Jüdisch, also illoyal

Er wollte doch nur seine ungarischen Landsleute beschützen. Während einer Debatte im ungarischen Parlament am Montag vergangener Woche über den Konflikt in Gaza forderte Márton Gyöngyösi, »in Ungarn lebende Juden in Listen zu erfassen«, vor allem diejenigen »im unga­rischen Parlament und der Regierung«, da diese ein »nationales Sicherheitsrisiko für Ungarn« darstellten. Eine ernstzunehmende Kritik an seinem Beitrag blieb im Parlament zunächst aus. Der 35jährige Fraktionsvorsitzende der Partei Jobbik ist schon öfter mit antisemitischen und den Holocaust leugnenden Äußerungen aufgefallen. Ende März dieses Jahres behauptete er, Juden fielen in Ungarn ein und Israel sei ein »Nazi-System«. Derlei Aussagen gehören in der rechtsextremen Jobbik, die 47 der 386 der Parlamentssitze hält, nur zum guten Ton. Auch die Regierung der nationalistischen Partei Fidesz schreckt vor antisemitischer und rassistischer Propaganda nicht zurück und treibt die Faschisierung Ungarns munter voran. Nachdem Hunderte Menschen vor dem Parlament gegen die jüngste antisemitische Hetze und die Untätigkeit der Regierung protestiert hatten, sah diese sich einen Tag später gezwungen, »Extremismus, Rassismus und Antisemitismus« in einer Erklärung zu verurteilen. Da ist Gyöngyösi dann wohl doch etwas zu weit gegangen, so offen sollte man nicht hetzen. Entschuldigen musste er sich bei seinen jüdischen Mitbürgern und das angebliche Missverständnis aufklären: Er habe eigentlich »Israelis« in Ungarn gemeint, also »Juden mit israelischer und ungarischer Staatsangehörigkeit«, hieß es in einer Stellungnahme auf der Website von Jobbik. Solche Feinheiten sind Antisemiten zum Glück sowieso egal. Als jemand, der selbst im Ausland seine Wurzeln pflegte, müsste Gyöngyösi die den jüdischen Ungarn unterstellte Parteinahme für Israel eigentlich freuen – wäre es nicht der falsche Staat. Als Kind ­eines Diplomaten lebte er lange in Ägypten, Afghanistan, Indien und im Irak, er studierte und arbeitete in Dublin. In all den Jahren fern der Heimat blieb der Politiker Ungarn anscheinend stets treu. 2004 kehrte er nach Ungarn zurück, wo er kurze Zeit später Jobbik beitrat und 2010 zum Abgeordneten gewählt wurde. Womöglich bringt ihn sein Nationalstolz noch weiter: Die Regierungspartei Fidesz verliert an Zustimmung, Jobbik könnte bei den Wahlen 2014 stärkste Partei werden.