Nationale Symbole und Multikulturalismus

Der Kampf um Symbole in Europa

Wenn Nationalflaggen eine Ausschlussfunktion gegenüber Migranten beinhalten, welches Symbol wäre dann für den Multikulturalismus angemessen?

Der Direktor des Kunstmuseums Trondheim, Pontus Kyander, kam diesen Sommer auf die Idee, in seinem Museum die norwegische Flagge nicht mehr zu benutzen. Er argumentiert, dass die Flagge einer Nation kein kollektives Symbol mehr sei, das jeden im Land um sich scharen könne. Dem Direktor zufolge hat die Flagge im Gegenteil eine Ausschlussfunktion, sie versammele allein ethnische Norweger um sich, christliche Gläubige, und nicht die neuen Migranten mit einem anderen Glauben.
Damit hat Kyander den Kampf um Symbole in Europa einen weiteren Schritt vorangebracht. Er wäre kaum auf diese Idee gekommen, wäre an ihr nichts dran. Was, wenn er recht hätte und nicht nur Norwegen, sondern auch andere europäische Länder in verschiedene getrennte Nationen auseinanderfielen, die nicht länger nach Territorien, sondern nach religiösen und moralischen Werten definiert werden? In diesem Sinn lebt die ursprüngliche Bevölkerung mit ihren eigenen Sitten und Normen, getrennt von anderen – muslimischen Migranten, die ihre eigene Welt bewohnen.
Kyanders Idee ist, dass andere nationale Symbole als die Flagge gefunden werden müssten – allgemeinere Symbole, die die Leute jenseits von Religion, Ethnizität, Kultur und Nationalität repräsentieren können. Damit eröffnet er eine Diskussion darüber, was Symbole für den Multikulturalismus bedeuten – der radikalste Versuch, es den Leuten zu ermöglichen, innerhalb des gleichen politischen Territoriums in ihrer je eigenen Welt zu leben – religiös, kulturell, sprachlich. Welches Symbol könnte die Werte verkörpern, die eine solche Community zusammenhalten? Und was für eine Community – wenn überhaupt eine – bleibt in einer multikulturellen Gesellschaft, in der weder Kultur oder Religion, weder Nationalität noch Sprache noch geteilt werden?
In den vergangenen Jahren hat sich der Kampf um Symbole in Europa im Gefolge des Multikulturalismus verschärft. Immer lauter wird die Forderung, dass unterschiedlichen Gruppen das Recht zugesprochen werden soll, ihre eigenen kulturellen Gebräuche zu praktizieren, und dass ihre speziellen religiösen Praktiken anrekannt werden. Mit Unterstützung muslimischer Organisationen bereitete die norwegische Regierung im Jahr 2009 ein Gesetz vor, das es muslimischen Polizistinnen ermöglichen sollte, eine spezielle Uniform zu tragen. In der öffentlichen Debatte in Dänemark ist es normal, für spezielle Öffnungszeiten in öffentlichen Schwimmbädern für muslimische Frauen einzutreten, für spezielle Badekleidung für muslimische Jungen in der Schule, für spezielle muslimische Nahrung in Schulen und anderen Institutionen, für spezielle Gebetsräume in Flughäfen. Es existieren bereits Dolmetscheinrichtungen in einigen öffentlichen Institutionen für jene Migranten, die die dänische Sprache nicht sprechen, und religiöse Schulen, die die Sprache des Herkunftslands von Migranten lehren. Die Erwähnung dieser Tatsachen könnte sehr gut als Anklage verstanden werden. Aber sie könnten auch als Zeichen einer neuen Realität interpretiert werden, der zu begegnen schmerzlich sein könnte.

Wir, Muslime und Nichtmuslime, entwickeln uns immer weiter auseinander, während wir zusammen auf dem gleichen politischen Territorium leben. Das wird in dem britischen Bericht »Living apart together« dokumentiert. Zum Beispiel: 51 Prozent der Muslime in Großbritannien vertreten die Auffassung, dass muslimische Frauen keine nichtmuslimischen Männer heiraten dürften, 31 Prozent vertreten die Meinung, Apostasie bei einem Muslim sei mit dem Tod zu bestrafen, 61 Prozent sind der Meinung, dass Homosexualität falsch sei und kriminalisiert werden solle.
Was sagen uns diese Fakten? Dass der liberale Konsens, mit dem zu leben wir in Westeuropa gewohnt sind, mittlerweile in einer gemischteren Gesellschaft verschiedener Kulturen und Religionen nicht mehr gilt. Wir bewegen uns in die Richtung einer größeren Vielfalt von Auffassungen über Politik und gesellschaftliche Themen, bei der extreme Positionen sichtbarer werden – wie in den USA, wo christliche religiöse Fundamentalisten eine wichtige Rolle im politischen Leben spielen.

Diese Entwicklung löst eine große Verwirrung in Europa aus. Sie könnte als Zeichen einer kulturellen und religiösen Segregation von der Mehrheitsgesellschaft interpretiert werden. Aber auf der anderen Seite könnte sie auch als Versuch begrüßt werden, die kollektive Identität einer kulturellen oder religiösen Gruppe aufrechtzuerhalten.
Wie allgemein bekannt ist, verbot der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy im Jahr 2010 in Frankreich das Tragen der Burka – was aus dem dort geltenden Verbot religiöser Symbole in öffentlichen Schulen und ähnlichen Institutionen hergeleitet wurde. In der Schweiz wurde nach einem Referendum der Bau von Minaretten verboten. Auch viele liberale Schweizer stimmten für dieses Verbot – als Protest. Sie wollten gegen engstirnige Normen in der Kultur der muslimischen Minderheit protestieren und eine offene Debatte über das erzwingen, was sie als Tabuthemen betrachteten. Den Liberalen zufolge, die für das Verbot von Minaretten gestimmt hatten, wagen es nur wenige Politiker und Medien, die Bigotterie einiger muslimischer Normen anzusprechen. Diese betreffen beispielsweise den Mangel an Frauenrechten sowie die weit verbreitete Misogynie und Homophobie. Nach Angaben der Schweizer Wochenzeitung L’Hebdo interpretiert ein liberaler Wähler die Unterstützung des Minarettverbots als einen politisch linken Akt gegen religiöse Tyrannei.
Der Kampf um Symbole scheint die Methode zu sein, mit der Multikulturalismus in Europa in diesen Jahren diskutiert wird. Wenn muslimische Organisationen versuchen, neue Symbole einzuführen, die die kollektive Identität der Gruppe befördern, wird ihnen mit einem autoritären Gegenschlag begegnet. Die Mehrheitsgesellschaft verbietet religiöse Kleidung und religiöse Gebäude.
Pontus Kyanders Kritik an der Flagge kann als Angriff auf diese Gegenschläge verstanden werden. Er mag die Flagge dekonstruieren wollen, das heiligste Zeichen der Mehrheitsgesellschaft, das ausdrücken soll, dass sie als geschichtliche Gemeinschaft jenseits der Zeit existiert. Sein Vorgehen könnte als Behauptung interpretiert werden, dass die Flagge lediglich ein Zeichen für nicht mehr als eine Mehrheit ist – und eine Mehrheit hier und jetzt. Damit stellt Pontus Kyander den ethnischen Staat in Frage.

Jens-Martin Eriksen und Frederik Stjernfelt sind die Autoren des 2008 auf Dänisch erschienenen Buchs »Adskillelsens politik«, das in einer überarbeiteten Fassung 2012 auf Englisch unter dem Titel »The Democratic Contradictions of Multiculturalism« und auf Französisch, übersetzt von Peter Bundgaard, unter dem Titel »Les pièges de la culture; les con­tradictions démocratiques du multiculturalisme« erschienen ist.