Das große deutsche »Zeitungssterben«

Selber schuld!

Keine Angst vorm Internet: Die Insolvenzen von »Frankfurter Rundschau« und »Financial Times Deutschland« haben vor allem verlagsinterne Gründe.

Wir leben in einer für Zeitungen und Zeitschriften wunderbaren Zeit. Denn Zeitungen und politische Magazine leben von der Krise und vom Boom. Krisenzeiten sind herrliche Zeiten für Zeitungen, in ihnen finden die Leserinnen und Leser vielleicht Antworten auf ihre Fragen, vielleicht nur eine Meinung, die sie nachplappern können, vielleicht sogar eine Kritik, die sie teilen oder ablehnen können. So oder so dienen diese Medien der Selbstvergewisserung ihrer Kundinnen und Kunden. Zeitungen besänftigen oder putschen auf. Der Mensch, dem beim Lesen der Tageszeitung die Kaffeetasse aus der Hand fällt – wer kennt dieses Bild nicht? Und wirklich, es ist viel los in der Welt: Wir haben eine handfeste Wirtschaftskrise in Europa, die die gemeinsame Währung bedroht, in arabischen Ländern ist es zu Aufständen gegen die alten Regime gekommen, es gab Regierungswechsel und Skandale, Demokratieforderungen und Islamisierungsbestrebungen. Im Zuge der Syrienkrise soll jetzt eventuell auch die Bundeswehr das Nato-Mitglied Türkei militärisch unterstützen. Und im kommenden Jahr wird eine neue Bundesregierung gewählt, vielleicht zieht erstmals eine sechste Partei in den Bundestag ein, vielleicht gibt es eine große Koalition, vielleicht eine schwarz-grüne …
Man könnte noch vieles aufzählen, Ereignisse, die alle in ihrer Existenz berühren, die komplex sind und jeden und jede nach Aufklärung verlangen lassen müssten. Wie gesagt: herrliche Zeiten für Zeitungen und Zeitschriften. Und trotzdem geht es Zeitungen und Magazinen in Deutschland nicht gut.
Die Financial Times Deutschland wird in wenigen Tagen zum letzten Mal erscheinen, die Frankfurter Rundschau ist insolvent und hat wohl kaum Chancen auf einen Fortbestand über den Januar 2013 hinaus. Die Berliner Zeitung, deren Redaktion eng mit der Frankfurter Rundschau zusammenarbeitet, um Kosten zu sparen, muss nun um circa 50 Redaktionsstellen fürchten. Der Spiegel teilte vor einigen Tagen mit, man denke über Stellenkürzungen nach, da sich das Anzeigenvolumen um rund zehn Prozent verringert habe.
Und nicht nur das. In den Redaktionen brach Panik aus. Frank Schirrmacher beschwor in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung den baldigen Untergang der Printmedien. In der Zeit, die die Gefährdung des Journalismus zum Thema der Woche machte, appellierte Giovanni di Lorenzo eindringlich an die Vernunft der Leserinnen und Leser, »die in aller Regel wissen, was sie gutem Journalismus verdanken«.
Der Medienredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Michael Hanfeld, schrieb auf Seite eins über den Freiheitsbegriff des Google-Konzerns und kam zu dem Schluss: »Wir aber nennen das Silicon-Valley-Kapitalismus.« Damit verteidigte er das sogennante Leistungsschutzrecht, das Verlagen ermöglicht, noch ein paar Euro mit ihren Publikationen zu verdienen, indem sie für längere Zitate oder Zusammenfassungen auf Blogs und auf Suchmaschinenseiten Gebühren verlangen.
Und der ebenfalls alarmierte Sascha Lobo machte in seiner Kolumne auf Spiegel Online darauf aufmerksam, dass die Controller in den großen Werbeagenturen kein Interesse mehr daran hätten, Anzeigen in klassischen Zeitungen zu schalten – und auch in Onlinemedien nicht mehr schalten müssten. Die Werbeagenturen machten sich ihr Medium lieber selbst. Oder ließen ihre »großen Marken« – noch einfacher – twittern.
In einigen Tageszeitungen schließlich wird darüber nachgedacht, die Ausgaben unter der Woche einfach zu streichen, die Nachrichten online zu verbreiten und nur am Wochenende gedruckt zu erscheinen. Die »Sonntaz«-Ausgabe der Taz und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung setzen auf die Reportage und sind mit eher zeitlosen Themen recht erfolgreich. Nun überlegen andere Zeitungsverlage, diesem Trend zu folgen.
Der Printjournalismus scheint also dem Untergang geweiht. Und wer trägt die Schuld an der Zeitungsmisere?
Viele machen es sich einfach und verweisen auf das Internet. Doch das Internet ist nur bedingt eine Konkurrenz zur – sagen wir einmal – Financial Times Deutschland. Vor allem stand die FTD sich selbst im Weg. Die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers, die schlagartig alle erkennen ließ, wie schlecht es um die globalen ökonomischen Verhältnisse bestellt ist, traf die Redaktion der FTD genauso überraschend wie zum Beispiel die Redaktion der Glocke, eine Regionalzeitung im Münsterländischen. Und auch die Erklärungsversuche des Wirtschaftsfachblatts waren so hilflos wie die anderer Blätter. Doch in der Finanzbranche wird, wenn es um relevante Fragen geht, lieber der britische Economist gelesen. Die deutschen Blätter taugen mit ihren ideologisch simplen Statements nur für die Meinungsmache. Die FTD ist mithin überflüssig. Für dieses publizistische Angebot gab es zuletzt keinen Bedarf mehr.
Bei der Frankfurter Rundschau sieht die Lage anders aus. 1946 gegründet, war sie über viele Jahre eine der führenden Tageszeitungen in Deutschland. Vor allem aber war sie auch immer eine hervorragende Regionalzeitung. Doch in den vergangenen Jahren fiel sie immer mehr zurück. Das Redaktionsgebäude in der Frankfurter Innenstadt wurde veräußert, Verlag und Redaktion zogen aus Kostengründen in ein ehemaliges Straßenbahndepot am Südbahnhof.
Das Blatt, das nach diversen Besitzerwechseln nun dem Kölner Medienhaus DuMont Schauberg und der SPD-Medienholding DDVG gehört, wurde redaktionell eng mit weiteren DuMont-Blättern verflochten, namentlich der Berliner Zeitung, dem Kölner Stadt-Anzeiger und der Mitteldeutschen Zeitung. Zurzeit wird der überregionale Teil der FR beinahe vollständig in Berlin produziert – auch das Feuilleton. Daher kamen in der FR einige Themen, die in Frankfurt als überaus wichtig galten, nur noch am Rande und als »Lokalkultur« vor – das »alte Literaturhaus« etwa, das blasierte Auftreten von Martin Mosebach oder eine neue große Ausstellung im Architekturmuseum. Zudem wurde das Blatt von seinem Anfang dieses Jahres geschassten Chefredakteur Uwe Vorkötter, der bis 2006 bereits die Berliner Zeitung zu einem konsumentenfreundlichen Journalismus gedrängt hatte, in das ungewöhnliche Tabloid-Format gepresst. Die Texte wurden kürzer und flacher. Die Leserinnen und Leser der FR – der Legende nach Gewerkschafter und Linksliberale – reagierten auf den Relaunch mit Abo-Kündigungen. So verlor die FR innerhalb von zwei Jahren rund 10 000 Abos, also zehn Prozent. Zugleich brach das Anzeigengeschäft ein.
Der Internetauftritt der Frankfurter Rundschau bescherte der Zeitung keine nennenwerten Einnahmen. Obschon er besser gemacht ist als der der Süddeutschen Zeitung – die erst vor wenigen Tagen ihre Website überarbeitet hat –, wurde er kein Erfolg. Die Idee, die FR als reine Internetausgabe zu produzieren, wie es die Geschäftsführung kurz vor der Insolvenzanmeldung angeregt hatte, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie hätte die FR höchstens als Marke noch ein Weilchen weiterleben lassen.
Das Ende der FR sorgte für großes Erschrecken in vielen Zeitungsredaktionen, ist sie doch die erste »Qualitätszeitung«, die in Deutschland aufgeben muss. Prophezeit wurde das Ende der gedruckten Zeitung. Hat das Internet, haben Apple, Google, Facebook und Amazon über die gute, alte deutsche Tageszeitung gesiegt? Wolfgang Storz, der Vorgänger von Vorkötter, forderte in der Taz allen Ernstes einen staatlichen Schutz für Printjournalismus – also gewissermaßen eine öffentlich-rechtliche Tageszeitung – und steht nicht allein mit dieser Forderung.
Allerdings ist auch die FR nicht am Internet zugrunde gegangen. Auch wenn dies die meisten professionellen Medienbeobachter behaupten. Die Zeitung wurde durch diverse Sparmaßnahmen und durch konsequente Vereinfachung bedeutungslos. Die FAZ, im Großraum Frankfurt neben der Neuen Presse die direkte Konkurrentin der FR, hat in den vergangenen Jahren ihren Regionalteil spürbar verbessert, die Neue Presse ist lokal noch besser etabliert, die FR hat sich überflüssig gemacht. Dass sie übrigens eine linksliberale Zeitung sei, ist spätestens seit Vorkötters Eingriffen eine bloße Behauptung.
Doch die FR ist nicht allein. Die Süddeutsche Zeitung und die FAZ haben in den vergangenen Jahren mehrere Entlassungswellen erlebt. Die Zeit hingegen konnte ihre Auflage leicht steigern, die der Taz ist immerhin stabil. Doch nicht die Zahl der Leser entscheidet über den kommerziellen Erfolg einer Zeitung. In den meisten Fällen sind es vielmehr die Anzeigenkunden. Und es fehlt nicht nur die Werbung von finanzkräftigen Unternehmen in den Blättern, sondern weitaus Profaneres: Stellen- und Kleinanzeigen sind in den vergangenen zehn Jahren fast vollständig ins Internet abgewandert.
Insofern irrt Sascha Lobo nicht, wenn er schreibt, dass Werbeunternehmen zusehends feststellen, dass sie ihre Werbung lieber außerhalb eines kritischen »redaktionellen Umfelds«, wie es in Anzeigenabteilung heißt, platziert sehen, ihre Anzeigen lieber in sogenannten People-Magazinen schalten und, wie Lobo meint, verstärkt auf Social Media setzen. Eine Lady Gaga mit Millionen von Twitter-Followern braucht vielleicht wirklich keine Erwähnung in Zeitungen und auch keine Plattenfirma mehr. Sie kann theoretisch selbst den notwendigen Hype schaffen. Doch sind auch die Werber nicht wirklich schuld an der Zeitungskrise.
Sind es, wie Giovanni die Lorenzo insuniert, am Ende die Leserinnen und Leser? Der Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza hat einmal klargestellt, dass ja niemand gezwungen werden könne, eine Zeitung für Leute zu machen, die keine wollen. Wird die Zeitung also am Leserschwund zugrunde gehen?
Nein, sie scheitert am traditionellen Geschäftsmodell, das die Verlage weiterhin pflegen. Es funktioniert einfach nicht mehr. Zum einen haben sich die Zeitungsverlage bis heute stets auf Werbeeinnahmen verlassen. Selbst wenn die gedruckte Auflage steigt, kann eine klassische Tageszeitung also Verlust machen, weil der Großteil der Einnahmen durch die Anzeigen erwirtschaftet wird. Insofern hat der Verlag, der diese Zeitung produziert, immer zwei verschiedene Kundenkreise im Blick – zum einen den, der die Zeitung lesen soll, zum anderen den, der die Zeitung bezahlen soll.
Zu letzterem Kreis gehören die Werbekunden. Und diese haben in den vergangenen Jahrzehnten immer weiterreichende Forderungen an die Anzeigenabteilungen gestellt, diese wiederum wirken immer stärker auf die Redaktionen ein: »Warum wird denn dieser Veranstaltungsort so selten im redaktionellen Teil erwähnt, warum jenes Produkt, könnten wir nicht, wäre es nicht möglich, dass … ?« Zugleich werden Redakteurinnen und Redakteure zum Hummer-Essen ein­geladen, dürfen hier mitfliegen und dort mitfeiern. So haben sich die Redaktionen nicht nur von Parteien und Lobbyisten, sondern auch von der Werbewirtschaft vereinnahmen lassen und geben seit einigen Jahren gern Produktempfehlungen – gerade in der Vorweihnachtszeit sind die Zeitungen voll mit Geschenktipps. Ein kritischer Kommentar zu den Produkten oder die Herstellung eines größeren Zusammenhangs unterbleibt bei einer solchen Art von Journalismus. So verliert man jedoch zusehends die andere, für das Interesse der Werbeindustrie so wichtige lesende Kundschaft. Denn der Wert einer Zeitung wird am Grad ihrer Verbreitung gemessen. Auch die Anzeigenkunden wollen auflagenstarke Blätter.
Nun werden die Leserinnen und Leser von den Verlagen und auch von den Redaktionen immer öfter für dumm verkauft, für eine Art willenloses Stimmvieh, dessen Aufgabe, ja Pflicht, einzig darin besteht, die Produktempfehlungsblätter zu kaufen. Ansprüche an die Zeitung soll es nicht stellen, Leserbriefe werden nicht ernst genommen. So verliert die Zeitung aber ihren Nutzen.
Es ist kein Wunder, dass die Zeitungskrise die meisten Regionalblätter bislang nicht so hart getroffen hat wie die überregionalen Blätter. Hier wird noch berichtet, was an der Kreuzung um die Ecke passiert, hier liest man, welche Umgehungsstraße gebaut wird und warum der örtliche Schlachter zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Dies sind Nachrichten, die sich nicht schon einen Tag vorher auf Spiegel Online oder Zeit.de finden ließen.
Denn der Versuch von Tageszeitungen, mit Nachrichtenportalen im Internet zu konkurrieren, ist zum Scheitern verurteilt. Eine Tageszeitung kann nur überleben, wenn sie Hintergrundberichte, Kommentare, Reportagen und Glossen bietet. Im Auflisten der neusten Meldungen von Nachrichtenagenturen oder beim Empfehlen von Produkten ist das Internet nicht mehr zu schlagen. Daher überlegt etwa der Axel-Springer-Verlag, ob er nicht zukünftig zunächst alle für die Welt produzierten Texte online stellt und dann erst entscheidet, welche es jeweils in die gedruckte Ausgabe schaffen sollten.
Zeitungen, deren Anzeigenaufkommen so gering ist, dass es kaum etwas zum Erhalt des Blattes beiträgt – wie bei der Taz oder Jungle World – können zumindest der ersten Phase der Zeitungskrise entspannt entgegensehen. Eine einzelne Ausgabe kostet am Kiosk zwar mehr als eine vergleichbare überregionale Zeitung, doch das Publikum weiß die redaktionelle Unabhängigkeit zu schätzen. Auf Dauer jedoch muss auch hier ein anderes Geschäftsmodell gefunden werden, denn die Verkaufspreise können nicht ständig erhöht werden, redaktionelle Einsparungen aber sind bei solchen Blättern gar nicht mehr denkbar.
Was also wird aus der gedruckten Zeitung? Jene, die behaupten, sie werde bald verschwinden, haben keine besseren Argumente als jene, die glauben, die Zeitung bestehe für immer und ewig. An der aktuellen Zeitungskrise aber lässt sich eines ablesen: Es wird sich in den nächsten Monaten kaum etwas verändern. Zwar reagieren alle panisch, doch niemand will etwas überdenken, weder den Erscheinungsmodus, noch das Geschäftsmodell. Lieber sucht man einen Sündenbock. Da kann auch schon mal der, der sich sonst stets als Marktradikaler geriert, vom gefährlichen »Silicon-Valley-Kapitalismus« raunen. Im Deutschland nämlich kommt das Böse immer von außen.