Blühe, Konjunktur!

Zur Abwechslung mal eine Rechenaufgabe: Ein Land hat 100 Milliarden Euro Schulden und erwirtschaftet ein Bruttoinlandsprodukt von 100 Milliarden Euro. Die Schuldenquote beträgt also 100 Prozent. Nun kürzt das Land seinen Haushalt und reduziert seine Schulden auf 90 Milliarden Euro. Allerdings verursachen die Sparmaßnahmen eine Rezession, das Bruttoinlandsprodukt sinkt auf 90 Milliarden Euro. Wie hoch ist die Schuldenquote nun?
Wenn Sie auf die richtige Antwort kommen, wissen Sie auch, warum die Entschuldung Griechenlands nicht vorankommen kann. Seit dem Beginn der »Griechenland-Hilfe« hat sich die Schuldenquote des Landes um etwa 25 Prozent auf 170 Prozent erhöht, für das kommende Jahr wird ein weiterer Anstieg um elf Prozent erwartet. Das darf nach Ansicht der europäischen Regierungen, der EU-Bürokratie, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) natürlich keinesfalls ein Grund sein, die bisherige Griechenland-Politik zu ändern. Gestritten wurde bei den Verhandlungen, die am Dienstag endeten, über Zahlungsmodalitäten und Zeitpläne. Alle Szenarien beruhen auf der Vorstellung, dass in Griechenland irgendwann die Konjunktur wieder erblüht. Dann klappt’s auch irgendwie mit der Schuldenzahlung. Gleichzeitig wird aber durch Lohnkürzungen und den Abbau der Infrastruktur alles getan, um die Rezession zu verschärfen. Das ist so, als würde man einen Menschen gleichzeitig würgen und künstlich beatmen. Beim IWF hat man am meisten Erfahrung mit diesem Verfahren. Seit Ende der siebziger Jahre befinden sich die meisten afrikanischen Staaten in der »Strukturanpassung«, sind aber immer noch nicht angepasst genug. Aufgrund der langen Erfahrung weiß man beim IWF auch, dass es ohne Schuldenerlass nicht geht. Ein solcher Erlass sollte nicht als großmütige Wohlfahrtsmaßnahme missverstanden werden. Vielmehr dient er dem Erhalt der Zahlungsfähigkeit des Schuldners. Doch bei den Verhandlungen mit afrikanischen Staaten steht dem IWF eine schwache Regierung gegenüber, deren Mitglieder zudem häufig von der »Strukturanpassung« profitieren. Bei den Verhandlungen über die Schulden Griechenlands hat der IWF zwar kaum Probleme mit der Regierung dieses Staates, doch muss er mit den Deutschen zurechtkommen, die nicht nur ebenso wenig über die Sparpolitik mit sich reden lassen wie die Taliban über die Sharia, sondern auch eisern darauf bestehen, dass eine Schuldenreduzierung erst nach den Wahlen im kommenden Jahr verkündet wird. Die Verzögerung dieser Maßnahme, deren Notwendigkeit sogar der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle eingesehen hat, verschärft die Rezession in Griechenland und erhöht die Schuldenquote. Damit wächst auch die Gefahr einer gesamteuropäischen Rezession. Der deutsche Wahlkampf könnte der teuerste der Welt werden.