Am 14. November blieb der Protest in Deutschland aus

Man streikt hier nicht

Während in vielen europäischen Ländern am 14. November gegen die Krisenpolitik gestreikt wurde, gab es in Deutschland nur Kundgebungen mit einer überschaubaren Anzahl von Teilnehmern.

Der 14. November war eine Premiere in der Geschichte des gewerkschaftlichen Protests. An diesem Tag organisierten Gewerkschaften in Spanien und Portugal, aber auch in Italien, Zypern, auf Malta und in Belgien flächendeckende Arbeitsniederlegungen gegen die Folgen der Krisenpolitik. Von einer gesamteuropäischen Koordination konnte aber selbst in den südeuropäischen Ländern keine Rede sein. So hatten die Gewerkschaften in Griechenland nur zu einem einstündigen Protest während der Mittagspause aufgerufen. Die baskischen Gewerkschaften wiederum boykottierten den Ausstand weitgehend, weil sie sich von den spanischen Gewerkschaften nicht die Termine vorgeben lassen wollen.

In Deutschland gab es erwartungsgemäß keine Arbeitsniederlegungen. »Europa streikt und Deutschland schaut zu«, titelte die Taz. Diese Kritik wird selbst in den Vorstandsetagen des Euro­päischen Gewerkschaftsbundes geteilt. Dort wird immer häufiger moniert, dass die DGB-Gewerkschaften, die ebenfalls Mitglied sind, für die Proteste ihrer Kollegen in anderen europäischen Ländern nur schöne Grußworte übrig hätten. Und manchmal nicht einmal das. Vor dem Europäischen Streiktag äußerte sich das Spitzenpersonal der IG-Metall wenig wohlwollend zu den Streikvorhaben an der europäischen Peripherie. So klang der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber bei seinem Auftritt in der Gesprächssendung »Forum Manager« des Fernsehsenders Phoenix am 14. Oktober, als hätte er versehentlich ein Skript des Sprechers der Unternehmerverbände verlesen. Huber erklärte, die spanischen Gewerkschaften verspielten durch zu hohe Lohnabschlüsse ihre wirtschaftlichen Vorteile. Dass es sich dabei nicht etwa um einen Blackout handelte, machte Huber knapp zwei Wochen später in einem Gespräch mit dem Schwäbischen Tagblatt deutlich. Dort bezeichnete er die Streiks in Südeuropa als voluntaristischen Unfug. Diese Auslassungen blieben auch in den eigenen Reihen nicht unwidersprochen. »Der Vorsitzende der IG Metall sorgt sich um die Finanzausstattung der Unternehmen, nicht um die Nöte der Krisenopfer in Spanien, Griechenland oder in Deutschland«, monierte Stephan Krull, langjähriges Betriebsratsmitglied bei VW in Wolfsburg, auf der Internetplattform Labournet. »Wir halten dein Verhalten nicht nur für unsolidarisch, sondern auch für ein Hindernis für die Entwicklung von Gegenwehr in Deutschland angesichts der deutlich nahenden Krise«, heißt es in einem offenen Brief, den zahlreiche Gewerkschafter an Huber adressierten.
In einem Aufruf mit dem Titel »Für ein krisenfestes Deutschland und ein soziales Europa« macht die IG Metall deutlich, wie sie sich die Standortpflege vorstellt. »Die Lokomotive Deutschland stößt ordentlich Rauch aus und ist auf Touren«, heißt es dort. Die IG Metall fordert die Politik dazu auf, mit keynesianischen Maßnahmen, wie der Erhöhung der Vermögenssteuer, für den Wirtschaftsstandort Deutschland Sorge zu tragen. Es greift allerdings zu kurz, diese von der IG Metall hinlänglich bekannte Standortpflege als Klassenverrat der Gewerkschaftsspitze zu deuten, wie es manche linken Kritiker tun, die sich im Wesentlichen nur einen Austausch der Führung wünschen. Denn Teile der Facharbeiterschaft in der metallverarbeitenden Industrie sehen durch den Korporatismus der IG Metall durchaus ihre Interessen vertreten. Sie sorgen auch für die verbandsinternen Mehrheiten der Vertreter dieser Position.

Mit ihrer Standortpolitik gerät die IG Metall immer mehr in die Kritik von Gewerkschaftern aus der EU, die das deutsche Wirtschaftsmodell häufig als »Dampfwalze« wahrnehmen und für den Abbau von sozialen Standards und Gewerkschaftsrechten verantwortlich machen. Obwohl bei dieser Kritik die Verantwortung der eigenen Politiker für die Krisenpolitik manchmal zu kurz kommt, wird doch die Dominanz Deutschlands im europäischen Machtgefüge richtig erkannt. Noch nie standen bei Protesten gegen die Krisenpolitik Vertreter der deutschen Politik derart im Zentrum der Aufmerksamkeit, wie es am 14. November der Fall war. In Thessaloniki wurde der deutsche Generalkonsul mit Eiern beworfen, in Portugal hatten vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 12. November Tausende in einem offenen Brief erklärt: »Wir haben Sie nicht gewählt, erkennen keine Kanzler/in Europas an«. Ausdrücklich solidarisierten sich die Unterzeichner mit den Menschen, die überall in Europa gegen die Sparpolitik auf die Straße gehen.
Dass eine solche Stimmung nicht nur in der europäischen Peripherie zunimmt, zeigte sich auch am 7. November. An diesem Tag protestierten etwa 150 Beschäftigte des von Schließung bedrohten Ford-Werkes im belgischen Genk vor der Werkszentrale in Köln (siehe auch Seite 16). Anders als die meisten deutschen IG-Metaller warteten sie nicht auf eine Einladung des Managements, um das Verwaltungsgebäude zu betreten. Ein Polizeiansatz mit zahlreichen Personalienfeststellungen sowie eine Besetzung der Ford-Zentrale waren die Folge. Ein Sprecher der belgischen Gewerkschafter bezeichnete sie als »Weckruf an die Kollegen in Deutschland«. Die belgischen Ford-Arbeiter wollten deutlich machen, dass nur ein koordinierter, länderübergreifender Widerstand die geplante Schließung abwenden könne. Die Verunsicherung durch die drohende Schließung des Ford-Werks hat dazu beigetragen, dass sich auch in Belgien zahlreiche Beschäftigte der Automobilindustrie, aber auch der Eisenbahn am 14. November am Streik beteiligten. Die Kritik an der Passivität der deutschen Gewerkschaften wurde von belgischen Kollegen bereits vor zwei Jahren sehr originell ausgedrückt. Mit dem Slogan »Helft Heinrich« warben Mitglieder der belgischen Gewerkschaft CSC auf einer Großdemonstration für eine stärkere Unterstützung der deutschen Kollegen, die sich gegen das Kürzungsprogramm entweder nicht wehren wollten oder nicht dazu in der Lage seien.
Dabei sei Deutschland ein Vorreiter auf dem Niedriglohnsektor, der mittlerweile zum europäischen Exportschlager geworden sei, monierten die belgischen Gewerkschafter sehr zum Missfallen vieler deutscher Gewerkschaftsfunktionäre, die dieses Unterstützungsangebot eher als Provokation ansahen.

Dass es unter den DGB-Gewerkschaften auch Vertreter gibt, die sich von der Standortlogik der IG Metall abheben, zeigten die vielen Aufrufe und Erklärungen unmittelbar vor dem 14. November. Allerdings war die geringe Beteiligung an den Kundgebungen ein Beleg dafür, dass nur wenige Gewerkschaftsmitglieder bereit sind, ihre Solidarität mit den europäischen Streiks auch praktisch auszudrücken. Knapp 1 000 Menschen beteiligten sich in Berlin an den Protesten. Dazu hatte schließlich auch der DGB Berlin-Brandenburg in letzter Minute aufgerufen. Initiiert aber hatte sie vor allem ein politisches Bündnis, das sich »Neue antikapitalistische Organisation« (NAO) nennt und den Anspruch erhebt, Gruppen und Einzelpersonen mit trotzkistischem, autonomem und feministischem Hintergrund zusammenzubringen. Unabhängig von dem Bündnis hatte nach monatelangem Schweigen auch das Berliner »M31«-Bündnis mit dem Slogan »Unsere Solidarität gilt nicht dem Standort« zur Solidaritätsaktion aufgerufen. Es hatte den europaweiten, antikapitalistischen Aktionstag am 31. März mit vorbereitet und auchfür die »Blockupy«-Aktionstage im Mai in Frankfurt geworben. Danach war allerdings von »M31« wenig zu hören. Dabei könnte ein solches Bündnis in einer Zeit an Bedeutung gewinnen, in der die europäischen Gewerkschaften »vaterländisch gespalten« sind, wie es der Politologe Arno Klönne im Online-Magazin Telepolis auf den Punkt brachte, und zugleich im EU-Raum nicht nur die Kritik an der Politik der deutschen Regierung, sondern auch an den DGB-Gewerkschaften zunimmt. Im Zuge des Aktionstags hatten sich auch zahlreiche Basisgewerkschaften aus verschiedenen Ländern mit eigenen Aufrufen zu Wort gemeldet.