Gaza-Solidarität mit antisemitischen Klischees

Die Reflexe funktionieren

Egal, was es tut, Israel steht in den Augen der Weltöffentlichkeit immer als Aggressor da. Das ist die geopolitische Reproduktion des Antisemitismus.

Der Antisemitismus versetzt Juden in eine ausweglose Situation: Dem reichen Juden wird sein Erfolg angekreidet, der arme als Schnorrer verachtet. Der Assimilierte erscheint als heimtückischer Zersetzer des Volkskörpers, der Traditionsbewusste als anpassungsunfähiger Sonderling. Was auch immer Juden tun, sie liefern den Anti­semiten stets nur neues Material zur Illustration ihres Wahns. Ähnliches vollzieht sich in der geopolitischen Reproduktion des Antisemitismus, dem Hass auf Israel, der das klassische Bild des geldgeilen, vergeistigten und wehrunfähigen jüdischen Luftmenschen durch jenes des alles niedertrampelnden, auf territoriale Expansion und völkische Homogenität setzenden Israeli ergänzt. Was auch immer Israel tut, es ist und bleibt in den Augen großer Teile der Weltöffentlichkeit schuld an Elend und Zerstörung in der Region.
Halten sich die israelische Armee und jüdische Siedler im Gaza-Streifen auf, gelten sie als Besatzungsmacht. Ziehen sie sich, so wie im Jahr 2005 zurück, errichten sie angeblich »das größte Gefängnis der Welt«. Reagiert Israel auf die permanenten Angriffe aus dem Gaza-Streifen mit Sanktionen oder wie jetzt mit Gegenschlägen und der Liquidierung der unmittelbar Verantwortlichen wie der des Hamas-Militärchefs Ahmed al-Jabari, dreht es in den Augen sogenannter Israelkritiker an der »Gewaltspirale«, reagiert »unverhältnismäßig«. Nimmt es den andauernden Raketenbeschuss tatenlos hin, wird das »zionistische Regime« in arabischen und iranischen Zeitungen als »zahnloser Papiertiger« verhöhnt, der nicht mal seine eigene Bevölkerung schützen könne.

Viele der Reaktionen auf das gegenwärtige Vorgehen der israelischen Armee folgen in etwa diesem Schema. Insbesondere auf medialer Ebene funktionieren die antiisraelischen Reflexe offensichtlich weitgehend, auch wenn es im Vergleich zum Gaza-Krieg 2008/09 oder zur Erstürmung der Hamas-Solidaritätsflotte 2010 deutlich mehr Ausnahmen in deutschsprachigen Zeitungen gibt, die relativ klar die Verantwortung der palästinensischen Muslimbrüder und mitunter auch jene des iranischen Regimes für die derzeitige Eskalation betonen.
Vollends treu bleibt sich hingegen die deutsche Friedensbewegung in Gestalt des »Bundesausschusses Friedensratschlag«, welcher die Bundesregierung aufforderte, »ihre bedingungslose Unterstützung der israelischen Politik aufzugeben«. Der israelisch-palästinensische Konflikt müsse »internationalisiert und zu einer erstrangigen Angelegenheit der Vereinten Nationen werden«. Eine derartige Internationalisierung, das wissen die Friedensfreunde, würde sich zwangsläufig gegen Israel wenden, weshalb sie auch von palästinensischer Seite stets vorangetrieben wird. Ihr Resultat könnte nur ein »aufgezwungener Frieden« sein, der in letzter Konsequenz wohl bedeutete, dass der souveräne Staat Israel durch eine Art UN-Reservat für Juden ersetzt würde.
Gestandenen Antiimperialisten würde aber selbst das nicht reichen: Auf den Hamas-Solidaritätsdemonstrationen in Österreich, die von Allahu-akbar-Rufen dominiert werden, wurde vom harten Kern der antiimperialistischen Linken Klartext geredet. »Wir sind für ein Palästina, das frei von der Westbank bis zum Mittelmeer reicht«, betonte ein Redner am Freitag in der Wiener Innenstadt; und für alle, die es immer noch nicht verstanden hatten, setzte der juvenile Trotzkist unter dem Gejohle mehrerer hundert Zuhörer nach: Man kämpfe dafür, dass »Israel ausgelöscht wird, zerschlagen wird«.
Während der außenpolitische Sprecher der CDU, Philipp Mißfelder, der sich als einziger Spitzenpolitiker in Deutschland mit Nachdruck für ein Verbot der Hizbollah einsetzt, vergleichsweise deutliche Worte zur Unterstützung Israels fand, sprach Wolfgang Gehrcke von der »Linken« ganz klassisch vom »zynischen« Vorgehen der Regierung Benjamin Netanjahus und forderte, genau wie die Hamas, die »Abriegelung des Gaza-Streifens« zu beenden, also es der Hamas zu ermög­lichen, sich noch besser mit Raketen zu versorgen als schon bisher.
Omid Nouripour, der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, wünscht sich, dass die EU »mit einer Stimme den Israelis klar macht«, dass eine Bodenoffensive völlig inakzeptabel sei. Der grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin und die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Kerstin Müller, meinen, die israelische Regierung müsse dringend erklären, »warum sie jetzt eine Militäraktion startete, statt den offensichtlich auch bestehenden Ansatz einer langfristigen Waffen­ruhe zu verfolgen und nach politischen Lösungen zu suchen«. Wie »politische Lösungen« mit einer Organisation wie der Hamas aussehen sollen, die zur Vernichtung Israels und ganz offen zum Judenmord aufruft, blieb ihr Geheimnis.

Vergleichsweise deutliche Worte der Verurteilung der Hamas haben Kanzlerin Angela Merkel und der deutsche Außenminister gefunden. Guido Westerwelle weigerte sich zumindest bis Anfang dieser Woche, eine Bodenoffensive der Israelis im Vorhinein zu verurteilen – im Gegensatz zu seinem britischen Amtskollegen und auch zu seinem österreichischen, der den Israelis in seiner ersten Stellungnahme meinte erklären zu müssen, »Gewalt allein mit Gewalt zu bekämpfen, kann nur scheitern«. Aber auch Merkel und ihr Stellvertreter stellten von Beginn an klar, dass man auf »Deeskalation« setze und schnellstmöglich einen Waffenstillstand anstrebe. Dementsprechend muss man davon ausgehen, dass vom relativen Verständnis für Israel sowohl in einigen Medien als auch bei der deutschen Regierung nicht viel übrig bleiben wird, sollte sich die isra­elische Armee doch noch zu einer Bodenoffensive gegen die terroristische Infrastruktur der Hamas und des Islamischen Jihad genötigt sehen.