Dimitris Psarras im Gespräch über die Geschichte und Ideologie griechischer Faschisten

»Es sind richtige Nazis«

Ein Gespräch mit dem Publizisten Dimitris Psarras, Autor des Buchs »Das Schwarze Buch der Goldenen Morgenröte«, über die Geschichte, die Ideologie und die Ziele der griechischen Neonazis.

Chrysi Avgi hat es geschafft, sich als Antwort auf die Krise darzustellen. Wie nähert sich die Partei ökonomische und soziale Fragen an?
Für den politischen Erfolg der Partei sind ökonomische und soziale Fragen nicht sehr relevant: Chrysi Avgi wird von Leuten gewählt, die das politische System »bestrafen« möchten. Unter den Wählerinnen und Wählern der Chrysi Avgi glauben die wenigsten ernsthaft daran, dass die Partei eine politische Strategie und Lösungen für die Probleme des Landes anbieten kann. Chrysi Avgi wird als eine Art Schlag ins Gesicht des bestehenden politischen Systems betrachtet.
Das ist die eine Seite, die Partei als »Gegnerin des Systems«. Auf der anderen Seite gibt es genug Beweise für die Verbindungen der Chrysi Avgi mit dem Staatsapparat. Wie geht das zusammen?
Chrysi Avgi ist nicht einfach eine rechte, faschistische oder neonazistische Organisation: Es handelt sich um richtige Nazis. Der Kern der Partei, der sich um den »Führer«, Nikos Michaloliakos, gebildet hat, ist seit den achtziger Jahren derselbe. Die einzigen ideologischen Bezugspunkte der Partei stammen direkt vom deutschen Nationalsozialismus: Da finden wir die Klassiker der Naziliteratur, wie »Mein Kampf« und die Werke der Naziideologen Alfred Rosenberg und Joseph Goeb­bels. Auch benutzen die militanten Mitglieder der Partei dieselben Methoden wie die NSDAP, bevor sie an die Macht kam. In anderen europäischen Ländern sind rechtsextreme Parteien etwas, das außerhalb der Logik des politischen Systems angesiedelt ist. Auf Chrysi Avgi trifft dies nicht zu, und das hat historische Gründe. Da haben wir von Anfang an den Aspekt des »tiefen Staats«, insbesondere die direkte Kooperation mit der Polizei, die zwar jetzt in den internationalen Medien skandalisiert wird, aber schon immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Nach der Parteigründung in den achtziger Jahren war Chrysi Avgi eine kleine, politisch eher unbedeutende Gruppe. Ihre Schläger wurde ganz gerne gebraucht, um die Arbeit der Polizei zu erleichtern, etwa auf Demonstrationen von Linken und Studenten. Heute ist es umgekehrt: Chrysi Avgi gibt den Ton an und weist der Polizei die Richtung.
Haben Sie Informationen über die Geldquellen der Partei? Es gibt in diesem Zusammenhang Gerüchte über Verbindungen zur organisierten Kriminalität und Verwicklung in Drogen-, Menschenhandel und Prostitution.
Es gibt in der Tat viele Gerüchte darüber, wie sich Chrysi Avgi finanziert, und wir müssen damit vorsichtig umgehen. Ich kann nur über bestätigte Informationen sprechen. Wie ich vorhin meinte, hat sich die Partei nie außerhalb des Systems bewegt, und das gilt auch für deren Finanzquellen. Bereits in den achtziger Jahren wurde sie vom großen Kapital unterstützt. Nur ein Beispiel unter vielen: 1992 fand eine Konferenz der Partei im Hotel Karavel in Athen statt, die von Ioannis Thedorkopoulos, damals einer der wichtigsten Unternehmer Griechenlands, gesponsert wurde. Da haben wir wieder den Widerspruch, den Sie bereits erwähnten: Auf der einen Seite hetzt die Partei gegen die Austeritätspolitik der Regierung, aber wenn man genauer hinschaut, stehen die Nazis an der Seite des großen Kapitals. Neulich hat sich Chrysi Avgi für Steuererleichterungen für Schiffbauer eingesetzt. Über die Kontakte zur organisierten Kriminalität kann ich nur sagen, dass ein Großteil der Parteimitglieder aus Security-Leuten besteht, die in Nachtclubs arbeiten und teilweise in kriminelle Geschäfte verwickelt sind. Der lokale Anführer der Chrysi Avgi in Agios Panteleimonas etwa ist ein bekannter Mafioso, dem sogar zwei Morde vorgeworfen werden.
Verbindungen zwischen Faschismus und Staat existieren seit langem in Griechenland. Welche Kontinuitäten bestehen zwischen der Junta und den Gruppen, aus denen später Chrysi Avgi hervorgegangen ist?
Bereits während der Zeit der Junta gab es Verbindungen zwischen den Rechtsextremen und dem Staatsapparat. Nikos Michaloliakos und sein enger Mitarbeiter Christos Pappas, der heute auch im Parlament sitzt, waren in den siebziger Jahren Mitglieder der Organisation »4. August« (Datum des Putsches von General Ioannis Metaxas am 4. August 1936, Anm. d. Red.). Gegründet hatte die Gruppe der notorische Antisemit Kostas Plevris. Übrigens, nur um auf die griechischen Kontinuitäten aufmerksam zu machen: Kostas Plevris ist der Vater von Thanasis Plevris, der heute für die Nea Dimokratia im Parlament sitzt und früher ein Mitglied der faschistischen Partei Laos war.
Nach der Diktatur war Michaloliakos in terroristische Aktionen von verschiedenen rechtsextremen Gruppen verwickelt, die einen zweiten Putsch wollten. Diese wahllosen Aktionen, etwa Attentate in zwei Kinos in Athen, hatten das Ziel, einfach Leute umzubringen, und wurden teilweise mit der Unterstützung der italienischen neofaschistischen Gruppe Ordine Nuovo durchgeführt, die in den siebziger und achtziger Jahren in Griechenland tätig war. In diesem Zusammenhang wurde Michaloliakos verhaftet und verurteilt, nachdem bei ihm Sprengstoff gefunden worden war. 1984 wurde er vom einstigen Dikator Giorgos Papadopoulos – der seit 1974 im Gefängnis von Koridalos saß – zum ersten Anführer der Jugendorganisation der faschistischen Partei Epen ernannt. Aber in der Ideologe von Chrysi Avgi findet sich mehr als nur die Pro-Junta-Rhetorik. Michaloliakos verließ die Epen, weil sie ihm nicht antisemitisch genug war. Es war wieder Papadopoulos, der vom Gefängnis aus Michaloliakos’ Nachfolger ernannte. Dies war der militante Rechtsextreme Makis Voridis, der heute für die Nea Dimokratia im Parlament sitzt.
Vor zwei Monaten sagte Ilias Panagiotaros, der für Chrysi Avgi im Parlament sitzt, offen darüber, Griechenland stehe kurz vor einem Bürgerkrieg. Wie ernst sind solche Aussagen zu nehmen?
Das ist schwer zu sagen. Fest steht jedenfalls, dass solche Leute nicht metaphorisch sprechen. Schon am nächsten Tag distanzierte sich Panagiotaros von seinem Statement, das für großes Aufsehen sorgte. Paul Mason, der den Beitrag für die BBC verfasst hatte, veröffentlichte daraufhin das Video, in dem der Abgeordnete von einem »neuen Typus von Bürgerkrieg« spricht, mit den Nationalisten »wie wir« auf der einen Seite und den »illegalen Migranten, Anarchisten und all denjenigen, die Athen verschiedene Male zerstört haben«, auf der anderen. Die Eskalationsstrategie hat eine zentrale Bedeutung für die Partei. Sie ist vergleichbar mit der Strategie der italienischen Neofaschisten in den siebziger und achtziger Jahren: den Konflikt zwischen Rechten und Linken – im griechischen Fall auch Migranten – auf den Straßen eskalieren zu lassen lassen, um ein Klima der Angst zu erzeugen, das einen Putsch rechtfertigen könnte. Ich will nicht sagen, dass wir kurz davor stehen, aber die Bedingungen dafür sind derzeit auf jeden Fall gegeben.
Es gibt Gerüchte darüber, dass Mitglieder von Chrysi Avgi sich bewaffnen. Sehen Sie da nicht eine ernste Bedrohung des demokratischen Systems?
Ernst zu nehmen ist das auf jeden Fall. Allerdings kann Chrysi Avgi nicht allein an die Macht kommen. Deshalb versucht die Partei, die offene Konfrontation zwischen Faschisten und Antifaschisten eskalieren zu lassen. Die Taktik ist, den Staatsapparat dazu zu bringen, in diesem Konflikt zu intervenieren, natürlich im Sinne der Rechten, also gegen die Linken. Solche Szenarien kommen nicht nur von der Parteipropaganda, sondern auch seriöse Medien, etwa Vima, spekulieren über mögliche Putschpläne. Wenn die politische und wirtschaftliche Lage noch instabiler wird und sich die Gesellschaft immer mehr polarisiert, ist alles möglich.
Sie haben bereits die Verbindungen zwischen Chrysi Avgi und italienischen Neofaschisten erwähnt. Welche anderen internationalen Kontakte gibt es?
Verbindungen gibt es zu den spanischen Faschisten und weiteren faschistischen Organisationen in ganz Europa. Chrysi Avgi war etwa Teil eines Zirkels, der nach dem dem belgischen Faschisten Léon Degrelle benannt ist (einem ehemaligen Offizier der Waffen-SS, Anm. d. Red.), wie auch der deutsche Neonazi Michael Kühnen. In den vergangenen Jahren hat es auch rege Kontakte zur deutschen NPD unter Udo Voigt gegeben. Voigt ist auch einige Male nach Griechenland gekommen, während Mitglieder der Chyrsi Avgi nach Jena und Dresden eingeladen wurden.
Die Schuldenkrise hat allerdings alles verändert. Nach einer Demonstration der NPD vor einem griechischen Konsulat in Deutschland, bei der »Kein Euro für Griechenland!« skandiert wurde, war es vorbei mit der Freundschaft zwischen den griechischen und den deutschen Nazis.
Was halten Sie vom Vergleich zwischen Griechenland und der Weimarer Republik, den ­Ministerpräsident Antonis Samaras neulich machte?
Ich mag diesen Vergleich nicht, weil Geschichte sich nicht wiederholt. Wenn Samaras das wirklich glaubt, sollte er zuerst etwas unternehmen, um diese Situation zu ändern. Aber die einzige Reaktion der Regierung auf den Erfolg von Chrysi Avgi war eine Verschärfung der Politik gegen Migranten. Ein Beispiel dafür ist die Operation »Xenios Zeus«, deren Ziel es war, »illegale Migranten« zu verhaften. In diesem Zusammenhang wurden in Athen rund 6 500 Menschen kontrolliert, davon wurden mehr als 1 000 verhaftet. Was mit Weimar vergleichbar ist, sind die wirtschaftliche Situation und die Schwäche der demokratischen Institutionen im Umgang mit faschistischen Tendenzen.
Wie bewerten Sie den Umgang der linken Parteien mit Chrysi Avgi und mit der Faschisierung der griechischen Gesellschaft?
Die Linke sollte eine antifaschistische Front bilden und Antifaschismus zu einer gesellschaftlichen und nicht nur linken Priorität erklären. Denn wenn Antifaschismus keine breite Unterstützung in der Gesellschaft hat, wird der Konflikt zwischen rechts und links eskalieren, und das ist genau, worauf Chrysi Avgi wartet. Es darf keine Toleranz gegenüber den illegalen Aktionen von Chrysi Avgi geben. Die Entscheidung des Parlaments, die Immunität der Abgeordneten der Partei aufzuheben, die sich derzeit vor Gericht verantworten müssen, war richtig. Das reicht aber nicht. Wir müssen einen Weg finden, diese Partei zu verbieten, denn nicht nur einzelne Mitglieder sind kriminell, sondern die ganze Organisation ist es.