Der Trainer des SC Freiburg

Die romantisierte Kantigkeit

Der Trainer des SC Freiburg wird derzeit verehrt – aus den falschen Gründen, findet christian kohn.

Christian Streich ist der neue Shootingstar am deutschen Fußballhimmel. Er bedient mit seiner eigenwilligen Art die Sucht der Sportberichterstattung und ihrer Rezipienten nach Nonkonformität und alternativen Fußballkonzepten jenseits des gesichtslosen Normalbetriebs – und passt dennoch eigentlich nicht in das Bild der deutschen Sportberichterstattung, für die die verbissene Smartness Jürgen Klopps oder die bornierte Eitelkeit Bruno Labbadias positive Eigenschaften sind.
Fünf Spiele in Folge war der SC Freiburg ungeschlagen, bis Bayern München an die Dreisam kam – und die vermeintlichen Underdogs in mühsamer Kleinstarbeit mit 0:2 bezwingen konnte. Wie üblich war auch vor diesem Spiel die Metapher von »David gegen Goliath« bemüht worden, aber am Ende hatten diejenigen, die sich ihren irgendwie anderen, liebenswerteren Fußball zurechtromantisieren müssen, unrecht. Der Sportclub spielte zwar brauchbar mit, letztlich war er dennoch der geballten Münchner Offensive verdient unterlegen.
Das Ergebnis änderte aber nichts an der allgemeinen positiven Haltung gegenüber dem Freiburger Team und dessen Fußball. Das flotte Kurzpassspiel und die hohe Laufbereitschaft erinnern an die Zeit, in der über die Freiburger das geflügelte Wort der »Breisgau-Brasilianer« entstand. Dabei wurde vor allem demjenigen mediale Aufmerksamkeit gewidmet, der – so sind sich die Fachleute einig – am meisten zum sportlichen Erfolg beigetragen hat: Trainer Christian Streich. Er scheint exemplarisch für die kleine Freiburger Sensationsgeschichte zu stehen, die begann, als er das Team in der vorigen Saison auf dem letzten Tabellenplatz übernahm. Schon in der Woche vor dem Bayern-Spiel ließ Jupp Heynckes verkünden, der beste Mann bei den Breisgauern sitze auf der Bank, und bekräftigte damit den medialen Rummel um Christian Streich, der wegen seiner recht eigenwilligen Art zum kultigen Publikumsliebling gemacht wurde – so kultig, dass man ihm kurzerhand das Label »Fußball-Philosoph« verlieh und eine badische Lokalzeitung auf Youtube eine eigene Videorubrik mit den witzigsten Sprüchen aus seinen Pressekonferenzen (»Streich der Woche«) einrichtete.
Nun verhält es sich in den allermeisten Fällen so, dass überall dort, wo individuelle Eigenarten von Menschen medial als vermeintlich nonkonform inszeniert werden, ein fader Beigeschmack herrscht. Nicht nur, dass man schnell das Interesse an demjenigen verliert, der gestern noch der letzte Schrei war, oder dass ehemals als Nonkonformisten geltende Trainer wie Jürgen Klopp oder Hans Maier sich irgendwann ganz artig in ihrer Rolle eingerichtet haben – vielmehr ist die ständige, vermeintlich anerkennende Suche nach schrulligen Marotten und kauzigen Typen schon immer subtil damit verbunden, das Objekt der Begierde dem Hohn der Allgemeinheit preiszugeben, sollte es einmal nicht mehr laufen.
Gerade die Begeisterung für Christian Streich, die von den Medien und auch seinem Verein nach der sensationellen Rettung des SC Freiburg vorige Saison entfesselt wurde, verrät viel über die billigen Klischees dieser fußballbegeisterten Öffentlichkeit. Sicher, Streich bedient mit seiner zerfahrenen Art, seinem alemannischen Dialekt und seiner sympathischen Auffassung von Fußball anscheinend jene Bilder, die nicht zu Unrecht fast jeder im Kopf hat, wenn er an den SC Freiburg denkt: Wer sein Stadion mit Solarenergie betreibt, taugt nun einmal besser als Projektionsfläche für die zahlreichen Fußballromantiker, die ja selbst ein Produkt der Kommerzialisierung des Fußballs sind, als ein Philipp Lahm, dessen Interviews sich immer ein bisschen nach biederem Schwiegersohn anhören.
In der medialen Inszenierung und ihrer öffentlichen Rezeption verkommt der Ruf nach kantigen Typen jedoch schnell zu jener deutschen Sehnsucht, die sich in der Überbetonung von Authentizität und Bodenständigkeit äußert. Der Hinweis auf seine Metzgersherkunft als Anzeichen für Bodenständigkeit, das Herausstellen seines Dialekts als Ausweis von Authentizität – bei alldem wird nicht nur Christian Streichs sportliche Kompetenz indirekt nicht ernst genommen, sondern es schwingt dabei immer auch Spott mit. Daran ändert auch der übliche Verweis auf Streichs Studium der Geschichte, Sportwissenschaften und Germanistik nichts – ganz im Gegenteil.
Wie wenig Christian Streich selbst indes für seine Rolle verantwortlich ist, fällt den wenigsten seiner derzeitigen Bewunderer auf. Wer genauer hinschaut, kann nämlich schnell einen Menschen erkennen, der zwar den Rummel um seine Person – wie er es selbst zugibt – aus Eitelkeit genießt, aber immer wieder darauf hinweist, dass ihm das alles doch eher unangenehm ist. Erkennen lässt sich dies auch daran, mit welch erstaunlicher Konsequenz Streich versucht, gerade nicht jene Klischees zu bedienen, die jeder mit ihm verbindet. Während alle Welt davon schwärmt, dass Streich angeblich jeden Tag ganz umweltbewusst mit dem Fahrrad zum Training fährt, erklärt er ganz nüchtern, dass er genauso oft das Auto nehme; als das ZDF-Sportstudio ihn als Heilsbringer verklärte, verwies er freundlich und ernst auf die 269 anderen Mitarbeiter, die alle gleichermaßen daran beteiligt waren, dass der SC Freiburg den Nichtabstieg geschafft hatte; und während alle anderen ihn als unglaublich schrulligen und leidenschaftlichen Typen darzustellen versuchen, betont er, dass er lieber mit den »leisen Menschen« zusammen ist, weil ihm die lauten viel zu ähnlich seien und er sich »lieber umdrehe«, wenn ihm einer begegne, der so sei wie er: »Was willst du mit denen, das kenne ich doch schon.« Im Grunde scheint er von seiner ganzen Mentalität her sich in der Rolle der öffentlichen Person nicht wohlzufühlen.
Der erstaunlich anhaltende sportliche Erfolg des SC Freiburg wird den Hype um Christian Streich wahrscheinlich anhalten lassen. Doch bei all dem Tamtam um Christian Streichs Person ist in seinem Auftreten eine Freundlichkeit zu erkennen, die in der Fußballwelt nur schwer zu finden ist – etwa, wenn er sich mit vollem Ernst vor seine jungen Spieler stellt und sagt, sie dürften so viele Fehler machen, wie sie eben machen; wenn er davon erzählt, dass ihm sportlicher Erfolg zwar wichtig ist, aber es noch viel wichtiger sei, dass alle in der Kabine miteinander reden können; oder wenn man miterlebt, mit wie viel Chuzpe er auf unverhohlene Fragen der Journalisten ganz unkitschig und vermeintlich hölzern antwortet.
Gerade weil Streich um die immensen Widersprüche weiß, die sein Job und allgemein auch der Profifußball mit sich bringen, und er sich bewusst ist, dass die Medien ihn zur Projektionsfläche populärer Wünsche machen, ist Streich tatsächlich ein Unikum und Eigenbrötler. Dass er fachlich einer der kompetentesten Trainer im deutschen Fußball ist, dessen Auffassung von Fußball derzeit zumindest sehr wohl aus der Rolle fällt, unterstreicht das nur. Als jahrelanger Nachwuchs­koordinator formte er die Jugendabteilung des SC zu einer der besten in der Bundesrepublik. Der Freiburger Profikader besteht nun aus zahlreichen Spielern dieser eigenen Talentschmiede. Und auch seine Auffassung vom Fußball, die mittlerweile so reichlich abgeschmackt wie anachronistisch als »Spielphilosophie« bezeichnet und damit jeden Inhalts beraubt wird, wirkt nicht nur auf dem Platz reichlich sympathisch. Davon ist aber immer nur am Rande zu lesen.