Keine Einigung über den EU-Haushalt in Brüssel

Szenen einer Ehe

Die EU-Mitgliedstaaten konnten sich auf keinen gemeinsamen EU-Haushalt einigen. Vor allem Großbritannien und Deutschland sind für eine Reduzierung der Beitragszahlungen.

Nichts als Streit, Zank und Hader. Trotz mehrtägiger Sitzungen konnten sich die EU-Regierungschefs vergangene Woche in Brüssel nicht auf einen gemeinsamen EU-Haushalt einigen. Es war ein Debakel, das sich bereits lange vor dem Gipfel abgezeichnet hatte. Die EU-Kommission hatte für die kommende Haushaltsperiode von 2014 bis 2020 einen Betrag von 1 047 Milliarden Euro vorgeschlagen. Die großen Beitragszahler wie Deutschland wollten das Budget um rund 90 Milliarden Euro kürzen, Großbritannien sogar um 200 Milliarden Euro. Viel Spielraum für Verhandlungen gab es nicht.
Kein Wunder also, dass es zu Konflikten kam, schließlich hängt von dem Budget vieles ab. Vor allem die strukturschwachen Regionen Europas profitieren von den Zahlungen aus dem EU-Strukturfonds, der rund ein Drittel des Haushalts ausmacht. Infrastrukturprojekte wie Straßenbau oder neue Schifffahrtswege können von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung sein. So gibt es in Rumänien gerade einmal 516 Kilometer Autobahn, rund die Hälfte davon wurde nach dem EU-Beitritt 2007 eröffnet. Wesentlich effektiver agiert die Regierung in Polen, dem größten Empfängerland. Sie hat fast dreimal soviel Autobahnkilometer bauen lassen und dafür sechs Milliarden Euro aus EU-Mitteln verwendet. Auch die ostdeutschen Bundesländer erhielten in den vergangenen fünf Jahren neun Milliarden Euro von der EU. Die »Harmonisierung« der Lebensverhältnisse in Europa gehört zu den wichtigen Aufgaben der EU-Kommission.

Angesichts der schweren Rezession und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit vieler Mitgliedsstaaten hatte sie daher kürzlich ein neues »Wachstumspaket« für Europa vorgeschlagen. Damit will sie die industrielle Entwicklung stärken und technologische Innovationen fördern. In diesem Zusammenhang fordert beispielsweise der EU-Energiekommissar, Günther Oettinger, erneuerbare Energien flächendeckend auszubauen. Für Spanien und Portugal sei dies billiger, »als Energie aus Algerien oder anderen Ländern zu importieren«, erklärte er. Doch um solche Projekte zu realisieren, benötigen die Regierungen Spaniens und Portugals dringend finanzielle Unterstützung der EU.
Da aber der gesamte Haushalt reduziert werden muss, bleibt die Frage, woher die zusätzlichen Mittel kommen sollen. Eine naheliegende Möglichkeit besteht darin, den größten Posten, die Agrarsubventionen, zu reduzieren. Rund 40 Prozent der EU-Mittel werden dafür aufgewendet. Die Ausgaben firmieren zwar unter der euphemistischen Bezeichnung »Bewahrung und Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen«, praktisch garantieren sie aber die Interessen französischer und deutscher Bauern. Die hohen Agrarsubventionen führen immer wieder zu Konflikten innerhalb der Union.
Bereits vor dem Haushaltsgipfel hatte der französische Europa-Minister, Bernard Cazeneuve, erklärt, dass sein Land keine Kürzung der Agrarsubventionen akzeptieren werde. Falls aber der Strukturfonds darunter leide, sei dies »unverzeihlich«, wetterte daraufhin der polnische EU-Haushaltskommissar, Janusz Lewandowski. Man könne kein »Wachstumspaket« ankündigen und dann die Strukturfondsmittel kürzen, sagte er.
Der Streit darüber, wo gespart oder Geld ausgegeben werden soll, ist zwar nicht neu. »Die Europäer sind wie ein altes Ehepaar, das sich nicht scheiden lassen will und gezwungenermaßen im selben Haus wohnt, und wo jeder dem anderen misstraut und sein Taschengeld zweimal nachzählt«, hieß es dazu vergangene Woche in Le Monde. Tatsächlich gab es immer wieder zähe Auseinandersetzungen um den EU-Haushalt. Auch frühere Treffen endeten zunächst ergebnislos und konnten erst in einer zweiten Runde mühsam abgeschlossen werden. Doch dieses Mal werden die Konflikte wegen der Schuldenkrise intensiver ausgefochten und die nationalen Interessen noch kompromissloser vertreten.

Denn während die wirtschaftlich geschwächten Länder in Süd- und Osteuropa mehr denn je auf finanzielle Hilfe der EU angewiesen sind, wollen die Nettozahler aus dem Norden Europas weitere Kosten auf jeden Fall vermeiden. Besonders unverständlich finden die Nettozahler die hohen Ausgaben für den Brüsseler Beamtenapparat. Über 200 hochrangige EU-Funktionäre würden mehr verdienen als der britische Ministerpräsident, kritisierte der Guardian. Durchschnittlich werden rund sechs Prozent der EU-Mittel für die Verwaltung und ihre rund 55 000 Mitarbeiter aufgewendet. Das sind Kosten, die nicht nur die EU-kritische Opposition in Großbritannien provozieren. Die Erhöhung des EU-Budgets sei so, »als gäbe man dem dicksten Jungen in der Klasse ein Eis, während der Rest der Kinder auf Diät sei«, fauchte Londons Bürgermeister Boris Johnson, der schärfste innenpolitische Konkurrent von Ministerpräsident David Cameron, vor dem Gipfel. Die Forderungen des Ministerpräsidenten hätte aber auch Johnson wohl kaum überbieten können: Cameron will das EU-Verwaltungsbudget von 62 Milliarden Euro um sechs Milliarden Euro reduzieren, unter anderem durch eine zehnprozentige Gehaltskürzung für alle EU-Beamten und durch eine Erhöhung des Rentenalters auf 68 Jahre.
Dass EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy darauf nicht einging und in einem Kompromissvorschlag ausgerechnet diesen Etatposten unangetastet ließ, empörte Cameron. Die Weigerung der EU-Kommission, die Bezüge der EU-Beamten zu senken, sei »nicht akzeptabel«, sagte er nach Abbruch der Gespräche. Rompuys Vorschlag sah ein Gesamtvolumen von 1 010 Milliarden Euro vor. Insbesondere wollte er die zuvor diskutierten Kürzungen bei der Agrarförderung und beim Kohäsionsfonds wieder teilweise zurücknehmen, nachdem Frankreich und Polen protestiert hatten. Dafür schlug Rompuy vor, die Mittel für Forschung sowie Energie- und Verkehrsprojekte um etwa 13 Milliarden Euro zu reduzieren und gleichzeitig die Ausgaben für die Landwirtschaft um acht Milliarden Euro zu steigern. Anstatt zu kürzen, sollten Posten umgeschichtet werden.
Damit stellte er allerdings niemand zufrieden, am wenigsten Cameron. Denn auch Großbritannien, nach Deutschland der zweitgrößte Nettozahler in der Union, befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Hunderttausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst verloren ihren Job, die Sozialausgaben wurden drastisch reduziert.

Auch wenn seine Äußerungen gelegentlich an Angela Merkels Rede über die schwäbische Hausfrau erinnern, orientiert sich Camerons Politik an anderen Vorgaben. Seine Vorgänger waren schließlich ebenfalls nicht sonderlich daran interessiert, den Einfluss europäischer Institutionen zu stärken. Aus britischer Sicht gilt es vielmehr zu verhindern, dass die spezifischen Wettbewerbsvorteile des Landes verschwinden. Dazu gehören insbesondere die deregulierte Finanzbranche und Steuergesetze, die sich von den kontinentalen Standards unterscheiden. Die durch die Schuldenkrise eröffnete historische Gelegenheit, die verhasste europäische Bürokratie zu schwächen, kann sich der britische Premierminister kaum entgehen lassen. Galten die Briten in den vergangenen Jahren als schräge Einzelgänger, die mit harten Bandagen um ihre Vorteile kämpften und dafür selbst einen Austritt aus der Union in Kauf zu nehmen bereit waren, so finden sie nun plötzlich neue Verbündete. Mit großer Genugtuung erklärte Cameron, dass er mit seiner Kritik keineswegs alleine stehe, sondern auf die Unterstützung der skandinavischen Länder wie auch der Niederlande und nicht zuletzt Deutschlands zählen könne.
Dabei repräsentiert gerade Bundeskanzlerin Angela Merkel anschaulich die schizophrene Haltung der großen europäischen Beitragszahler. Einerseits halten sie an dem Ziel fest, die Wettbewerbsfähigkeit der Union zu stärken, wollen dafür aber weniger investieren. Stattdessen soll die EU-Kommission mit geringeren Mitteln die ehrgeizigen Pläne in die Tat umsetzen. Merkel ist jedoch in der bequemen Position, diesmal nicht als »Angela Thatcher« aufzutreten, wie sie in der britischen Presse gerne bezeichnet wird. Zwar will sie den Haushalt ebenfalls kürzen, aber eben nicht in einer so radikalen Weise wie die Regierung in London. So kann sie als Vermittlerin auftreten und gleichzeitig an ihren Sparvorgaben festhalten.
Ohnehin steht für Deutschland nicht allzu viel auf dem Spiel. Die Bundesregierung überwies vergangenes Jahr 9,2 Milliarden Euro nach Brüssel, was gerade Mal drei Prozent des Bundeshaushalts entspricht. Über den EU-Haushalt soll nun im kommenden Jahr bei einem weiteren Treffen gesprochen werden. Viel bedeutender für die Bundesregierung ist aber der nächste EU-Gipfel. Dort soll über den weiteren Umgang mit der griechischen Schuldenkrise entschieden werden. Im Vergleich dazu ist der EU-Haushalt sicherlich das kleinere Übel.