Essgewohnheiten in China

In China essen sie Burger

Trotz der großartigen Esskultur werden in China US-amerikanisches Fast Food, fettige Fleischgerichte und gezuckerte Softdrinks immer begehrter. Insbesondere Kinder schätzen die westlichen Produkte.

Eine chinesische Nationalküche gibt es nicht. Die Nordchinesen sättigen sich mit Nudeln, im Süden ist Reis das Hauptnahrungsmittel. Im Norden isst man gerne salzig, im Süden süß, im Osten sauer und im Westen scharf. Hinzu kommen noch unzählige regionale Spezialitäten. Hubei, die Provinz der Tausend Seen, ist für raffinierte Fischgerichte berühmt. In der Provinz Yunnan werden Reisnudeln (»Nudel zum überqueren der Brücke«) und rohe Zutaten in eine auf über 100 Grad erhitzte Hühnersuppe geworfen, um sie nur kurz ziehen zu lassen. Die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang kocht lange Nudeln und grillt feurige Kebabs. Exotische Tiere und Hunde werden eher im Süden gegessen. In Peking ist es hingegen gar nicht so leicht, ein gutes Hunderestaurant zu finden.
In Deutschland kochen die meisten China-Restaurants eine süß-saure Einheitspampe, die Gäste können die Vielfalt der chinesischen Küche nicht einmal erahnen. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie sehr sich Chinesinnen und Chinesen beim Besuch eines westlichen Restaurants langweilen, wo jeder auf seinem Schnitzel oder seiner Pizza herumkaut. In China wird der ganze Tisch mit den unterschiedlichsten Speisen vollgestellt und alle teilen mit den Stäbchen. Statt 20 finden sich oft 100 Gerichte auf der Speisekarte. Die Ansprüche bezüglich der Frische sind viel höher. Insbesondere im Norden werden Nudeln auch in den Straßenküchen selbstgemacht. Fische leben bei der Bestellung noch und werden dem Gast im Kescher vorgeführt.

China konnte seine hohe Esskultur bewahren, obwohl es jahrhundertelang als das »Land der Hungersnöte« galt. In der Ära Mao Zedongs (1949–1976) wurden Lebensmittel streng rationiert. Vor allem die bäuerliche Bevölkerung musste sich notgedrungen überwiegend vegetarisch ernähren, Fleisch war das Festmahl zum chinesischen Neujahr. 1978 erreichte China zum ersten Mal einen Konsum von 2 400 Kalorien pro Kopf und Tag, den die Weltgesundheitsorganisation als Minimum definiert hat. Bis in die frühen achtziger Jahre wurden 80 Prozent des Kalorienbedarfs mit Getreide gedeckt, insbesondere mit Reis. Den Bürgern wurde unter Mao eingeschärft, dass die Verschwendung von Lebensmitteln eine Todsünde sei.
Der Aufschwung der Landwirtschaft und die Marktreformen in den achtziger Jahren änderten die Essgewohnheiten. Konsum wurde zur patriotischen Pflicht erklärt. Statt Maos alter Losung »Die Getreideproduktion als Hauptkettenglied anpacken« zu folgen, durften die Bauern fast alles anbauen, was Gewinn bringt. Seitdem geht der Getreidekonsum pro Kopf zurück und vor allem für die Stadtbewohner wurden Eier, Fleisch, Fisch und Fürchte zum festen Bestandteil der Mahlzeiten. 1970 verspeisten die Chinesen pro Kopf nur neun Kilogramm Fleisch im Jahr, 2002 waren es schon 52,4 Kilo. Dieses Jahr wird der Pro-Kopf-Verbrauch halb so hoch sein wie in den USA.
Der Milchkonsum hat seit 2006 um 40 Prozent zugenommen und der Bedarf kann nicht gedeckt werden. Milch ist auch zum festen Bestandteil der Schulspeisungen geworden. Oft hört man, nur so könnten chinesische Kinder so groß und stark werden wie ihre Altersgenossen im Westen, Laktoseunverträglichkeit hin oder her. Die Zunahme des Konsums von Tierprodukten hat die Landwirtschaft radikal verändert. Früher betrieben die han-chinesischen Ackerbauern wenig Viehzucht, während sich die nomadischen »Minderheitenvölker« darauf spezialisiert hatten. Viele Lebensmittelskandale sind nicht nur auf die Massentierhaltung zurückzuführen, sondern auch darauf, dass han-chinesische Kleinbauern ohne Fachkenntnisse und mit wenig Qualitätskontrollen ihr Glück mit kleinen Herden versuchen. Lebensmittelskandale sind generell ein Grund, warum Stadtbewohner, die es sich leisten können, importierte Waren bevorzugen.
Das Bild der Städte wurde durch die Expansion der Fast-Food-Ketten verändert. 1987 eröffnete Kentucky Fried Chicken sein erstes Restaurant in China, 2011 soll die Kette bereits über 3 700 Filialen in 650 Städten besessen haben. McDonald’s kommt immerhin auf 1 400 Filialen. Die dem chinesischen Geschmack angepassten Hühnerteile sind offenbar besser als Hamburger. Amerikanisches Fast Food gilt vielen Chinesinnen und Chinesen als westlich, modern und chic. Sozialwissenschaftler weisen auch darauf hin, dass Kinder in den vergangenen 20 Jahren zu wichtigen Konsumenten geworden sind. Bis in die frühen achtziger Jahre gab es keine Kinder- und Babynahrung, Kinder aßen das gleiche wie Erwachsene. Für die Babys zerkaute notfalls die Mutter die Nahrung. Nun geben die Eltern einen großen Teil ihres Einkommens für die »kleinen Kaiser und Kaiserinnen« aus. Vor allem die Fast-Food-Ketten haben ihre Werbung auf Kinder ausgerichtet. Sie können selbst bestellen, auch wenn sie noch nicht lesen können, und dürfen mit den Händen essen. Im Reich der westlichen Konsumwelt erklären oft die Kinder den Großeltern, wie sie sich zu benehmen haben, und nicht umgekehrt.

Die meisten Erwachsenen behaupteten lange, ihnen schmecke das amerikanische Essen gar nicht. Mittlerweile scheinen sie sich daran gewöhnt zu haben und man sieht auch Angehörige der Elterngeneration allein in Fast-Food-Lokalen sitzen. Da die Lebensmittelpreise in China enorm gestiegen sind, ist westliches Fast Food fast schon eine billige Alternative zu einheimischen Restaurants geworden. Nicht verwunderlich ist es daher, dass 300 Millionen Bürger offiziell als übergewichtig und 120 Millionen als fettleibig eingestuft werden. Hinzu kommt natürlich, dass die städtische Mittelschicht das Fahrrad gegen das Auto getauscht hat und weniger Menschen harte körperliche Arbeit leisten müssen als früher.
Nur schwer findet sich die Generation der Großeltern in der neuen Konsumwelt zurecht. Viele haben die schlimme Hungersnot von 1959 bis 1961 noch erlebt. In ländlichen Regionen in Provinzen wie Anhui und Henan musste man sich bis in die frühen achtziger Jahre mit Süßkartoffeln ernähren, weil es nicht genug Getreide gab. Während viele Alte die Speisen der Entbehrung nicht mehr anrühren wollen, gelten Süßkartoffeln und andere Lückenfüller der Hungerjahre den jungen Chinesinnen als Gesundheitsprodukte.

Die Jungen finden Tee oft zu bitter und trinken lieber gesüßte Softdrinks. Grüner und schwarzer Tee wird in China ohne Zucker getrunken. Obwohl China der größte Teeproduzent der Welt ist und der Export boomt, stagniert der inländische Konsum. Noch vor zehn Jahren hatte fast jeder Chinese seine Teeflasche immer bei sich, heißes Wasser war an jeder Ecke erhältlich. Einfachen Tee gab es in den Restaurants umsonst und die sparsamen Gäste konnten sich ihre Kanne den ganzen Abend lang immer wieder neu auffüllen lassen. Heute scheinen viele keine Zeit mehr für eine Tasse Tee zu haben. Sich stattdessen mehrere Literflaschen Cola oder Sprite zum Essen zu bestellen, gilt als Statussymbol. Allerdings konsumieren die Chinesen nur 10,34 Liter kohlensäurehaltige Getränke pro Jahr und Kopf, in den USA sind es 167 Liter.
Die Veränderung der Essgewohnheiten in China hat globale Auswirkungen. Der neue Fleischhunger der Chinesen wird für Nahrungskrisen bis hin zum land grabbing in Afrika verantwortlich gemacht. Dabei wird allerdings vergessen, dass erst seit etwa 25 Jahren die große Mehrheit der chinesischen Bevölkerung von der Bedrohung durch den Hunger befreit ist und ihr Konsum pro Kopf immer noch weit vom westlichen Niveau entfernt ist.