All that Jazz

Berlin Beatet Bestes. Folge 169. The Greg Foat Group: Girl and Robot with Flowers (2012).

Was suchst du?« fragen die Händler am Sonntag auf der Plattenbörse, als ich mich durch ihre Kisten arbeite. Zögernd, aber ehrlich sage ich immer: «Jazz-Singles.« Ich zögere, weil ich die Antwort kenne: »Nee, hab ich nicht.« Ich konkretisiere: »Nicht so ein Gedudel, sondern Jazz zum Tanzen!« Die Antwort ist erneutes Kopfschütteln. Und dennoch ziehe ich dann aus ihren Kisten genau die Jazz-Singles heraus, die ich gesucht habe. Es ist eben nicht die Art von Musik, die die Händler für Jazz halten. Unter Jazz verstehen sie Miles Davis, also modernen Jazz, diese Sitzmusik. Dixieland, Swing, Rhythm & Blues, Soul, Funk, also die ganze Bandbreite jazzverwandter Tanzmusik, gilt nicht als Jazz. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so.
Nachdem ich nämlich meine Runde gemacht hatte und schon am Ende der Börse auf den Ausgang zuging, sah ich in einer Ecke einen Stand, der ein paar hundert Singles für einen Euro pro Stück anbot. Und in diesen Kisten fand ich dann gleich 30 Jazz-EPs. EP bedeutet Extended Play, es sind Singles mit vier Titeln drauf. Labels wie Storyville, Brunswick, Coral, Verve, Metronome und Good Time Jazz veröffentlichten in den fünfziger und sechziger Jahren sowohl neuen Jazz als auch Aufnahmen aus der frühen Geschichte des Jazz. Diese Wiederveröffentlichungen von Jazz-Größen aus New Orleans wie King Oliver, Louis Armstrong und Sidney Bechet und den Swingbands von Coleman Hawkins und Artie Shaw liebe ich besonders, vielleicht gerade, weil sie bei Jazz-Sammlern nicht besonders hoch im Kurs stehen. Die Sammler haben offensichtlich keine Ahnung. Sidney Bechet hat zum Beispiel nie eine schlechte Platte aufgenommen. Es lohnt sich immer, eine Platte von ihm mitzunehmen.
Mit meiner Begeisterung für Singles mit New-Orleans-Jazz stehe ich allein auf weiter Flur. Zum Glück bin ich jedoch mit meiner Auffassung von Jazz nicht ganz allein. So veröffentlicht das britische Label Jazzman seit Mitte der neunziger Jahre Spielarten des tanzbaren Jazz: Soul, Funk, Latin Jazz und Rhythm& Blues. Zunächst gab es nur Wiederveröffentlichungen auf dem Label. Besonders zu empfehlen sind hier die in der Reihe »Jukebox Jam« erschienenen Repros von klassischen Rhythm &  Blues-Singles. Jazzman veröffentlicht mittlerweile aber auch viele zeitgenössische Gruppen und Künstler, wie die britische Greg Foat Group. Deren jüngst erschienene Zehn-Zoll-Platte »Girl and Robot with Flowers« erinnert an Library Music. Library Music ist ursprünglich Musik, die für Musikarchive aufgenommen wurde, bezeichnet aber auch ein seltsames Genre, das klingt, als hätten alte Jazzer versucht, bekifft Psychedelia zu machen. Library Music ist funky, aber auch jazzy. Die Aufnahmen sind schwer gefragt von bestimmten Sammlern und DJs auf der Suche nach obskuren Breaks. Die Greg Foat Group ist auch schwer funky und jazzy. Selbst wenn sie über weite Strecken improvisieren, was das Zeug hält, spielen sie immer noch definitiv coole Tanzmusik.