Floorball in der Schweiz

Eishockey ohne Eis

Die deutschen Floorballer waren bei der WM in der Schweiz ungewohnt erfolgreich – auch dank Losglücks und ihres Schweizer Headcoachs Philippe Soutter.

In rund zehn Jahren rangiere das deutsche Team vor dem der Schweiz – vorausgesetzt, man arbeite weiter so gut, prognostizierte kürzlich Philippe Soutter, der Trainer der deutschen Floorballnationalmannschaft. Der Coach weiß, dass er mit dieser Aussage zumindest in seinem Herkunftsland provoziert, aber genau das mag der gebürtige Winterthurer, der seit Jahren durch seine extravagante Erscheinung in der eher biederen internationalen Unihockey-Szene auffällt: Glatze, getönte Brille, protzige Ringe und Seglerwolljacke. Soutter coacht das deutsche Team seit Mai 2011 und versucht seither, das zweifellos vorhandene Potential des deutschen Floorballs zu fördern und auszuschöpfen. Bei der WM im Dezember in Bern und Zürich wurde sein Team sensationell Vierter. In Deutschland kennt die Sportart, die sich am besten als Eishockey ohne Eis beschreiben lässt und die 2024 olympisch werden soll, kaum jemand, in der Schweiz ist sie dagegen die Hallensportart Nummer eins.
Mit 10 000 Spielern – in der Schweiz sind es 30 000 – und elf Landesverbänden mit 171 Vereinen hinkt Floorball in Deutschland auch zahlenmäßig deutlich hinterher, auch im Vergleich zu anderen Hallensportarten wie Handball (847 000 Aktive), Volleyball (485 000) oder auch Basketball (190 000). Mit 1 504 Mitgliedern ist der Sport in Sachsen-Anhalt am verbreitetsten, in Berlin-Brandenburg spielen 819 Leute. Um die Jahrtausendwende gab es insgesamt lediglich 1 000 aktive Floorballer, pro Jahr kamen seither rund 750 Mitglieder dazu.
Floorball wurde in den späten fünfziger Jahren in den USA erfunden und kam zu Beginn der Siebziger nach Europa. 1981 wurde in Schweden der erste Landesverband gegründet. 1986 folgte der Internationale Floorball-Verband (IFF). In den achtziger Jahren wurde die Hallensportart dann erstmals in Deutschland betrieben, 1996 begann der reguläre Spielbetrieb. Bereits 1992 war allerdings der deutsche Floorball-Verband gegründet worden. Er wartet aber noch immer auf eine Mitgliedschaft beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Und solange diese nicht realisiert wird, fehlt es an Fördergeldern für Floorball in Deutschland. Im Sommer soll über den Antrag entschieden werden, die Verantwortlichen von Floorball Deutschland würden nur zu gern die Basis stärken und erhoffen sich neben Fördergeldern auch potente Sponsoren. 2009 ist aus Marketing-Gründen der Name des Sports bereits von »Unihoc« auf »Floorball« umbenannt worden.
Die WM-Teilnahme in der Schweiz mussten die deutschen Amateure selbst bezahlen, übernachtet wurde in der Jugendherberge in Zürich. 1 000 Euro kostete die Teilnahme jeden Spieler, plus Reisekosten. Für viele Spieler war das WM-Abenteuer deshalb eher ein teurer Urlaub, in dem sie sich mit den Profis ihres Hobbys messen konnten, wie unihockey-portal.de treffend schrieb. Sportlich gesehen lohnte sich die Teilnahme aber allemal: Das deutsche Team schrieb – auch durch Losglück – Floorball-Sportgeschichte und stieß zum ersten Mal seit 1996 (als die erste WM stattfand) in die besten vier vor. Erstmals seit zwölf Jahren schaffte es damit eine Mannschaft, die nicht aus Schweden, Finnland, Schweiz und Tschechien kam, einen Spitzenplatz zu belegen. Der Generalsekretär des internationalen Floorball-Verbands, John Liljelund, meinte dazu: »Ob es Glück war oder ein verdammter Unfall der Tschechen: Fakt ist, dass nicht mehr länger dieselben vier Teams an der Spitze des Floorballs sind.« Bis dahin war ein achter Rang die beste Klassierung einer deutschen Floorballnationalmannschaft. Bei der diesjährigen WM ging das Team im Halbfinale (0:13 gegen Schweden) und im Spiel um die Bronzemedaille mit 0:8 gegen die Schweiz dann aber gnadenlos unter. Die Mannschaft war überfordert und konditionell am Ende.
Das deutsche Nationalteam ist eine Multikulti-Gruppe: Neun Spieler jagen dem Lochball in der Schweiz oder Schweden nach und haben meist dank Mutter oder Vater einen zweiten deutschen Pass. Die Holtz-Brüder sind beispielsweise in Schweden aufgewachsen. Der 27jährige Superstar Fredrik spricht nur gebrochen Deutsch und spielt in der besten Liga der Welt beim schwedischen Topclub Storvreta IBK. Die Mucha-Zwillinge spielen in der höchsten Schweizer Liga bei Unihockey Mittelland. Die Entwicklung dieser Spieler voranbringen soll eben Philippe Soutter. Der Schweizer Trainer hat ein Faible für Entwicklungsarbeit: Er coachte mehrere Schweizer Spitzenclubs, gewann Medaillen, zog dann aber ins sonnige Tessin, um eine Mannschaft der dritten Liga zu übernehmen. Soutter sagt gern provozierende Dinge wie: »Ich bin insofern zufrieden, weil ich nicht zufrieden bin«, oder: »Ich verstehe mehr von Autos als von Floorball.« Eine Schweizer Zeitung nannte ihn einmal »der Philanthrop im Kleid eines Paradiesvogels«. Bei Soutter ist Spaß ganz wichtig. Oder jedenfalls das, was er darunter versteht. So vergnügte er sich während der WM mit seinen Jungs im Zürcher Zoo und ließ sie ihr Maskottchen aussuchen – bei einer Niederlage, erklärte der Coach dann, müsse dieses sterben. Über sein Team sagt Soutter: »Der Reiter würde sagen, sie sind gut zu führen.« Lernbereit sei es, und das mache ihm Hoffnung. Er ist überzeugt: »Wir haben in Deutschland sehr viel Talent. Das müssen wir transportieren. Dann geht was mit Floorball hierzulande.« Im kommenden Jahr, vom 8. bis 12. Mai in Hamburg, steht erneut ein Highlight auf dem Programm: Floorball Deutschland organisiert mit dem IFF nach 2001 und 2011 zum bereits dritten Mal eine U19-Herren-WM.
Doch reicht es, in einer Randsportart etwas Großes wie den Sprung in ein WM-Halbfinale zu leisten, um mediale Aufmerksamkeit zu erhalten, was doch immer noch fundamental für die Entwicklung eines Sports scheint? Keine 20 Artikel über die Spiele hat das unihockey-portal.de während der WM registriert. Erst die Halbfinalqualifikation war der DPA und der ARD-Sportschau eine Schlagzeile wert. Das Randsportdasein geht also weiter. Auch wenn Soutter träumt und glaubt, schon bald den Bronzemedaillen-Gewinner Schweiz überholen zu können.