Die flämischen Separatisten

Belgien: Die Konföderierten kommen

Nach dem Sieg der Nieuw-Vlaamse Alliantie bei den Kommunalwahlen träumen flämische Separatisten von der Unabhängigkeit. 2014 könnte zum entscheidenden Jahr werden.

Wenn es stimmt, dass sich große Veränderungen mit kleinen Vorzeichen ankündigen, dann sollte man dem Städtchen Aalst in diesen Tagen die nötige Aufmerksamkeit widmen. In der Provinz Ostflandern, zwischen Gent und Brüssel gelegen, ist Aalst eine von mehr als 30 Gemeinden, in denen die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) bei den Kommunalwahlen im Oktober zur stärksten Partei wurde. Seither gönnt man sich dort einen Stadtrat mit dem bemerkenswerten Zuständigkeitsbereich »Einbürgerung und flämische Angelegenheiten«. Dieser soll dafür Sorge tragen, den vermeintlich flämischen Charakter der Stadt zu bewahren. Angesichts des Zuzugs frankophoner Belgier sei das notwendig, meint der neue Bürgermeister Christoph d’Haese, ebenfalls N-VA-Mitglied.
Die marktliberale und konservative Partei entstand 2001 aus der nationalistischen Sammelbewegung Volksunie (VU). Ihr Sieg hat Belgien durchgeschüttelt wie ein Herbststurm. Davon, dass dies eine rein lokale Bedeutung habe, wie Premierminister Elio di Rupo (Parti Socialiste) gänzlich realitätsfern erklärte, kann keine Rede sein. Schließlich hatte die Ikone der N-VA, Bart De Wever, der selbst mit großem Vorsprung die Abstimmung in der Hafenmetropole Antwerpen gewann, die Wähler der niederländischsprachigen Region Flandern aufgerufen, aus ihrer Stimme einen Protest gegen die Regierung zu machen. »Die Veränderung beginnt in der Dorfstraße!«

Diese Rhetorik war noch nichts im Vergleich mit dem Ton, den De Wever nach seinem Triumph anschlug. Vor johlenden Anhängern forderte er »Elio di Rupo und die frankophonen Politiker« auf, Belgien gemeinsam mit der N-VA in eine Konföderation umzuwandeln. Im französischsprachigen Landesteil löste die Ansprache die beabsichtigten Reaktionen aus: »Natürlich bin ich besorgt«, sagte die RTL- Journalistin Chantal Monet, die am Wahlabend aus Antwerpen berichtete. »De Wever und die N-VA reden immer von Konföderation. Aber was verbirgt sich eigentlich dahinter?«
Die Antwort auf die Frage ist deutlich: Die Partei bekennt sich in ihrem Grundsatzprogramm zu einem »unabhängigen Flandern«. Dass man zuletzt eher über eine belgische Konföderation redet, passt einerseits zum betont gemäßigten Auftreten der N-VA, die sich von der rechtsextremen Partei Vlaams Belang mit ihrer rabiaten Sezessionsrhetorik absetzen will. Zudem hängt die N-VA der Idee an, Belgien werde sich zwischen einem starken Flandern und Europa gleichsam automatisch auflösen. »Verdampfen« solle das Land, so der Historiker Bart De Wever.
Der Slogan »Evolution statt Revolution« reduziert die N-VA zur Erfüllungsgehilfin der Geschichte. Freilich verbirgt er kaum, dass das angestrebte starke Flandern nicht vom Himmel fällt, sondern in den vergangenen vier Jahrzehnten durch eine kontinuierliche Regionalisierung erst politisch Form angenommen hat. Die Verlagerung von immer weiteren Befugnissen in die Regionen Wallonie, Flandern und Brüssel hat die föderale Regierung ausgehöhlt. Selbst im Lager der belgicistes genannten Anhänger eines einheitlichen Belgien kann daher niemand mehr ernsthaft glauben, den flämischen Nationalismus mit solchen Konzessionen im Zaum halten zu können. Schließlich bestätigt jede weitere »Staatsreform« das Bild eines Landes in Auflösung, während die N-VA weiterhin an vorderster Front mehr Regionalisierung fordert.

Zum entscheidenden Jahr für die weitere Entwicklung dürfte nun 2014 werden, wenn in Belgien Anfang Juni gleichzeitig Wahlen zu den regionalen, zum föderalen und zum Europa-Parlament stattfinden. Sollte der steile Aufstieg der N-VA sich fortsetzen, könnte das Ergebnis das Land in eine Krise mit ungewissem Ausgang stürzen. »In flämisch-nationalistischen Kreisen sieht man 2014 als ultimative Chance, Belgien aufzubrechen«, schrieb der Politologe Dave Sinardet unlängst in der Tageszeitung De Morgen. Entscheidend dafür wird auch sein, inwieweit sich die anderen flä­mischen Parteien dieser Agenda anschließen. Schließlich sind die Parteien in Belgien nach Sprachgruppen getrennt, und eine Koalition besteht demnach aus frankophonen und niederländischsprachigen Partnern.
Im Städtchen Aalst wird man den »flämischen Charakter« bis dahin wohl hinreichend zur Geltung bringen, zumal der zuständige Stadtrat mit der Materie bestens vertraut ist: Karim Van Overmeire ist einer der ehemaligen Ideologen des rechtsextremen Vlaams Belang und seit 2011 Mitglied der N-VA. Seine Parteikarriere teilt Van Overmeire mit mehr als 40 weiteren N-VA-Mitgliedern.