich in Griechenland, das die Xenophoben als Europas »Einfallstor« für Migranten bezeichnen, verheerend aus. Und wo die Krankenkassen zusammenbrechen, werden auch keine Flüchtlingsunterkünfte gebaut. Aber vielleicht ist der Abschreckungseffekt, der von auf den Straßen campierenden Migranten ausgeht, die von Neonazis traktiert werden, ja auch gewollt im europäischen Migrationsregime.
Vor einem Jahr kolportierte Tim Worstall auf einem Blog des Forbes-Magazins einen bitteren Witz, der in Finanzkreisen kursierte. »Nur halb im Spaß«, schrieb er, »wird manchmal gesagt, es gebe einen besseren Gebrauch von Deutschlands Geld, als es für weitere Bailouts (von Griechenland, B. B.) zum Fenster raus zu werfen: einfach einen griechischen Militärputsch sponsern und das Problem auf diesem Weg lösen … «
Die Pointe: Gäbe es einen Militärputsch in Griechenland, hätte das Land sofort die EU zu verlassen; was immer dann mit der griechischen Wirtschaft passieren würde, wäre einfach das Problem von jemand anderem. Manchmal scheint es fast so, als würde sich die deutsche Politik – die knallharte Politik eines Krisengewinners zulasten eines Krisenverlierers –, die unweigerlich zum Aufstieg der griechischen Neonazis beiträgt und ihn zugleich systematisch ignoriert, an diesem Scherz orientieren. Ein schönes Motto dafür könnte sein: »Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Coup d’Etat!«