Nazi-Aufmarsch in Polen

Aufmarsch zum Krawall

Hooligans und Nazis lieferten sich am polnischen Unabhängigkeitstag auch in diesem Jahr eine Straßenschlacht mit der Polizei. Doch anders als in den Vorjahren machen die Medien dieses Mal zumindest nicht die Gegendemonstranten für die Gewalt verantwortlich.

Fundamentalistische Katholiken, mehrere tausend Fußballhooligans, Anwohner, Mitglieder der Naziorganisationen »Nationalradikales Lager« (ONR) und »Allpolnische Jugend« (MW) – sie alle beteiligten sich am »Marsch der Unabhängigkeit« in Warschau. Am vorvergangenen Sonntag, dem polnischen Unabhängigkeitstag, kam es dabei erneut zu heftigen Ausschreitungen. Der vom ONR und der MW organisierte Aufmarsch findet neben den staatsoffiziellen Gedenkveranstaltungen seit einigen Jahren in der polnischen Hauptstadt statt und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Die Teilnehmer laufen dabei zum Denkmal von Roman Dmowski. Er gilt als einer der Väter des polnischen Nationalismus und organisierte 1911 als überzeugter Antisemit einen Boykott jüdischer Unternehmen. Was die doch sehr unterschiedlichen Beteiligten eint, sind die in Polen weit verbreitete Homophobie und der Antikommunismus. Diese ermöglichen es rechtsextremen Gruppen im Land immer wieder, Menschen außerhalb des neonazistischen Milieus für Kundgebungen und Demonstrationen zu gewinnen.

Unter den etwa 20 000 Teilnehmern des Aufmarschs befanden sich in diesem Jahr auch Abordnungen rechtsextremer Gruppen aus anderen europäischen Ländern: Mitglieder der ungarischen Jobbik, der slowakischen SNS und der italienischen Forza Nuova, eine größere Gruppe »Autonomer Nationalisten« aus Tschechien und Personen aus Serbien, Spanien, den Niederlanden, Skandinavien. Der Marsch scheint sich zu einer für die gesamte europäischen Naziszene bedeutenden Veranstaltung entwickelt zu haben, wie es der Neonaziaufmarsch in Dresden lange Zeit war.
Ein weiterer Grund für den Erfolg und die Größe der Demonstration dürfte die allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik der Regierung Donald Tusks sein, die gerade von der »Nationalen Bewegung« (RN), einer neuen Vereinigung von ONR und MW, lautstark angegriffen wird. Zwar kritisieren auch linke und anarchistische Gruppen seit Jahren die Regierungspolitik, aber der in Polen herrschende antikommunistische Konsens ermöglicht es derzeit nur rechten Gruppen, von solchen Stimmungen zu profitieren.
Zu den diesjährigen Ausschreitungen kam es, als die Teilnehmer des Marschs von der angemeldeten Route abweichen wollten und die Polizei sich ihnen entgegenstellte. Stundenlang bewarfen Nazis und Hooligans die eingesetzten Beamten mit Steinen, Feuerwerkskörpern und sogar Straßenpollern. Die Polizei setzte Gummigeschosse und Pfefferspray ein, um die Angreifer auf Distanz zu halten. Insgesamt nahm sie 176 Personen fest, 22 Beamte wurden verletzt, drei davon schwer, und acht Polizeiautos wurden beschädigt.
Dennoch bewerten örtliche Antifaschisten den Tag nicht als vollständiges Desaster. Denn an einer antifaschistischen Demonstration gegen den nationalistischen Marsch beteiligten sich am selben Tag über 1 000 Menschen. Die Route verlief an Orten von historischer Bedeutung und Tatorten rechter Gewalt entlang. Im Vorjahr hatten Antifaschisten noch versucht, den rechten Aufmarsch zu blockieren. Dies war ihnen auch gelungen, allerdings nur, weil die Polizei Angriffe von Neonazis und Hooligans auf die Blockaden verhindert hatte. Zahlenmäßig waren die Antifaschisten jedoch weit unterlegen, Tausende Nazis lieferten sich stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei, die als die schlimmsten Ausschreitungen seit Jahren in Polen gelten.

Die Medien erklärten die Blockade im Nachhinein zu einer Provokation, die die rechte Gewalt heraufbeschworen habe. Zudem nahm die Festnahme einer größeren Gruppe deutscher Antifaschisten einen zentralen Teil der Berichterstattung ein. Diese wurden zwar bereits Stunden vor den eigent­lichen Ausschreitungen festgenommen. Dennoch galt der Versuch der Deutschen, am Tag der polnischen Unabhängigkeit in der Hauptstadt zu demonstrieren, nicht nur rechten Medien als Affront. Dass sie auf Einladung der polnischen Genossen gekommen waren, wurde verschwiegen.
In diesem Jahr gab es weder Blockadeversuche noch eine auffallende Beteiligung deutscher Antifaschisten. Dennoch eskalierte die Gewalt auf dem nationalistischen Unabhängigkeitsmarsch. Nun begrüßen die örtlichen Antifaschisten zumindest, dass in der öffentlichen Diskussion die Krawalle der Nazis und nicht die antifaschistischen Proteste als Gefahr wahrgenommen werden. »Aus unserer Sicht ist das Wichtigste, dass unsere Gesellschaft endlich kapiert hat, dass in diesem Land etwas sehr Gefährliches geschieht. Seit mindestens drei Jahren weisen wir darauf hin, dass wir hier kein Problem mit Hooligans und Fußball haben, sondern etwas viel Gefährlicheres, nämlich eine wachsende extrem rechte Stimmung mit ganz viel Gewalt dahinter«, sagte eine Antifaschistin der Jungle World.
Und diese Gewalt richtet sich selbstverständlich nicht nur gegen die Polizei. Bereits am Vorabend des Aufmarschs wurden Antifaschisten in Warschau brutal von Nazis attackiert, als sie Plakate anbringen wollten. Am Unabhängigkeitstag versuchten mehrere hundert vermummte Teilnehmer des rechtsextremen Marschs, die Gegendemonstration mit Feuerwerkskörpern und Steinen anzugreifen. Polizisten, die das verhinderten, wurden heftig attackiert. In der Innenstadt verwüsteten Neonazis das Büro einer schwul-lesbischen Organisation.
Am Unabhängigkeitstag gibt es neben dem Marsch in Warschau auch kleinere Naziaufmärsche in anderen Orten. Die brutalste Attacke des Tages fand in Wroclaw statt. Nach der dortigen Veranstaltung zogen etwa 100 Teilnehmer mit Steinen, Stangen, Feuerwerk und Flaschen bewaffnet zum örtlichen Wagenplatz und stürmten ihn. Die 16 Anwesenden konnten dem Angriff nichts entgegensetzen, zwei Bewohner wurden brutal zusammengeschlagen.

Wie es scheint, geben sich die Nazis damit nicht zufrieden. Seit dem 11. November kam es zu weiteren Angriffen, wie polnische Antifaschisten berichten. In der vergangenen Woche hätten sich »mehrere brutale Übergriffe von Nationalisten und Neofaschisten« ereignet, sagt eine Anti­faschistin. »Wir können langsam von einer Welle des rechten Terrors in Polen reden. Bislang wurde noch niemand umgebracht. Aber die Angriffe werden immer häufiger und immer brutaler.«