Was ist »Steampunk«?

Mehr Steam als Punk

In den fiktiven Welten des Steampunk huldigt man dem viktorianischen Zeitalter und seinen mit Dampfkraft betriebenen Maschinen. Nicht zuletzt das Hollywood-Kino hat dafür gesorgt, dass die retrofuturistische Ästhetik des Genres in die Popkultur vorgedrungen ist.

Ständig wechselnde Trends sind ein wichtiger Mechanismus der Kulturindustrie. Die Moden haben nicht nur immer kürzere Halbwertzeiten, sondern überlagern einander auch und bilden oft eher ein Kontinuum als eine Abfolge schroffer Brüche. Bereits vor 16 Jahren prägten die Kulturwissenschaftler Mark Terkessidis und Tom Holert dafür den Begriff »Mainstream der Minderheiten«. Dabei war die Popkultur damals fast noch übersichtlich, ja geradezu monolithisch. Nicht zuletzt durch das Internet, wo sich auch für die schlechteste Idee noch eine Fangemeinde finden lässt, wimmelt es mittlerweile nur so von Subkulturen und Subsubkulturen, es werden neue Musikgenres wie Chill Wave, Witch House oder Sweee beinahe im Wochentakt aus der Taufe gehoben und zum neuesten heißen Scheiß erklärt.
Es gibt jedoch auch Trends, die sich vergleichsweise langsam entwickeln und lange unterhalb der allgemeinen Aufmerksamkeitsschwelle existieren, bevor sie dann urplötzlich überall gleichzeitig zu sein scheinen. Einer dieser Trends heißt Steampunk.
Mindestens bis in die achtziger Jahre lassen sich die Ursprünge des Steampunk zurückverfolgen. Zunächst handelte es sich vor allem um ein literarisches Subgenre der Science-Fiction. In Anlehnung an das populäre Genre des Cyberpunk begannen immer mehr Autoren, mit dem Genre der alternative history zu experimentieren. Diese Erzählungen sind im von Industrialisierung und gesellschaftlichen Umbrüchen geprägten viktorianischen Zeitalter angesiedelt, von Dampfkraft angetriebene Phantasiemaschinen spielen darin eine wichtige Rolle. Wirklich in Schwung kam das Genre jedoch erst, als kurz nach der Jahrtausendwende auch Hollywood auf die Ästhetik des Steampunk aufmerksam wurde und seine retrofuturistischen Elemente Eingang in die Blockbuster fanden. Zwar wurden auch schon im letzten Teil der Trilogie »Zurück in die Zukunft« und in »Wild Wild West« Elemente des Steampunk verwendet, doch waren es erst Filme wie »Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen«, »Hellboy – Die goldene Armee«, »Van Helsing« oder Guy Ritchies Neuauflage von »Sherlock Holmes«, die die Aufmerksamkeit auf das Phänomen Steampunk lenkten.
Vielleicht passt Steampunk mit seiner starken Betonung von Ästhetik und Handarbeit einfach sehr gut in die heutige Zeit, in die Ära von Etsy und Tumblr, von Retrowahn und sozialnetzwerkelnder Selbstinszenierung. »Es geht dabei viel um Kunst, aber auch viel um DIY«, meint Wolfgang Fritz, der für die ansonsten im virtuellen Raum agierende Steampunk-Community einen Treffpunkt geschaffen hat. Er eröffnete im Berliner Stadtteil Friedrichshain die »12 Grad Aetherloge« und damit die erste Steampunk-Bar der Republik. Der Name wurde bewusst so gewählt, dass er Raum für Phantasie und Interpretation lässt, denn Kreativität ist eines der wichtigsten Charakteristika des Steampunk.
Für Fritz geht es zwar auch, aber nicht nur um Kleinkunst, Musik und handgefertigte Unikate und schon gar nicht nur um den Absinth oder The Kraken Rum, die es in seiner Bar natürlich auch gibt. All das ist nur das Ambiente. Der Geist von Steampunk schlummert woanders. Dem Barbetreiber geht es vor allem um das Experimentieren mit Neuem und um den bewussten Stilbruch. »Wenn einer zu so richtig schicken 300 Euro teuren Schuhen eine Punkfrisur trägt, das gefällt mir dann«, sagt er, und Simon, ein Freund des Hauses, meint: »Puristischer Steampunk ist ein Widerspruch in sich.«
Die Freiheit des Einzelnen, Steampunk so zu interpretieren und zu leben, wie es ihm beliebt, resultiert natürlich zu einem Gutteil aus der banalen Tatsache, dass die Szene noch relativ jung ist, es noch kein festes Regelwerk gibt und niemand über die Einhaltung von Normen und Codes wacht. Für einen Teil der Szene, zumindest in den USA, geht die Freiheit des Einzelnen aber noch weiter. Rund um das Steampunk Magazine, das in seinen Anfängen vor mittlerweile sechs Jahren von dem anarchistischen Kollektiv »Strangers in a Tangled Wilderness« aus Oregon vertrieben wurde, hat sich eine Strömung etabliert, die Steampunk explizit politisch versteht.
»Steampunk ist eine von vielen, vielen Bewegungen und Kulturen, die versuchen, die Homogenität zu durchbrechen«, schreibt die Herausgeberin des Steampunk Magazine, Margaret Killjoy. »Mal ganz abgesehen davon, dass derjenige, der meint, er sei ›unpolitisch‹, nur den Status quo unterstützt.« Killjoy interessiert sich für die Problematik des Steampunk, der sich mit einem Zeitalter der Geschichte befasst, für das nicht nur Dampfmaschinen kennzeichnend sind, sondern auch der Kolonialismus, der oft mit Antisemitismus vermengte Nationalismus und die Gewalt gegen progressive politische Bewegungen. So ist es ein schmaler Grat zwischen der Instrumentalisierung der historischen Epoche als Setting für die eigenen Phantastereien und der Affirmation rassistischer Kolonialromantik sowie der großbürgerlichen Verachtung der verarmten Massen. Prinzipiell ist Steampunk für rechte Ideologien genauso offen und anfällig wie Gothic, Black Metal oder Neofolk, und genau wie dort wird auch hier ein aktives Entgegenwirken innerhalb der gerade erst entstehenden Szene vonnöten sein. Statt auf die Geschichte der Herrschenden sollte Steampunk sich, wie Margaret Killjoy fordert, auf die Geschichte der Unterdrückten beziehen und deren Perspektive einnehmen. Das Entstehen der Frauen- und Arbeiter-, aber auch der LGBT-Bewegung, die in eben jene für Steampunk stichwortgebende Epoche fällt, sollte hierfür eigentlich Stoff genug liefern.