Der Streit um die Sicherheit in Stadien

Stimmungsboykott gegen Ganzkörperkontrolle

Am 12. Dezember soll über das Sicherheitskonzept der DFL abgestimmt werden. Fans und Ultras wollen es nicht einfach hinnehmen.

Das eigene Banner abzufackeln, noch dazu bei einer Aktion für das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik, ist normalerweise schon an Peinlichkeit kaum zu übertreffen – passiert dies jedoch ausgerechnet kurz vor einer Abstimmung, deren Ergebnis weitreichende Konsequenzen für die Ultra- und Fußballfan-Szene haben kann, sind die Folgen möglicherweise drastischer als nur Blamage, Scham und Ansehensverlust.
Die Chosen Few hatten beim Auswärtsspiel des HSV in Düsseldorf eigentlich nur mit einigen Bengalos ein Pyro-Intro machen wollen. Ein Spruchband mit der Aufschrift »Lasst uns ein Spiel spielen« fing dabei jedoch ebenso Feuer wie das Auswärtsbanner der Gruppe, das komplett abbrannte. Das Spiel konnte daraufhin erst mit fünfminütiger Verspätung angepfiffen werden.
Dass die Chosen Few – eigentlich eine Gruppe, die sich durch Aktionen wie die besonders ausgefeilte Choreographie zum 125jährigen Vereinsjubiläum, für die 45 000 Doppelhalter angefertigt wurden, einen guten Ruf erarbeitet hat – nun Spott und Häme der gegnerischen Fans über sich ergehen lassen muss, wäre für sie schon schlimm genug.
Aber mit ihrer Aktion haben die HSV-Anhänger überdies der gesamten deutschen Ultra-Bewegung geschadet. Ein Brand in einem Stadion gehört zu den Horrorszenarien, die Gegner immer wieder als mögliche Konsequenz ausmalen, wenn es um Pyrotechnik geht. Der Vorfall wird sicherlich auch am 12. Dezember eine Rolle spielen, denn dann steht die Abstimmung über das DFL-Konzept »Sicheres Stadionerlebnis« an. Die Deutsche Fußball-Liga will an diesem Tag zahlreiche Maßnahmen beschließen, die nicht nur Ultras, sondern auch ganz normale Fans betreffen und in ihren Persönlichkeitsrechten stark einschränken könnten. Dazu gehören auch die sogenannten Vollkontrollen, ein euphemistischer Ausdruck für Ganzkörperdurchsuchungen. Die DFL möchte die Vereine zwingen, Container an den Eingängen aufzubauen, in denen als Sicherheitsrisiko geltende Fans Leibesvisitationen unterzogen werden können. Am 10. November waren beim Spiel Bayern gegen Frankfurt bereits Eintracht-Fans in zwei eigens aufgebauten Zelten körperlich durchsucht worden – obwohl es sich nicht um ein sogenanntes Risikospiel handelte. Die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte nannte dieses Vorgehen einen rechtswidrigen »Eingriff in die Grundrechte«, die Frankfurter Fanbeauftragten bezeichneten es als »unangemessen sowie massiv überzogen«. Rund 250 Frankfurter Fans hatten überdies aus Protest auf den Stadionbesuch verzichtet.
Im DFL-Konzept heißt es jedoch: »Wenn andere Maßnahmen nicht zu der Lösung der Problematik führen, sollen weitere Handlungsmöglichkeiten wie die Verbesserung der infrastrukturellen Möglichkeiten für eine angemessene Personen-Körperkontrolle in den notwendigen Stadionsektoren (z. B. Errichtung von Containern statt wie z. T. bisher Zelte) zur Verfügung stehen, um etwaige Vollkontrollen zügig und ohne unverhältnismäßigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte durchzuführen.«
Körperliche Durchsuchungen, die von privaten, durch niemanden kontrollierten Sicherheitsdiensten vorgenommen werden und die eben nicht nur darin bestehen, Taschen vorzuzeigen und Jacken auszuziehen, gehen selbst Fans, die mit den Ultras wenig bis nichts zu tun haben, zu weit. Und selbst die Vereine waren bislang nicht einhellig der Meinung, dass das Sicherheitskonzept der DFL der ganz große Wurf sei. Die Berliner Clubs Hertha und Union, der FC St. Pauli und Fortuna Düsseldorf lehnen den Entwurf ab, andere, wie Hoffenheim und Nürnberg, wollten den Termin am 12. Dezember lieber verschieben.
Die DFL hält jedoch an dem Datum fest. Und dann wird nicht nur über die Einrichtung von Durchsuchungscontainern entschieden, sondern auch über Kollektivstrafen und ein mögliches Verbot von Blockfahnen und Bannern. Das Konzept sieht schließlich auch vor, dass die Fangruppen einen Kodex zu unterzeichnen haben, andernfalls droht der Entzug von Privilegien. Die Vereine verpflichten sich anschließend, keine Eintrittskarten mehr an Gruppen abzugeben, die »nicht bereit sind, eine Fanvereinbarung mit den genannten Mindestinhalten (Gewaltfreiheit, Anerkennung der Stadionordnung im Hinblick auf das Verbot von pyrotechnischen Gegenständen etc.) abzuschließen«.
Es überrascht nicht, dass die Fans den drohenden Sicherheitskatalog nicht kampflos hinnehmen wollen. Schließlich ist kaum eine Bevölkerungsgruppe derart von zunehmender Überwachung und Verboten betroffen wie Fußballfans. Oft dürfen nicht einmal mehr harm­lose Gegenstände wie Luftballons und Konfetti ins Stadion mitgenommen werden, man fühlt sich besonders bei Auswärtsspielen hilflos der Willkür des Security-Personals ausgesetzt, Beschwerdeinstanzen gegen dessen Entscheidungen gibt es nicht.
Der DFB sprach zuletzt zudem viele überzogene Kollektivstrafen gegen Fußballfans aus, wie beispielsweise einen Teilausschluss des Publikums beim ersten Heimspiel des FC Köln in der neuen Saison gegen den SV Sandhausen. Lediglich 22 500 Zuschauer durften ins Stadion, nachdem Kölner Fans beim Abstiegsspiel gegen Bayern die Südkurve in schwarzen Rauch gehüllt hatten. Die mediale Hetze gegen Fußballfans bietet den perfekten Nährboden für die gesellschaftliche Akzeptanz restriktiver Maßnahmen. Dabei wird nur selten gesehen, dass Überwachungsmethoden häufig erst in Fußballstadien getestet werden, um nachher auch auf öffent­lichen Plätzen eingesetzt zu werden, so wurde etwa Indect (ein EU-Projekt, das die Überwachung aller Bürger auf Verdacht ermöglichen soll, z. B. durch Verwendung von Daten aus sozialen Netzwerken) bei der EM 2012 erstmals angewendet. Nur selten schaffen es allerdings Fans, diese Zusammenhänge so darzustellen wie die Ultras von Werder Bremen, die bei einer Fandemo in Berlin ein Transparent mit der Aufschrift »Es geht ums Ganze« präsentiert hatten.
Als Fans und Mitglieder verschiedener Vereine vermehrt Mitspracherecht forderten und Initia­tiven wie »FC-Reloaded« aus Köln, die »Initiative Borussia« aus Mönchengladbach oder die »Sozialromantiker« aus St. Pauli ins Leben riefen, wurde sogar oft abfällig vom »Wutfan« gesprochen – viel Unterstützung für solche Initiativen kam von den Ultras jedoch nicht.
Nun jedoch sollen Fans, Ultras und vielleicht auch ganz normale, nicht organisierte Stadionbesucher gemeinsam für ihre Interessen und gegen das Sicherheitskonzept der DFL vorgehen. Die Initative Pro Fans ruft zu einem bundesweiten Aktionstag am 8. Dezember, also vier Tage vor der Abstimmung über das Konzept »Sicheres Stadionerlebnis« auf. Dazu gehören Fan­demos in verschiedenen Städten sowie Stimmungsboykotte für die ersten zwölf Minuten der kommenden drei Spieltage. Es geht ums Ganze.