Katar will in die französischen Banlieues investieren

Ghetto unterm Hammer

Das Emirat Katar will mit einem Fonds in benachteiligte französische Vorstädte investieren. Französische Medien warnen vor einem Verkauf der banlieues an die Islamisten, die Ursachen der Benachteiligung werden aber nicht bekämpft.

Wenn es nach Lionnel Luca ginge, dann wäre das ganze Projekt hinfällig. Der Abgeordnete der konservativen französischen Partei UMP hat kürzlich eine parlamentarische Untersuchungskommission beantragt, die sich mit der politischen Einflussnahme Qatars in Frankreich beschäftigen soll. In seiner Partei geht die Furcht um, Frankreich werde schleichend »kolonalisiert«. Der Grund: Qatar wird sich mit mindestens 50 Millionen Dollar (knapp 40 Millionen Euro) an einem Fonds beteiligen, mit dem in die banlieues, die berüchtigten französischen Vorstadtviertel, investiert werden soll. Schon seit 2011 sorgt die Debatte um eine Beteilung Qatars für latente Unruhe in der Öffentlichkeit. Ende September fiel dann die Entscheidung für den Geldgeber.
Zurückzuführen ist das finanzielle Engagement des Emirats in die in Frankreich als zones déshéritées (benachteiligte Zonen) bezeichneten Gebiete vor allem auf Kamel Hamza. Er ist Präsident der »Nationalen Vereinigung lokaler Vertreter der Diversität« (Aneld) und Beigeordneter des Bezirks La Courneuve in Paris, einem der Schauplätze der Jugendaufstände von 2005. Auch heute noch liegt die Arbeitslosenquote hier bei 25 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei 40 Prozent. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Vorstädte sind nach wie vor die Verlierer Frankreichs. Isoliert von der Gesamtstadt, vermischen sich in den banlieues soziale Spannungen, Hoffnungslosigkeit und Frustration zu einem unheilvollen Gebräu. Für Aneld ist die Ursache klar: Das liegt daran, dass die lokale Wirtschaft zu schwach ist. Hamza machte sich deshalb 2011 mit einer Delegation auf den Weg in den Golfstaat Qatar. Ziel der Reise war es, den Investoren dort schmackhaft zu machen, was in Frankreich keine Bank unterstützen will: kleine und mittelständische Unternehmen in den banlieues. »Wenn die jungen Unternehmer aus solchen Vierteln an die Tür der hiesigen Banken klopfen, erhalten sie in den seltensten Fällen die Finanzierung, um ihre Projekte zu realisieren«, sagt Fouad Sari, Generalsekretär von Aneld. Die Kreditanträge werden in Frankreich oft aufgrund diffuser »geographischer und sozialer« Gründe abgelehnt, hinzu kommen Vorurteile und Sprachbarrieren. Ein Fonds sollte also her, um ökonomische Aktivitäten in den Vorstädten zu unterstützen. Ursprünglich sollte dieser 50 Millionen Euro umfassen, die allein von Qatar gestellt und nur für Investitionen in urbane Gebiete verwendet werden sollen.

Politisch schien ein derartiger Fonds aber nicht durchsetzbar. Sobald die französische Öffentlichkeit davon Kenntnis genommen hatte, gab es von allen Seiten Kritik. Von einem »Verkauf der Vorstadt an die Islamisten« wurde gesprochen. Weniger drastisch wurde – nicht zu Unrecht – vor der offensiven Außenpolitik Qatars gewarnt, die eine Rolle spiele. Dass Qatar mit dem Fonds auch das Ziel verfolgt, die öffentliche Meinung in den Vorstädten zu beeinflussen, bezweifelt keine der beteiligten Parteien. Allerdings wäre es vereinfacht zu glauben, hier handele es sich um eine gezielte Strategie, die muslimischen Organisationen dort für sich zu instrumentalisieren.
Wer das denkt, versteht nicht, wie wenig Religion mit den Identifikationsprozessen in der französischen Vorstadt zu tun hat. Der Großteil der Jugendlichen in den banlieues beanspruche weder eine religiöse noch eine ethnische Identität für sich, sagt Claude Jacquier, Präsident der Forschungseinrichtung ODTI aus Grenoble, der Jungle World. Hingegen gebe es ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Viertel, eine Identität »der Straße« (siehe auch Interview Seite 18). In der empörten französischen Öffentlichkeit war für solche Details kein Platz. Es war ein regelrechtes Minenfeld, das sich vor der Regierung François Hollandes auftat, die von der Eigeninitiative von Aneld überrumpelt worden war.
Das Geld wurde gerne angenommen, eine erneute politische Debatte über die Vorstädte und ihre anhaltende Krise war aber nicht gewünscht. Der französische Industrieminister Arnaud Montebourg beeilte sich deshalb, die Wogen zu glätten. Den Fonds wird es geben, der französische Staat wird sich aber mit weiteren 50 Millionen Euro beteiligen und bestimmen, wo das Geld eingesetzt wird. Der Fonds diene »rein wirtschaftlichen« Zwecken und sei keine Philanthropie, bekräftigen sowohl Montebourg als auch die Verantwortlichen bei Aneld immer wieder. Es gebe keinerlei ethnisch-religiöse Vergabekriterien, ­alles sei rein ökonomisch motiviert. Der Verwendungsbereich des Fonds wurde ebenfalls ausgeweitet. Alle »benachteiligten Zonen« in Frankreich sollen nun davon profitieren. Konkret geht es um ökonomisch benachteiligte Regionen im Allgemeinen, also auch auf dem Land, »deren unternehmerischer Dynamik von Seiten französischer Investoren nicht nachgekommen wird«, so Sari von Aneld.

Der mediale Diskurs ist trotz aller Beschwichtigungen so unsachlich, dass eine der naheliegenden Fragen keinen Eingang in die Debatte fand: Wenn es offenbar diskriminierende Praktiken der Kreditvergabe gibt, die jungen Unternehmern aus bestimmten städtischen Regionen keine Finanzierung ihrer Projekte ermöglichen, warum werden nicht zu allererst diese Probleme behoben? Dass dies nicht geschieht, offenbart die Existenz von kulturalistischen Vorurteilen, die von allen Beteiligten so vehement bestritten werden. Die Investition Qatars soll einer Gruppe helfen, die sonst an den Vorurteilen der franzö­sischen Finanziers scheitert. Dieses Denken ist nicht weniger kulturalistisch als die Behauptung polemisch, Qatar finanziere in den Vorstädten islamistische Gruppen. Einen Automatismus anzunehmen, der qatarische Investoren und eine bestimmte Gruppe migrantischer Unternehmer verbindet, ist fragwürdig. Der französische Staat spart sich damit jedoch die leidige Auseinandersetzung mit diskriminierenden Praktiken innerhalb der Kreditinstitute im Land.
Bedenklich ist noch ein anderer Aspekt der Investitionen: Sie sind eindeutig und ausschließlich marktwirtschaftlich orientiert. Der Fonds soll Geschäftsideen und wirtschaftliches Wachstum unterstützen, keinesfalls soll er rein sozialen oder kulturellen Projekten zugute kommen. Das verhindert zumindest eine Einmischung des Emirats in soziale Belange. Wer sich aber nun um die dringend nötige Investition in Bildung und Maßnahmen gegen die soziale Segregation und die anhaltende Gewalt in diesen Stadtvierteln kümmert, bleibt offen. Jacquier von der ODTI beschäftigt sich seit Jahren mit diesen »Vernachlässigungsphänomenen«, die durch eine falsche, um nicht zu sagen fehlende Stadtentwicklungspolitik hervorgerufen werden. Es existiere keinerlei klare Strategie der Regierung, bemängelt Jacquier gegenüber der Jungle World. Auch der Regierungswechsel habe hier keine neuen Diskussionen angestoßen. Anstatt sich mit wirtschaftlichen Anreizen auseinanderzusetzen, müsse man eine Reform der Administration anstreben. Lokale Selbstorganisation müsse gefördert und »bottom-up«-Prozesse müssten gestärkt werden. Beim Fonds geht es um keinen dieser Ansätze: Er ist die Kapitulation staatlicher Stadt- und Sozialpolitik vor dem freien Markt. Die Zukunft der Vorstädte geht an den Meistbietenden.