Nur für echte Griechen
Zusammengeschlagen und mit einer Eisenkette um den Hals an einem Baum gefesselt – so wurde Walid Taleb von Passanten in Ambelakia, einem Dorf auf der Insel Salamina, vor zwei Wochen aufgefunden. Das Gesicht des 30jährigen Ägypters war so stark geschwollen, dass er nicht einmal sprechen konnte. Der Täter, der sich der Polizei stellte, war der Arbeitgeber des Mannes, ein griechischer Bürger, Inhaber einer Bäckerei. Er habe seinen Angestellten beim Stehlen erwischt, rechtfertigte er sich. Der Täter wurde nach einigen Tagen in Untersuchungshaft freigelassen. Der schwer verletzte Taleb, der sich ohne Papiere in Griechenland aufhält, sitzt dagegen in Haft, ihm droht die Abschiebung.
Dieser Akt der Selbstjustiz war zwar besonders brutal, Nachrichten wie diese gibt es derzeit jedoch täglich in Griechenland. Vor allem in Athen, wo die militanten Anhänger der Partei Chrysi Avgi in bestimmten Vierteln des Stadtzentrums ungestraft Terror verbreiten können. Aber auch Fälle, bei denen die Neonazis nicht direkt beteiligt sind, wie der Angriff in Salamina, zeigen, wie verbreitet rassistische Gewalt derzeit in Griechenland ist. Der Rassismus wurde zwar nicht von der Krise produziert, aber die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre haben deutlich gezeigt, wie schnell die rassistische und offen gewalttätige Rhetorik gesellschaftliche Akzeptanz gewinnt, sobald sie politisch legitimiert wird.
Die Verbreitung von »Hass auf den Straßen«, wie der Titel eines detaillierten Berichts von Human Rights Watch vom Sommer über xenophobe Gewalt in Griechenland lautet, ist eine wichtige Strategie der Neonazis (s. Interview, S. 5). »Man kann nicht mehr von spontanen Explosionen von Hass reden«, sagt Andrea Gilbert von der NGO Greek Helsinki Monitor (GHM) der Jungle World. »Es sind meistens organisierte Attacken, die sehr häufig einem bestimmten Muster folgen.« Der GHM gehört mit weiteren 17 Organisationen zum Racial Violence Recording Network, einem Projekt, das vom UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) im Oktober 2011 initiiert wurde, um rassistische Gewalt in Griechenland sowohl quantitativ als auch qualitativ zu erfassen. Die bisherigen Ergebnisse, die sich auf die Situation in Athen im vergangenen Jahr beziehen, zeigen, dass bestimmte Gegenden rund um den Omoniaplatz, den Attikiplatz und vor allem Agios Panteleimonas für Menschen, die nicht »griechisch genug« aussehen – etwa nicht weiß, nicht heterosexuell oder linksalternativ – zu regelrechten No-Go-Areas geworden sind. Zwischen Januar und September 2012 hat das Netzwerk im Raum Athen 87 Fälle rassistischer Gewalt erfasst. Der Migrant Workers Association zufolge hat es in der ersten Hälfte dieses Jahres landesweit mehr als 500 Fälle gegeben.
»In der Regel treten die vermummten Schläger in Gruppen auf, oft sind Minderjährige und nicht selten Frauen dabei«, schildert Gilbert den typischen Ablauf der Übergriffe. »Sie sind immer bewaffnet, tragen schwarze Kleidung und Helme und haben zur Einschüchterung oft große Hunde dabei. Oft suchen sie sich ihre Ziele an Bushaltestellen aus, sie fahren meistens mit Motorrädern vorbei und greifen erst verbal, in den meisten Fällen dann auch körperlich an.« Inwieweit es sich dabei um organisierte Attacken handelt, sei schwer festzustellen, oft genug gäben sich die Angreifer als Mitglieder der Chrysi Avgi zu erkennen.
Die Chrysi Avgi, die im Mai mit sieben Prozent der Wählerstimmen ins Parlament eingezogen und dort mit 18 Abgeordneten vertreten ist, macht bislang keine Anstalten, sich um ein gemäßigteres Image zu bemühen. Die Debatte um ein Parteiverbot und verschiedene Maßnahmen des Parlaments gegen einzelne Abgeordnete könnten die Partei dazu zwingen, ihre Strategie zu ändern, wenn sie bei den nächsten Wahlen zur »dritten politischen Kraft Griechenlands« werden will. Das bezeichnete Ilias Panagiotaros vor kurzem in einem Interview mit der BBC als Ziel der Partei. Bisher gab es allerdings keine Anzeichen für eine Zügelung, im Gegenteil. Wenn das griechische Parlament erlaubt, dass Abgeordnete ungestraft Einwanderer als »Untermenschen« bezeichnen, dann verwundert die Eisenkette von Salamina auch nicht mehr sonderlich. Der jüngste Eklat ereignete sich vor einigen Wochen, als Eleni Zaroulia, eine Abgeordnete der Chrysi Avgi und die Ehefrau von Parteichef Nikos Michaloliakos, während einer Parlamentssitzung Migranten als »Untermenschen« bezeichnete, die »in unsere Heimat eingedrungen sind und alle Arten von Krankheiten einschleppen«. Ironischerweise ist Zaroulia auch Mitglied der griechischen Delegation beim Komitee für Gleichheit und Nichtdiskriminierung des Europarats. Derartige Rhetorik ist im griechischen Parlament öfters zu hören, seit die Chrysi Avgi dort eingezogen ist.
Die wahnhaften Hetzreden von Parteisprecher Ilias Kasidiaris über »illegale Migranten«, die eine »asymmetrische Bedrohung für den griechischen Staat« darstellten, sowie die Forderung, Minenfelder an den Grenzen zur Türkei zu installieren, lösen keinen Skandal aus im griechischen Parlament.
Ähnlich verhält es sich mit der offenen antisemitischen Propaganda der Chrysi Avgi. Wieder war es Kasidiaris, der junge, smarte Parteisprecher, der sich erhoffte, für ein wenig Aufsehen im Parlament zu sorgen. Während einer laufenden Debatte, in der es um die Aufhebung seiner eigenen Immunität ging, las Kasidiaris verschiedene Passagen aus dem antisemitischen Klassiker »Die Protokolle der Weisen von Zion« vor, um sich gegen Vorwürfe im Zusammenhang mit einem Raubüberfall zu verteidigen. »Erschreckend daran war, dass niemand von den anderen Parteien auch nur ein Wort sagte«, berichtet Gilbert, »es herrschte eine unheimliche Stille.« Das sei traurig, fährt sie fort, aber wenig überraschend. »Die antisemitische Propaganda hat sich zwar mit der Krise verschärft, sie hat aber Tradition im politischen und auch juristischen System Griechenlands.«
Das bekannteste Beispiel dafür ist der Fall von Konstantinos Plevris, einem prominenten faschistischen Ideologen, Judenhasser und Holocaustleugner, den der GHM gemeinsam mit dem Zentralrat der Jüdischen Gemeinden in Griechenland und der griechischen NGO Antinazi Initiative im Jahr 2007 vor Gericht brachte. Plevris hatte ein Buch mit dem Titel »Juden. Die ganze Wahrheit« geschrieben, in dem er unter anderem bedauert, dass die deutschen Nazis ihren Job mit den Juden nicht zu Ende gemacht hätten. Plevris wurde 2007 zwar zunächst wegen »Aufstachelung zum Rassenhass« zu einer Haftstrafe von 14 Monaten verurteilt, drei Jahre später wurde das Urteil im Berufungsprozess jedoch aufgehoben. »Während des Berufungsverfahrens wurde noch antisemitischer als im Buch argumentiert, und zwar nicht nur von der Verteidigung, sondern von den Staatsanwälten«, empört sich Gilbert, die damals für den GHM im Gerichtsaal saß, heute noch. »Sie bezeichneten das Buch als ›wissenschaftliche Publikation‹ und ›historische Recherche‹.« Der Skandal ging auch nach dem Freispruch weiter, als Plevris Anzeige gegen drei Mitglieder der Antinazi Initiative wegen »Verbreitung von falschen Nachrichten« erstattete. Diese sind inzwischen freigesprochen worden.
Während die Medien und die Parteien sich auf die ökonomischen Aspekte der Krise konzentrieren, verkündete der Naziabgeordnete Panagiotaros, seine Partei sei bereit, »die Macht zu übernehmen«. Internationale Vernetzung scheint der Chrysi Avgi in diesem Zusammenhang besonders wichtig zu sein. Nach der Eröffnung von Parteibüros in New York City, Melbourne und Montréal wurde vorige Woche im italienischen Triest das erste Büro der griechischen Neonazis in Europa außerhalb Griechenlands eröffnet.