Der Kampf um Anbauflächen für Nahrungsmittel

Sturz ins Bodenlose

Immer wieder wird davon gesprochen, dass die Anbauflächen für Nahrungsmittel knapp werden, von einem »Peak Soil« ist die Rede. Aber nicht so sehr die Bodenfläche ist das Problem, sondern vor allem die Fruchtbarkeit des Bodens.

Es geht um Dreck. Diese meist braunen, feuchten Krümel voller Regenwürmer und Nacktschnecken. Ein Haufen Matsch, nicht gerade prickelnd, wenn man nicht mehr fünf Jahre alt ist. Das Spannendste darin scheinen noch die Maulwürfe zu sein. Aus eben diesem Dreck aber stammen über 70 Prozent unserer Nahrung. Erde bildet das Fundament der menschlichen Existenz. Durch eine verstärkte agrarindus­trielle Produktion und eine stetig wachsende Weltbevölkerung beschleunigte sich die sogenannte Bodenvernutzung in den vergangenen 50 Jahren dramatisch. Ein Drittel der fruchtbaren Humusschicht ist seit dem Zweiten Weltkrieg von der Erdoberfläche verschwunden. Anbauflächen werden weltweit heftig umkämpft, denn gleichzeitig sind global so viele Menschen zu ernähren wie nie zuvor. Bodenexperten bezeichnen diese Krise als »Peak Soil«. Was ist dran an der neuesten Umweltapokalypse?
Mit »Peak Oil« wird der Zeitpunkt bezeichnet, an dem das Maximum der globalen Ölfördermenge erreicht ist. Peak Soil ist ein relativ neuer Begriff der Ökopolitik und bezeichnet den Moment, in dem ein großer Teil des bereits kultivierten Bodens des Planeten dabei ist, ausgelaugt oder zerstört zu werden. Es geht also nicht um eine Abnahme von Ackerfläche. Die weltweit verfügbare potentielle Anbaufläche – es sind etwa zwölf Prozent der Erdoberfläche – stagniert vielmehr bereits seit mehreren Tausend Jahren. Der fruchtbare Humus entsteht jedoch nur sehr langsam. 500 Jahre dauert es, bis sich eine eineinhalb Zentimeter dicke Schicht gebildet hat. Nicht die Anbaufläche nimmt also ab, sondern ihre Fruchtbarkeit. Vor allem geht es dabei um den Gehalt an Phosphor.

Dieser in Gestein gebundene Nährstoff ist elementar für das Wachstum aller Organismen. »Etwa um 1989 war der Zeitpunkt erreicht, ab dem das weltweite Phosphoraufkommen im Boden nur noch abgenommen hat«, erklärt David R. Montgomery, Professor für Geomorphologie der Universität Washington, im Gespräch mit der Jungle World. Der »Peak Phosphorus« wurde einfach verschlafen. Den Grund für das Schwinden des Phosphors sehen Geologen wie Montgomery in konventionellen Landwirtschaftspraktiken. Zum einen ist der Boden durch das Pflügen einen Großteil des Jahres schutzlos der Winderosion ausgeliefert. Nährstoffe werden so aus der Erde geweht oder vom Regen herausgespült. Aber nicht nur die Techniken an sich seien ein Problem, sagt Montgomery. Im 20. Jahrhundert wurde Land immer aggressiver und weitläufiger bewirtschaftet, um den wachsenden Nahrungsmittelbedarf der Weltbevölkerung zu decken. Der Erhalt des Bodens ist damit sowohl qualitativ als auch quantitativ bedroht. Besonders stark betroffen sind Regionen der Welt mit semiaridem Klima, wo die Verdunstung sechs bis neun Monaten des Jahres höher ist als der Niederschlag. Das sind zugleich die Regionen, in denen es ohnehin eine unzureichende Versorgung mit Nahrungsmitteln gibt.
Eine Alternative könnte ökologische Landwirtschaft bieten, das ist der Konsens vieler Geologen. »Wir müssen nicht auf konventionelle Landwirtschaftstechniken zurückgreifen, um genug Nahrung zu produzieren. Das Problem ist lösbar, wir gehen es nur nicht an«, meint Montgomery. Eine weltweite Umstellung auf ökologische Landwirtschaft könne theoretisch viele Probleme des Bodens auf einmal lösen. Düngt man Ackerflächen mit tierischen Ausscheidungen und Knochen, gelangt der darin gespeicherte Phosphor in den Boden. Der Ökoacker kann aber noch viel mehr. Zum Beispiel den weltweiten Ausstoß von Kohlenstoffdioxid regulieren. Um zu verstehen, warum das so ist, kann man sich die Erde als großen CO2-Schwamm vorstellen. Wird der Boden ständig umgepflügt, gibt er Kohlendioxid ab – in einer Menge, die fast ein Drittel der weltweiten Emissionen ausmacht. »Die gute Nachricht ist, dass diese Verbindung in zwei Richtungen funktioniert. Verwendet man bestimmte alternative Landwirtschaftspraktiken, ist es möglich, dass die Erde Kohlenstoff regelrecht aufsaugt«, so Montgomery.

Wie immer wird es erst bei der konkreten politischen Umsetzung schwierig. Schon für das Ziel, den Boden an sich stärker zu schützen, fehlen verbindliche Instrumente. Ein Beispiel wäre die Europäische Bodenrahmenrichtlinie, die seit Jahren von Deutschland blockiert wird. »Wenn diese Blockadehaltung aufgegeben würde, dann würden auch andere Länder in der Folge zustimmen«, ist sich Gabriele Broll, Präsidentin des Bundesverbandes Boden (BVB), sicher. Der BVB ist eine der Lobbygruppen in Deutschland, die sich dafür einsetzen, dass der Boden zum einen geschützt und zum anderen sinnvoll genutzt wird. Insbesondere in Deutschland wird nämlich auch rege über die richtige Nutzung der Fläche diskutiert, da geht es um Energiepflanzen und Futtermittel.
»Fast 80 Prozent der weltweit landwirtschaftlich zur Verfügung stehenden Fläche werden entweder für Futtermittel oder als Weideland genutzt«, gibt auch Thomas Fritz, Autor des Buches »Peak Soil«, zu bedenken. Tierhaltung ist ihm zufolge einer der wesentlichen Faktoren, welche die Bodenverknappung noch verstärken. Für Deutschland fordert Gabriele Broll ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Anbau von Futtermitteln, Energiepflanzen und Nahrungsmitteln. Trotzdem wird weltweit der Futtermittelanbau weiter an Bedeutung gewinnen, denn in Ländern wie China nimmt die tierbasierte Ernährung wohlstandsbedingt stark zu.

An diesem Beispiel zeigt sich die Unüberschaubarkeit der weltweiten Wechselwirkungen und gegenläufigen Anforderungen an den Boden. »Man kann das Nationale nicht vom Europäischen und beides nicht von den weltweiten Entwicklungen trennen. Wir haben global das Phänomen des land grabbing. Ackerflächen werden dabei von ausländischen Investoren zum Anbau verschiedenster Exportprodukte genutzt, nicht aber für die lokale Bevölkerung«, sagt Gabriele Broll. Insbesondere das land grabbing macht deutlich, wie viele Akteure miteinander verwoben sind. »Exterritoriale Landnahmen« gibt es bereits seit der Kolonialzeit. Waren es damals aber noch Luxusgüter, die in den Kolonien angebaut wurden, bestellen China oder Indien heute Reisfelder in Afrika, um der Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln einer wachsenden Bevölkerung gerecht zu werden. Geht es um die Nahrungssicherheit, fragt niemand nach bodenschonenden Anbautechniken.
Inwiefern ist ökologische Landwirtschaft in einigen Regionen der Welt dann überhaupt praktikabel? Ökologische Landwirtschaft erwirtschaftet zumindest vorübergehend geringere Erträge. Schafft man es nicht, in dieser Übergangsphase eine ausreichende Versorgung mit Nahrung sicherzustellen, wird der Weg zu neuen Formen der Landwirtschaft vor allem in ohnehin von Hunger betroffenen Regionen der Welt nicht gangbar sein. Die Unvereinbarkeit von kurz-, mittel- und langfristigen Interessen ist eines der größten Hindernisse bei der Suche nach Lösungen für die Bodenkrise. Hat in großen Teilen Afrikas und Südostasiens die unmittelbare Sicherung der Existenz Vorrang vor langfristigen Interessen, haben in Europa kurzfristige ökonomische Anreize für Landwirte, Agrarindustrie und Investoren Priorität. »Die Agrarindustrie will den höchsten kurzfristigen Profit, vielleicht noch den mittelfristigen, aber ganz sicher nicht den langfristigen. Ganz extrem ist das natürlich im globalen Stil. Wenn chinesische Investoren Agrarflächen in Afrika aufkaufen, dann ist denen egal, ob durch ihre Nutzung der Boden zerstört wird«, beschreibt Broll das Dilemma.
Natürlich gibt es internationale Instanzen, die dem entgegenzuwirken suchen. Etwa die Food and Agricultural Organization (FAO) der Vereinten Nationen, die sogenannte Global Soil Partnerships ins Leben gerufen hat. Hier können Patenschaften für Äcker in der ganzen Welt erworben werden, vor allem mit dem Ziel, den Bodenschutz öffentlichkeitswirksamer zum Thema zu machen. Die FAO aber steht Phänomenen wie dem land grabbing nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Von Investitionen in die vernachlässigte Landwirtschaft verspricht man sich eine Verbeserung der Lage. Thomas Fritz ist deshalb skeptisch, was das Vertrauen in internationale Instanzen betrifft. »Es stellt sich die Frage, welche Art von Landwirtschaft internationale Investoren betreiben. Hier handelt es sich meist um Monokulturen, die Kleinbauern vertreiben und außerdem auf Export setzen. Die Fragen nach Nahrungsmittelsicherheit und sozialer Sicherheit werden somit nicht positiv beantwortet«, bemängelt der Autor im Gespräch mit der Jungle World. Er hebt dagegen den sozialen Hintergrund der Auseinandersetzungen um Boden hervor, der deutlich mache, dass es um mehr geht als um die richtige Anbaupraxis. Gerade viele Kleinbauern in Westafrika haben für ihr Land keinen Eigentumstitel, Bodenreformen könnten hier Abhilfe schaffen. Solche Umverteilungen allein sichern aber keinen Bodenschutz, denn es wäre naiv, kleinbäuerliche Anbauweisen mit ökologischer Landwirtschaft gleichzusetzen.

Wer sich länger mit Peak Soil beschäftigt, fühlt sich wie in einem Öko-Horrorfilm. Ständig werden apokalyptische Szenarien entworfen. Nur geht es in solchen Filmen meist um Viren, verseuchtes Wasser oder andere gut visualisierbare Katastrophen. Wie aber lässt sich etwa die Bodenvernutzung darstellen? »Bodenerosion und Bodenvernutzung verlaufen sehr langsam«, sagt Montgomery. Ein Verlust von einem Millimeter der Humussschicht entspreche ungefähr der jährlichen Rate der Bodenvernutzung auf einem durchschnittlichen Acker. »Sogar deine Fingernägel wachsen schneller«, erklärt er. »Es ist schwer, sich für etwas zu interessieren, das so langsam vonstatten geht.«
Viele Böden sind durch Überbeanspruchung ohnehin schon von schlechter Qualität. Hochrechnungen ergeben, dass Nährstoffe im Boden, wie Phosphor, durch die Abtragung und gleichzeitige Übernutzung bereits in knapp drei Jahrzehnten völlig erschöpft sein werden. Doch der im Grunde dramatische Prozess, in dem die Fruchtbarkeit der Böden abnimmt, verläuft völlig unspektakulär. Deshalb finden vermehrt Veranstaltungen wie die Berliner Global Soil Week statt, auf der auch der BVB sich für ein besseres »Bodenbewusstein« stark machte. Gesellschaftliches Bewusstsein aber wächst bekanntlich ebenfalls im Schneckentempo. Es dürfte also noch ein paar Jahre dauern, bis in Berlin auf der ersten Bodendemonstration Transparente entrollt werden.