Honduras’ Regierung ist mit dem Projekt der Wirtschaftsenklaven vorerst gescheitert

Sim City für Fortgeschrittene

Wirtschaftsenklaven auf seinem Territorium sollten dem Staat Honduras ökonomisches Wachstum bescheren. Doch nach Protesten sozialer Bewegungen hat der Oberste Gerichtshof die geplanten Modellstädte für verfassungswidrig erklärt.

In einem Spot der honduranischen Regierung strebten schon glänzende Wolkenkratzer mit blauweiß gestreifter Fahne gen Himmel. Flagge und Hymne sollten als einzige Elemente des honduranischen Staats in die auf dem Reißbrett entworfenen Stadtstaaten übernommen werden. Gesetzgebung, Steuersystem und Sicherheit wären autonom geregelt, den Gouverneur würden die Investoren ernennen, die Rechtsprechung obläge Mauritius und wäre damit in letzter Instanz durch den Britischen Kronrat garantiert. Eine Animation zeigt geschützte Wohnanlagen, moderne Weltmarktfabriken, Hafenanlagen und Hochgeschwindigkeitszüge, die beide Ozeane miteinander verbinden. »Eine aufregende Investitionsmöglichkeit in der Mitte Amerikas«, heißt es aus dem Off.
»Spezielle Entwicklungszonen« auf dem Territorium von Honduras sollten den mittelamerikanischen Staat in eine bessere Zukunft führen. Geplant hatte diese Modellstädte der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Paul Romer. Die Abgeordneten des Nationalkongresses von Honduras hatten im Januar 2011 mit überwältigender Mehrheit für eine Verfassungsänderung zugunsten autonomer Wirtschaftsenklaven gestimmt. »Honduras braucht dringend Investitionen, doch unter den gegebenen Umständen ist es fast unmöglich, Kapital anzuziehen«, seufzt Marvin Ponce, stellvertretender Präsident des Kongresses. »Die politische Lage ist instabil, der Staat hochverschuldet.« Die Kriminalität sei gestiegen und der internationale Drogenhandel bemächtige sich des Landes, sagt der Abgeordnete der linksliberalen Partei der Demokratischen Union (UD). Nach Angaben der Vereinten Nationen hat Honduras mit täglich 86 Ermordeten pro 100 000 Einwohnern die höchste Mordrate der Welt. »Mit dem Staatsstreich im Jahr 2009 ist das Land in seiner Entwicklung um eine Dekade zurückgefallen«, sagt Ponce.
Das Stadtstaatenmodell Romers, der immer wieder als Favorit für den Wirtschaftsnobelpreis gehandelt wird, aber bislang keinen bekommen hat, sollte Abhilfe schaffen. Solche Städte hatte er zunächst in Madagaskar geplant, doch dort wurde Präsident Marc Ravalomanana gestürzt, bevor er Hunderttausende Hektar des Landes an internationale Investoren veräußern konnte. In Honduras hingegen schuf der Putsch gegen Manuel Zelaya 2009 die Bedingungen, um dieses wirtschaftsliberale Modell durchzusetzen. Präsident Zelaya, der sich der armen Mehrheitsbevölkerung von Honduras angenommen hatte, wurde gewaltsam vom Militär ins Exil gezwungen. Die daraufhin unter dem Militärregime gewählte Übergangsregierung von Porfirio Lobo wollte die Übernahme des Staatsgebiets durch transnationale Konzerne aus asiatischen »Tigerstaaten« fördern. Lobo besuchte Wirtschaftsenklaven für die High-Tech-Industrie in Dubai, Singapur und Hongkong. Währenddessen flog Romer nach Honduras, wo er sich die Verwirklichung seiner neokolonialen Vision erhoffte.
Doch die ambitionierten Pläne wurden jäh gestoppt. »In Honduras ist man der Wohlstands­versprechen durch den Weltmarkt müde«, ereifert sich Carlos H. Reyes, Präsident der Industriegewerkschaft STIBYS. »Zuerst kamen die US-amerikanischen Bananenkonzerne, dann die Maquiladoras«, die Montagebetriebe in den Sonderwirtschaftszonen. Die Öffnung für ausländische Unternehmen habe jedoch stets mehr Armut als Arbeitsplätze hervorgebracht. »Jetzt sollte allein der Bau der Modellstädte 200 000 Arbeitsplätze ins Land bringen. Doch in Wahrheit hätten Ingenieure aus anderen Ländern das Projekt durchgeführt. Für ein kürzlich vollendetes Staudammprojekt am Fluss Patuca wurden selbst einfache Bauarbeiter aus China eingeflogen, von wo die Gelder und Pläne dafür herkamen«, sagt Reyes. In Honduras sei jeder Vierte arbeitslos und die Auswanderung in die USA konstant.

Immer mittwochs stand der hünenhafte Gewerkschaftsboss deshalb vor dem hohen Gebäude des Justizpalastes, um gegen die Modellstädte zu demonstrieren. Es beteiligten sich zahlreiche Mitglieder der nach dem Putsch entstandenen Widerstandsbewegung, vor allem aus der Refundación, die für die basisdemokratische Neugründung des Landes eintritt. Die Anhängerinnen und Anhänger der neuen Partei Libre, mit der Manuel Zelayas Frau Xiomara Castro 2013 die Präsidentschaftswahlen gewinnen will, seien hingegen kaum präsent gewesen, kritisiert Karla Lara, eine bekannte honduranische Sängerin und Mitglied der Gruppe Artistas en Resistencia. »Welches Land wollen sie denn im nächsten Jahr noch regieren?« fragt sie. »Bis Libre an der Macht ist, sind alle Strände, Flüsse, Wälder und Berge dieses Landes an multinationale Firmen veräußert. Mit den Charter Cities sollten ganze Staatsgebiete unter eine andere Gesetzgebung und Autorität gestellt werden.«
Lara war eine der Ersten, die Anfang Oktober eine Verfassungsbeschwerde gegen die »speziellen Entwicklungszonen« einreichte. Bald lagen knapp 70 Beschwerden und mehr als 12 000 Unterschriften vor. »Eine Entwicklung, die die Menschen in Honduras oder gar die indigene Bevölkerung vor Ort miteinbezieht, werden die Modellstädte wohl kaum bringen. Die Gefahr ist groß, dass diese unter dem Regime multinationaler Unternehmen zu Geld­waschanlagen des Drogenhandels verkommen«, glaubt Lara.

Mitte Oktober zeigte das juristische Vorgehen dann Erfolg. Die Modellstädte verstießen gegen die durch die Verfassung garantierten Grundsätze von nationaler Souveränität und Regierungsform sowie gegen die Grundrechte, lautete das Urteil des Obersten Gerichts. Schon vorher hatte sich Romer vom Standort Honduras verabschiedet. In einem öffentlichen Brief an Präsident Lobo beklagte er, dass es ihm an Befugnissen und Informationen fehle, um seiner Rolle als Vorsitzender des eingesetzten Expertengremiums gerecht zu werden. Diesem sollten weitreichende Befugnisse zur Ernennung und Absetzung von Gouverneuren und Richtern zugesprochen werden. Die Unterzeichnung des Vertrags zwischen der honduranischen Regierung und der Investorengruppe MGK, dem Hauptfinanzier des Projekts, hatte ohne ihn stattgefunden.
Auch MGK zog die als Anfangsinvestition für den Bau der ersten Modellstadt vorgesehenen 15 Millionen Dollar (11,7 Millionen Euro) umgehend zurück. In Honduras gebe es mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs keine legale Basis mehr für ein solches Projekt, so Michael Strong, Vorsitzender von MGK. Alle Aktivitäten wurden abgebrochen, die Investorengruppe verhandelt nun mit Jamaika. Aber auch Osteuropa und Griechenland kämen als Investitions­stand­orte in Betracht, so Mitarbeiter von MGK.
In Honduras liegt nun eine Klage gegen die politischen Unterstützer der Charter Cities vor. Sie richtet sich gegen Präsident Lobo sowie 126 der 128 Abgeordneten des Kongresses, die 2011 für eine Verfassungsänderung zugunsten der Schaffung autonomer Wirtschaftsenklaven gestimmt hatten. Antonio Trejo, Mitglied der Anwaltsvereinigung, die eine Anzeige wegen Hochverrats einreichte, bezahlte sein Engagement vorigen Monat mit dem Leben. »Die Abgeordneten gehören ins Gefängnis, sie haben gegen die Souveränität von Honduras gehandelt«, sagte er. Sie sollten ihre Verfassung kennen, doch der Putsch habe die politischen Institutionen vollends korrumpiert, so der Anwalt kurz vor seiner Ermordung. Nun sei es an der Zivilgesellschaft, die Grundrechte zu verteidigen. Der Oberste Gerichtshof hat die Klage jedoch abgelehnt, jetzt liegt sie der Staatsanwaltschaft gegen Korruptionsdelikte vor.