Die Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in der Türkei

Raketen für die Pufferzone

Über die Stationierung von »Patriot«-Luftabwehrsystemen der Bundeswehr an der türkisch-syrischen Grenze soll im Dezember der Bundestag entscheiden.

Bei der Abstimmung im Bundestag über die Stationierung von zwei »Patriot«-Raketenstaffeln und rund 170 deutschen Soldaten in der Türkei, die die schwarz-gelbe Bundesregierung im Dezember anstrebt, zeichnet sich eine Mehrheit für das Mandat ab. Neben den Regierungsparteien will auch die SPD dem Einsatz zustimmen, während sich die Grünen bislang unentschieden und Vertreter der Linkspartei ablehnend äußerten. an der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien kam es in den vergangenen Wochen zu Zwischenfällen, bei denen mehrere türkische Zivilisten von syrischen Artilleriegranaten getötet wurden. Daraufhin hatte die türkische Regierung bei der Nato in Brüssel um die Entsendung von »Patriots« gebeten. Innerhalb des Militärbündnisses verfügen nur die USA, die Niederlande und Deutschland über die modernste Ausführung dieses Luftabwehrsystems.

Gegen Granaten helfen die »Patriot«-Raketen jedoch nicht, da diese nur zum Abschuss von ballistischen Raketen und Flugzeugen eingesetzt werden können. Bislang deutet zudem wenig darauf hin, dass die Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg gezielt türkisches Territorium attackiert haben. Die tödlichen Grenzvorfälle sind wohl auf Querschläger zurückzuführen, die aus Gefechten zwischen der syrischen Armee und Aufständischen resultierten. Als Reaktion nehmen türkische Militäreinheiten immer wieder syrische Stellungen in Grenznähe unter Beschuss.
Skeptisch gegenüber dem Einsatz der Bundeswehr ist unter anderem der Grünen-Politiker Omid Nouripour, der davor warnte, dass sich Deutschland und die Nato ohne völkerrechtliche Grundlage in den Konflikt in Syrien hineinziehen lassen könnten. »Der Einsatz von Hunderten deutschen Soldaten mit ›Patriot‹-Raketen würde uns in der jetzigen Situation auf eine sehr glatte Rutschbahn und zu einem Syrien-Einsatz selbst führen«, sagte Nouripour. Hinsichtlich der Bedenken einiger deutscher Abgeordneter wird Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktionen im Bundestag, auf Spiegel Online mit den Worten zitiert: »Einem Nato-Partner, der sich bedroht fühlt, den militärischen Schutz zu verweigern, treibt mir die Schamesröte ins Gesicht.« Ebenso versuchte Alexander Graf Lambsdorff, der FDP-Delegationsleiter im Europaparlament, die Zweifel an dem Einsatz zu entkräften, indem er auf den rein defensiven Charakter der »Patriot«-Raketen hinwies, die nicht dazu in der Lage seien, den Konflikt in Syrien weiter anzuheizen.
In der Tat ist die Nato ihrer Bündnisverpflichtung gegenüber der Türkei durch die Stationierung von »Patriots« in der Vergangenheit bereits zweimal nachgekommen. Anfang der neunziger Jahre und 2003 während der US-Invasion im Irak stellten die Niederlande und Deutschland das Luftabwehrsystem mitsamt militärischem Personal an der türkisch-irakischen Grenze auf. Dem voraus gingen die Drohungen von Iraks Diktator Saddam Hussein, die Scud-Raketen seines Landes könnten jederzeit die Türkei treffen. Eingesetzt wurde die »Patriot«-Abwehr nie. Zudem sind im Unterschied zur damaligen Situation von Syriens Präsident Bashar al-Assad vergleichbare Drohungen bisher nicht zu vernehmen.

Brisant ist der Einsatz der Bundeswehr in der Türkei ohnehin. Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) hat in ihrem Einflussbereich an der Grenze zu Syrien ihre separatistischen Aktivitäten im vergangenen Jahr deutlich ausgeweitet. Das liegt unter anderem daran, dass das Regime Assads die Kontrolle über die kurdischsprachigen Gebiete Syriens seit langem verloren hat. Die PKK-nahe Partiya Yekitîya Demokrat (PYD) dominiert mittlerweile nicht nur diese Gebiete, sondern hat auch Ortschaften im Norden Syriens nahe der Grenze zur Türkei übernommen. In der Türkei wächst sich seitdem die Angst, die PKK könnte den türkisch-kurdischen Konflikt eskalieren lassen. Entsprechend geht das türkische Militär wieder deutlich aggressiver gegen die PKK vor. Das Gebiet, in dem die »Patriot«-Raketen vermutlich stationiert werden sollen, ist zumindest teilweise mit dem Konfliktgebiet identisch, berichtete das Internetportal »Informationen zur deutschen Außenpolitik«.
Andererseits könnten die »Patriot«-Batterien auch dazu dienen, die Einrichtung einer Pufferzone, eines entmilitarisierten Gebiets, auf syrischem Boden zu unterstützen. Wie die türkische Tageszeitung Milliyet berichtete, diskutieren die Türkei und die USA derzeit intensiv darüber, wie die türkische Armee diese Zone etablieren könnte. Sie würde einen Platz für die über 100 000 Bürgerkriegsflüchtlinge in Syrien bieten, von denen sich viele derzeit in der Türkei aufhalten und die dann von der »internationalen Gemeinschaft« versorgt werden müssten. Mit Hilfe der Nato-Flugabwehr könnte dann das türkische Militär die vollständige Kontrolle über den syrischen Luftraum an der Grenze übernehmen.

Trotz der bislang hypothetischen Möglichkeit einer direkten deutschen Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg reagierten Teile der Friedensbewegung und die Tageszeitung Junge Welt, die sich hinter die Assad-Diktatur stellt, alarmiert. Chefredakteur Arnold Schölzel orakelte in einem Kommentar, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (beide CDU) könnten es kaum erwarten, endlich deutsche Truppen einzusetzen, »damit der offene Krieg beginnen kann«. Schölzels Entrüstung darüber, dass »Krieg statt Politik wieder oberster deutscher Grundsatz« sei, wurde nur dadurch relativiert, dass die Bundesregierung mit ihrem Entgegenkommen gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan immerhin mit ihrer »bedingungslosen Unterstützung Tel Avivs« gebrochen habe. Erdoğan hatte zuvor Israel im Gaza-Konflikt »ethnische Säuberung« vorgeworfen.
Die Befürchtung, die Bundesregierung könnte verteidigungspolitisch widerspruchslos durchregieren, wird überdies durch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap entkräftet, die die ARD in Auftrag gegeben hatte. Demnach sprechen sich 59 Prozent der Bevölkerung gegen einen Bundeswehreinsatz an der türkisch-syrischen Grenze aus. Sogar unter den Anhängern der Unionsparteien bilden die Gegner des Vorhabens die Mehrheit.