Was essen die Monster im Horrorfilm?

Das Rohe und das Gekochte

In vielen Horrorfilmen ist das Essen eine primitive, blutrünstige Angelegenheit. Doch von Dracula bis Hannibal Lecter hat es stets auch Gourmets gegeben, die nicht einfach in jeden Menschen beißen. Eine Gastrokritik

Wer an Essen im Zusammenhang mit Horrorfilmen denkt, dem fällt die Chipstüte vorm Fernseher oder »irgendetwas Ekliges« ein. Doch Horrorfilme sind auch gesund und lehrreich. Sie geben uns nicht nur Verhaltensratschläge für Begegnungen mit Barbaren, Überlebenstipps für den Fall einer Überfremdung durch Außerirdische und Hinweise, wie sich verhindern lässt, dass die Tierwelt sich am Menschen rächt. Nein, sie machen auch schlank, denn allein das Anschauen von »The Shining« (1980) verbraucht laut einer jüngst in Großbritannien erschienenen Studie, die eine Diättabelle des Genres erstellt hat, 184 Kalorien. Ältere Klassiker wie »Das Cabinet des Dr. Caligari« (1920), vor denen keiner mehr Angst hat, haben keinen Eingang in die Untersuchung gefunden, Steven Spielbergs »Jaws« (1975) hingegen ist mit durchschnittlich 161 Kalorien ein zum Abnehmen geeigneter Fressfilm.
Die Wesen aber, die uns mit ihrem Essverhalten Angst einjagen, haben meist keine Probleme mit Übergewicht. Für sie stellt sich eher die Frage: Wo bekomme ich den nächsten Menschen her, in den ich beißen kann? Weniger das Essen selbst ist im Horrorfilm Auslöser von Gruseln und Ekel, sondern die Angst des Menschen vorm Gefressenwerden und davor, selbst zu einem menschenfressenden Wesen zu werden. Aber was und wie essen die Monster im Horrorfilm? Charakteristisch für Untote, also Vampire und Zombies, ist, dass sie im Grunde gar nicht essen müssen, denn an Hunger sterben können sie ja nicht mehr – trotzdem sind sie besessen davon. Sie machen Angst, weil ihre Nahrungsaufnahme unnatürlich und, besonders im Fall der Zombies, zügellos erscheint. Zombies fressen alles auf, was sich bewegt, bevorzugt Menschen, aber auch – wie der Untote Otto in Bruce la Bruces gleichnamigem Film – gerne mal ein Haustier, sofern Menschen nicht greifbar sind. Der klassische, sich langsam bewegende Zombie erscheint zunächst gar nicht so gefährlich, da man jederzeit vor ihm weglaufen könnte. Dass er Angst einflößt, liegt an der Unkontrollierbarkeit der Zombiehorden. Sie formieren sich in einer Masse, die nicht einmal bewusst zueinanderfindet, sondern sich im unbändigen Drang nach Nahrung zusammenrottet und uns angreift, wenn wir kaum noch Fluchtmöglichkeiten haben. Doch auch ihre Allgegenwart macht Angst, denn Zombies sind stets dort zu finden, wo auch Menschen sind. Sie sind ein Teil von uns, und wir können sehr schnell ein Teil von ihnen werden.
So unkoordiniert sich die Zombies auch bewegen, niemand kann ihnen Einhalt gebieten, selbst dann nicht, wenn dem Nebenzombie der Kopf abgeschlagen wird, denn Mitleid mit Ihresgleichen haben Zombies noch weniger als Menschen. Wir wissen zwar, wie ein einzelner Zombie vernichtet werden kann (Kopf ab!), scheitern aber am Kollektiv. In neueren Filmen wird die Angst vor der barbarischen Masse zugespitzt, indem etwa die Frage aufgeworfen wird, was geschähe, wenn Zombies menschliche Intelligenz entwickeln könnten, so in »Land of the Dead« (2005) von George A. Romero. Ein weiterer, eher Ekel als Angst erregender Aspekt der Zombies ist ihr stilloses Essverhalten. Sie reißen das Fleisch vom lebenden Menschen herunter, um es roh und unzubereitet ins Maul zu stopfen. Trotzdem werden sie nie satt. Für den Zuschauer steht angesichts dieser Mischung aus Hunger und Exzess die Furcht im Raum, selbst zu einem hirn- und identitätslosen Wesen zu werden. Reduziert auf das kreatürliche Grundbedürfnis, werden die Menschen als Zombies in schlechter Weise einander gleich, nämlich zu Kreaturen im unheimlichsten Sinne, und verlieren ihre Individualität, deren nutzlos gewordene Reste sie in Form ihrer heruntergekommenen, meist nur fetzenweise vorhandenen Kleidung noch an sich tragen.
Das Kollektiv der Zombies erinnert meist an einen namenlosen Mob, der marodierend durch Einkaufszentren zieht, um sich sein untotes Fortleben durch Plünderung zu sichern. Der Vampir ist demgegenüber ein kultivierter Feingeist. Er ist ordentlich, ja elegant gekleidet, selten in Gruppen unterwegs, wohnt statt in Massengräbern in den Grüften hoheitlicher Schlösser und neigt nicht zur Verwahrlosung. Anders als der Zombie ist er stark individualisiert (die meisten Vampire haben Namen), kann Liebe und Wehmut empfinden und zeigt gegenüber seinen Opfern Höflichkeit und Gastfreundschaft. Da sein Körper sich im Gegensatz zum Zombie durch Nahrungsaufnahme regenerieren kann (und zwar besser als der unwiderruflich alternde Menschenkörper), bedeutet Essen für ihn nicht einfach zügellosen Zwang, sondern Verjüngung, und ist Voraussetzung für den Erhalt seiner untoten, aber individuellen Existenz. Der klassische Vampir ist ein aristokratischer Einzelgänger, er stopft sich den Bauch nicht besinnungslos mit Menschenresten voll, sondern gibt sich in Abgeschiedenheit dem Genuss eines edlen Tropfens hin, den er mit Vorliebe aus jungen, sinnlichen Frauenleibern saugt. Während der Zombie wahllos von der Hand in den Mund lebt, sucht sich der Vampir aus, wen er küsst. In die Clique der Zombies zu geraten ist ein Elend, zum Vampir gemacht zu werden, ist eine finstere Gunst, die einen vom Menschenleben ausschließt, aber auch zum Auserwählten macht.
Erst seit den Achtzigern sind auch Vampire im Film in Clans organisiert, heben sich jedoch weiterhin als Ausnahmegestalten vom Leben der Menschen ab. Die einzige Gruppe, der sich die Vampire verpflichtet fühlen, ist die eigene Dynastie, deren Tradition in ihnen weiterlebt. Weil das Blut für sie eine Auszeichnung ist, verspritzen sie es nicht wie der Zombie in alle Richtungen, sondern genießen es an intimen Orten, ihr Antrieb ist nicht die undifferenzierte Gier des entfesselten Massenkonsumenten, sondern der subtile Genuss des Kenners. Bis auf die kleine Stelle, aus der sie den Trank des Lebens saugen wie die Lust von den Lippen des Geliebten, lassen sie den Körper meist unangetastet, während der Körper für die Zombies ein namenloses Ding ist, das auf der Suche nach Frischfleisch zerlegt und liegengelassen werden kann.
Vampire und Zombies sind menschenähnlich, jene werden meist als mythische, aber auf der Erde ansässige Wesen dargestellt. Die Ursache für die Entstehung der Zombies ist in den frühen Filmen, beginnend mit Romeros »Night of the Living Dead« von 1968, eher unklar. Doch schon wenig später wird sie, ähnlich wie im Tier- und Pflanzenhorrorfilm, in atomarer Strahlung, Genmanipulation oder in Viren ausgemacht. Manchmal sind es Außerirdische, die sich als Parasiten ins Gehirn eines Menschen fressen und ihn zum Zombie machen, so in »Night of the Creeps« von 1986. Das Monster in »Jeepers Creepers« (2001) sucht sich Körperteile von Menschen aus, die nach dem Auffressen Teil von ihm werden. Diese Wesen, die uns nicht einmal von der Gestalt her ähneln, sind schwieriger zu fassen und gerade deshalb angsteinflößend. Ähnlich sind sie uns nur in der Tatsache, dass auch sie essen müssen – am liebsten uns.
In eine ähnliche Richtung geht das Ende der Fünfziger begründete, vielfach aufgegriffene »Body Snatcher«-Motiv. Hier bilden außerirdische »Körperfresser« – so die etwas schiefe deutsche Übersetzung –, die sich wie Pflanzen reproduzieren, Duplikate von Menschenkörpern, um die inkorporierten Personen zu »übernehmen«. Gegenstand des Fressens ist dabei, wie die englische Rede von den »Körperdieben« eher festhält, gar nicht der Körper, sondern die »Seele«, das Wesen der Individuen. In vielen dieser Filme bekommt die Angst vorm Gefressenwerden einen politischen Akzent. Sei es, indem vor den Folgen wissenschaftlichen Fortschritts gewarnt wird, sei es, indem die Erfahrung sozialer Entfremdung veranschaulicht werden soll. Da das schlechthin Abstrakte sich aber nun mal nicht ohne Weiteres konkretisieren lässt, folgen solche Filme oft fragwürdigen Verschwörungstheorien, die der alte Vampir- und Zombiefilm kaum kannte.
Alle bisher genannten Wesen haben eines gemeinsam: Es sind letztlich Phantasiefiguren. Realitätsnäher sind die Kannibalen. Im klassischen Kannibalenfilm der siebziger Jahre (z. B. in »Mondo Cannibale« von 1972) geht es auf meist pseudodokumentarische Weise um »Naturvölker«, bevorzugt aus Ozeanien und Südamerika, zu deren Kultur das Essen von Feinden gehört. In ihrem Essverhalten ähneln sie den Zombies, die im Gegensatz zu ihnen aber Produkt und nicht Gegenbild der westlichen Zivi­lisation sind. Mit den Händen stopfen auch die Kannibalen rohes Fleisch in sich hinein oder teilen sich den Menschen am indigenen Lagerfeuer auf. Auch die Kannibalenfilme haben einen gesellschaftskritischen Anspruch. Dem Kannibalen steht der vermeintlich Zivilisierte gegenüber, der in seiner Eigenschaft als Kolonisator, Tourist oder Wissenschaftsreisender als mindestens so barbarisch wie die Kannibalen dargestellt wird. Die kannibalistische Einverleibung des Menschen erscheint gleichsam als Rache für die »Kolonisierung« der sogenannten Naturvölker durch die westliche Zivilisation.
Die berüchtigten Tier-Snuff-Szenen aus vielen Kannibalenfilmen, in denen »zivilisierte« Protagonisten Tiere schlachten und essen, sollen denn auch die ständig drohende Gefahr des Rückfalls der Zivilisation in die Barbarei demonstrieren. Dabei wird jedoch der Genuss­aspekt, die erotische Lust am Lebenssaft, die den Vampiren einen nekrophil-sinnesfreund­lichen Reiz verleiht, vollständig ausgeblendet. Während der Kannibalismus der Zombies meist als Rückfall der Zivilisation hinter sich selbst dargestellt wird und die Zombiehorden sich als Bild einer in plündernde Banden zerfallenden Gesellschaft deuten lassen, stellen die Kannibalenfilme die unerschlosse Natur der Zivilisation gegenüber und haben die Tendenz, den (auch kulinarischen) Genuss in der Person des Kolonisators oder Touristen als naturfeindlich abzuwerten.
Ein Menschenfresser, der selbst Genussmensch ist und vielleicht deshalb am meisten fasziniert, ist die von Anthony Hopkins verkörperte Figur des Hannibal Lecter in » The Silence of the Lambs« von 1991 sowie in den Sequels und Prequels. Denn er bricht mit fast allen Regeln des ordinären Kannibalen. Er frisst nicht, er speist (selbstverständlich mit Messer und Gabel), sein Menschenfleisch wird sorgfältig zubereitet, delikat angerichtet und mit einem Glas Wein genossen. Seine Opfer sind nicht Objekt seiner Begierde, er versucht auch nicht, sich durchs Essen die Macht der anderen einzuverleiben, stattdessen begegnet er ihnen mit elitärer Verachtung. Erst indem er sie zubereitet und appetitlich serviert, verwandelt er jene, die er im Alltag verschmäht, in eine Quelle von Genuss. Er verleiht ihnen gewissermaßen posthum den Geschmack, den sie als Lebende vermissen ließen. Zugleich respektiert er ihre Individualität, indem er etwa Polizisten anders würzt als Ärzte. Die Menschen, die er als ebenbürtig ansieht, können sich sicher sein, von ihm zumindest nicht gegessen zu werden. So integriert er das Sozialverhalten des zivilisierten Menschen ins Kannibalendasein, das er wie eine Kunst praktiziert. Im Gegensatz zur Faszination, die Vampire mit ihrer Mischung aus Erotik und Gewalt ausüben, geht die Faszination Lecters von seiner überlegenen Intelligenz aus. Er ist gebildet, kontrolliert und ein Spieler mit scharfem Verstand. Nie wieder ist die Figur des Kannibalen im Horrorfilm so verführerisch und bei aller Dämonie geradezu sympathisch gezeichnet worden. Daher werden wir hier den bösen Verdacht nie los, das Überschreiten der Zivilisationsschranke könne womöglich selbst eine geschmackvolle Angelegenheit sein.
Wo der Zusammenhang der Monster mit ihrem Essverhalten brüchig wird, tritt an die Stelle des Horrors die Komödie. Ein Beispiel ist die fleischfressende Topfpflanze Audrey in »Little Shop Of Horrors« von 1960, in der der alberne Aspekt der »menschenfressenden« Pflanzenwesen damaliger Horror- und Science-Fiction-Filme hervorgehoben wird. Ein schönes Trash-Motiv sind auch die aus einem Labor entflohenen Tomaten, die in »Attack of the Killer Tomatoes« (1978) zum Gegenangriff auf die Menschheit rufen und dabei echten Tomatensaft fließen lassen.
Die Komik solcher Filme entsteht nicht nur dadurch, dass die Bedrohung von Gemüse ausgeht, sondern auch durch die Persiflage auf die Ökohorror-Filme damaliger Zeit. In Larry Cohens »The Stuff« von 1985 ist das menschenfressende Wesen eine Süßspeise, was der Konsumkritik einen ironischen Akzent verleiht. In »Fido« (2006) halten sich Bürger gezähmte Zombies, die Limonade trinken und den Menschen, statt sie zu fressen, Essen servieren. Denn essen müssen die Bürger ja weiterhin, seien es auch Chips vorm Fernseher, serviert von einem Zombiesklaven. Allzu viel sollte man allerdings beim Anschauen von Horrorfilmen davon nicht verputzen. Schließlich erfüllt man sonst nicht das Diätprogramm.