Die Jungle World testet internationale Voküs

Köstlich. Der internationale Jungle-Vokü-Test

Volksküchen, im Szenesprech auch Volxküchen oder Voküs genannt, sind links, kollektiv und nicht kommerziell. Aber schmeckt es dort auch? Der Ruf von Voküs ist nicht besonders gut. Gibt es wirklich immer nur den gleichen »Reis mit Scheiß«? Oder sind Volxküchen in Wahrheit raffinierte Gourmettempel einer exquisiten linken Feinschmeckerelite? Kommt ganz darauf an, wo man hingeht. Das hat unser internationaler Vokü-Test gezeigt. Die »Jungle World« hat ihre besten Restaurant-Kritikerinnen und -Kritiker losgeschickt. Lesen Sie hier ihre erstaunlichen Berichte! Guten Appetit und ¡Viva la Revolución!

London: Rohe Gewalt
von Endi Endemann
Bonnington Café, 11 Vauxhall Grove, London
»Haltet euch für Spitzenköche, doch wir sind Gourmets«, lautet eine Textzeile unseres Ego­tronic-Songs »Volksküche«. Vielleicht hat mich selbiger dafür qualifiziert, eine Vokü-Kritik schreiben zu dürfen, obwohl es im Song um etwas völlig anderes geht. Ich habe nichts gegen Volksküchen, ich habe nur etwas gegen schlechtes Essen. Beim turnusmäßigen London-Besuch im November war das Ziel schnell eruiert: das »Bonnington Café«, wunderschön gelegen und eingerichtet und vegetarisch. Das ganze Viertel war Anfang der Achtziger vom Abriss bedroht, wurde dann besetzt und viele Ex-Besetzer leben nach wie vor hier. Um es kurz zu machen: tolles Ambiente, schreckliches Essen. Als Vorspeise eine Kartoffel-Linsen-Suppe. Etwas lahm, aber gerade noch okay. Das folgende »Blumenkohl-Kartoffel-Curry mit Bulgur« hätte als »Reis mit Scheiß« (aber ohne Reis) problemlos in jeder deutschen Punkerküche serviert werden können. Eine Frechheit. Meine Begleitung setzte noch einen drauf, sie bestellte die Tomatenquiche, hier raw zubereitet. In der Raw-veganen Küche darf nichts über 48 Grad Celsius erhitzt werden. So schmeckt es dann auch. Was nützt es, wenn die Nährstoffe in Balance sind, der Quicheboden aber aus Dachpappe hergestellt werden muss? Einziger Pluspunkt: BYO im Sinne von »Bring your own Alcohol«. Für den Preis gibt es das nächste Mal aber lieber wieder BYO beim Inder im East End.

Publikum und Ambiente: ****
Qualität der Speisen: *
Wartezeit: 7 Minuten

Frankfurt: Sonntagsbraten
Von Daniel Steinmaier und Ivana Domazet
Au 14, In der Au 14–16, Frankfurt/Rödelheim

Bei einer »In der Au« gelegenen Küche würde man etwas Kräutriges erwarten, doch das in der Rödelheimer Volksküche »Au 14« getestete Gericht war nicht eben reich an frischem Grün: Der Hauptgang, allein durch Mundpropaganda eingeweihter Gäste angekündigt, bestand schlicht aus Braten, Rotkraut, Kloß und Soß. Die rund einstündige Wartezeit ließ sich an einem Tischfußballspiel mit individuell gestalteten Spielfiguren vertreiben, die mit ihren Iros, Rastas oder Pferdeschwänzen unseren Mitspielern ähnelten. Nach dem zweiten Spiel stand das Essen am Tresen bereit: Eine Durchreiche gab den Blick auf eine saubere Küche frei, in der das Küchenpersonal Klöße aus großen Kesseln schöpfte, ordentlich Rotkraut auf die Teller lud, ein Bratenstück beilegte und das Ganze mit brauner Soße übergoss. Fränkische Klöße waren es leider nicht, nichts Federnes hatten die matschigen Gebilde. Doch der Geschmack: intensiv kartoffeliger Eingang, ein wenig mehlig im Nachgang, bis auf die angebratenen Weißbrotstücke im Inneren unvergleichlich cremig auf der Zunge zergehend. Dazu überaus würziges, fein gehobeltes Rotkraut und eine unaufdringliche, leicht süßliche Soße mit vielen gedünsteten Zwiebeln. Das Herz des Mahls: Ein außen knuspriges, innen fasrig-feines Bratenstück auf Basis gehackter Cashewnüsse – ohne tierische Zutaten. Eine kreative Imitation eines winterlichen deutschen Sonntagsessens.

Publikum und Ambiente: ***
Qualität der Speisen: ****
Wartezeit: 56 Minuten

Paris: Hart, aber herzlich
von Bernhard Schmid
La Rôtisserie, 4 rue Sainte Marthe, Paris

Seit 20 Jahren mache ich meistens einen Bogen um »Volksküchen«, nach leidvollen Erfahrungen mit deutsch-autonomem Volxküchenfraß, den mein Körper weder vertragen konnte noch wollte. Erstmals wieder mit den unkommerziellen Verpflegungsorten versöhnt hat mich La Rôtisserie. Das von außen unscheinbare Restaurant im Pariser Osten verfolgte anderthalb Jahrzehnte lang ein originelles Konzept. Leider schloss La Rôtisserie vor wenigen Monaten ihre Pforten: Gentrifizierung des Viertels, Immobilienspekulation, Ärger mit dem Eigentümer. Bis dahin war Abend für Abend eine andere Gruppe für den selbstverwalteten Restaurantbetrieb verantwortlich. Manche waren feste Gruppen, andere eher informelle Freundeskreise. Viele davon mehr oder weniger politisch – erklärter- oder unerklärtermaßen linksalternativ oder autonom, aber auch eine brasilianische Kulturvereinigung hatte ihren eigenen Abend. Gekostet hat das Essen meistens zwischen sieben und zehn Euro, letzteres für ein Drei-Gänge-Menü. Dazu konnte jeder Gast sich nach Belieben Wein oder andere Getränke bestellen. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis her war das für Pariser Verhältnisse anständig, wenngleich nicht für wirklich arme Leute gedacht. An der Bequemlichkeit haperte es manchmal: Die relativ beengten Räumlichkeiten sorgten zwar für ein gemütliches Ambiente, aber auf den Holzbänken war es dem Hintern nicht immer bequem.

Publikum und Ambiente: **
Qualität der Speisen: ****
Wartezeit: 45–60 Minuten

Rom: Pasta ohne Tränen
Von Catrin Dingler
Zio Giulio, Via dei Falegnami 69, Rom

Für sich nach Berlin sehnende Autonome betrieb das Centro Sociale 32 im römischen Studentenviertel San Lorenzo lange Jahre eine »Volxküche«. Heute hängen dort nur noch Ultras und Junkies ab. Dafür gibt es ein paar Straßen weiter im besetzten Cinema Palazzo zu besonderen Anlässen für 2,50 Euro eine Kelle verkochter Nudeln mit Couscous als Beilage. Wer sich das antun möchte … Für die echte cucina popolare hingegen ist »Zio Giulio« zu empfehlen. Diese klassische tavola calda liegt im Zentrum, die Warmtheke ist deshalb eine ideale Adresse bei Demonstrationen durch die Innenstadt. Auf Plastiktellern gibt es saisonales Gemüse für 3,50 Euro, eine Auswahl von Nudelgerichten für fünf Euro oder frischen Fisch mit Rosmarinkartoffeln für 7,50 Euro. Zur Mittagszeit drängen sich Handwerker, Büroangestellte und ein paar Alte aus der Nachbarschaft zwischen den wenigen Hochtischen und einem sperrigen Getränkekühlschrank. Touristen, die auf dem Weg ins jüdische Viertel durch die schmale Gasse kommen, ist der Laden mit seiner vergilbten Coca-Cola-Werbung und den typischen Schwarzweiß-Postern von Spaghetti verschlingenden Filmschauspielern zu schäbig. Giulio fehlt jede einladende Geste, einen vertraulichen Umgangston pflegt der Koch nur mit seinen Stammgästen. Doch wer mit von Tränengas verquollenen Augen bei ihm auftaucht, bekommt mit Sicherheit wortlos eine Zitrone gereicht.

Publikum und Ambiente: ***
Qualität der Speisen: *****
Wartezeit: max. 10 Minuten

Tel Aviv: Mehr als satt
Von Marina Klimchuk
Rogatka Veggie Bar, Yitshak Sadeh 32, Tel Aviv

Drei Jahre Anarchie, Queerness, Bier zum Brunch, und Punkshows gehen zu Ende. Die Szene in Tel Aviv boomt und für jeden, der jemals ins vegane Leben geschnuppert hat, war das Rogatka (das traurigerweise diese Woche schließt) im verrufenen Süden der Stadt ein Symbol: Jeden Samstag Katerbrunch für die Harten im Garten, Stammgäste aus Überzeugung und einmalige Normalo-Besucher, die sich auch nicht ganz erklären können, wie sie hier gelandet sind. Ein Kollektiv von offiziell 28 Freiwilligen (effektiv sechs Leute, wie ich von Rasta-Rob aus Südafrika erfahre), die mit Herz und Seele bei der Sache sind und jede Woche ein neues Motto vorstellen: Indian, Junk Food, nur Tomate, alles in Weiß, African Day. Ich gehöre nicht zu den vegansten Veganern auf der Welt, aber das Essen hier ist auf jeden Fall gut, nur eben Punk. Für 25 Shekel (ca. fünf Euro), die in Tel Aviv gerade mal für eine Falafel und Cola reichen, wird hier Flatrate gegessen, bis man weit über den Zustand von »satt« hinaus ist. Hinterher geht man noch mit gutem Gewissen raus, denn das wenige Geld, das Rogatka einnimmt, wird immer für einen guten Zweck gespendet. Einziges Manko: Irgendwie stimmt mit der Atmosphäre etwas nicht so ganz, selbst die aus dem engsten Kreis geben es zu. Punk ist in Tel Aviv eine mehr oder minder geschlossene Szene und so ganz wird man dieses Gefühl auch beim gechillten Kater-Brunchen im Rogatka nicht los.

Publikum und Ambiente: ***
Qualität der Speisen: ***
Wartezeit: bis 20 Minuten

Köln: Suppe statt Service
Von Stefan Schüller
Autonomes Zentrum in Köln-Kalk, Wiersbergstraße 44, Köln

Diese Vokü ist keine Touristenfalle, im AZ dinieren auch die einheimischen Autonomen. Die sympathisch minimalistische Suppenküche ist wärmstens zu empfehlen. Hier wird Servicementaliät noch klein geschrieben. »Da vorne kannste dir deine Suppe selbst nehmen und auch selbst bezahlen, BIY!« wird den Gästen entgegengeraunzt. Äußerst angenehm ist es zudem, dass man hier nicht der üblichen, autonomen Vokü-Paranoia verfallen ist: keine abcheckenden, ausladenden Blicke und keine Sprüche wie »Der Verfassungsschutz isst mit!«. Die Zutaten für die Suppen werden regional beim Discounter um die Ecke containert. Was den Gästen an Liebe erspart bleibt, wandert direkt in den Suppentopf. Hingebungsvoll kümmert sich das Chefkochkollektiv um die Zubereitung. Hier kennt man noch jedes Salzkorn beim Vornamen. Darüber hinaus besticht die Location durch ihr Ambiente. In den Hallen der ehemaligen Werkskantine hat jede Mahlzeit ein Heimspiel. Trotz der wiederholten Räumungsandrohung strotzt der Speisesaal nur so vor Gemütlichkeit. In der Hochsaison wäre es daher auch empfehlenswert, sich frühzeitig um eine Reservierung zu kümmern. Leider waren die Leitungen des AZ in letzter Zeit stets besetzt. Eine Räumung wäre ein herber Verlust für die kulinarische Landschaft des Kölner Ostens, auch wenn die Yuppiekneipe gegenüber sehr schmackhafte Pommes und vegetarische Burger serviert.

Publikum und Ambiente: *****
Qualität der Speisen: *****
Wartezeit: keine

Amsterdam: Hirn und Humor
Von Tobias Müller
Miltvuur Keuken Zuid, Eerste Schinkelstraat 14–16, Amsterdam

Milzbrand und ein Messer im Logo – entsprechend entschlossen rückt man hier dem finsteren Grachtenwinter zu Leibe. Stilistisch geschieht das formvollendet: telefonische Reservierung, Gästeliste und eine freundliche Begrüßung. Das eet smakelijk! nimmt man gerne beim Wort. Drei Gänge, das ist eine Ansage. Die Suppe zum Entrée ist zwar keine Augenweide, dafür legt sie ein solides wie schmackhaftes Soja-Gemüse-Fundament. Gut austariert kommt der Hauptgang daher, dezent gekräutert die cremige Melange gebackenen Gemüses, knackig der Salat mit warmen Bohnen, und die marinierten Tofustücke sind wahrlich kein Kindergeburtstag. Kein Zweifel, in dieser Küche verstehen sie ihr Handwerk – und ein bisschen mehr. Auf Rote-Zora-Humor kann man trotzdem tanzen. Als brains with poop and peanuts ist der Nachtisch angekündigt: schokoladiger Erdnusskuchen, vegan wie der Rest, langsam geht es Richtung Schlemmen. Vielleicht liegt das an der Einsehbarkeit der Küche, denn offener als hier kann sie nicht sein. Mit fünf Euro ist das Ganze so günstig, dass manch sparwütiger Calvinist hier Dauergast wäre, wäre dieses Lokal etwas weniger exklusiv. Die Klientel ist wohltuend international, die Konversation zu Tisch wird oft auf Englisch geführt; Dub, Funk und Afrobeat vervollständigen den Soundtrack. Wer mag, kann sich nach dem Menü spültechnisch verwirklichen.

Publikum und Ambiente: *****
Qualität der Speisen: ****
Wartezeit: keine

Berlin: Wie früher
Von Carl Melchers
Køpi, Köpenicker Str. 137, Berlin

Es fühlt sich an wie damals im Berlin der geschichtsbeendeten Nineties, als es in den angesagten Stadtvierteln weder Anwohner noch bayrisches Modebier gab: Durch ein schmiedeeisernes DIY-Tor geht es auf den Innenhof, an der Feuertonne vorbei, deren Licht die Schatten skurriler Skulpturen an den zerbröckelnden Fassaden auf und ab tanzen lässt, dann durch eine gut versteckte Stahltür in eine verrauchte Katakombe voller schwarz gekleideter, gepiercter und verdreadlockter Hausbesetzer. Dort gibt es dann zu Sternburg Pils eine »vegane Volxküche«. Laut Szenemedium Stressfaktor soll es wöchentlich noch knapp 50 solcher Szenebespeisungen in Berlin geben – nirgendwo aber ist das Ambiente noch so authentisch wie in der »Køpi«, Berlins berühmtestem besetzten Haus. Bewohner, Freunde und Fans treffen sich dort mittwochs zum »Punkrocktresen« bei Holzfeuerkanonenofen in der wild dekorierten Bar (eine lederne Polizeimütze hängt als Trophäe von der Decke) mit schwarz gestrichenem Mobiliar vor plakatverkleisterten Wänden. Musik wird sogar noch von liebevoll gepflegten Mixtapes gespielt. Ein ergrauter Punkrock-Veteran hinter der Theke dreht die eine oder andere Kassette sogar von Hand zurück. Zu essen gibt es bodenständige Spaghetti, al dente, nicht matschig, nicht klebrig; dazu eine Kelle »vegane Bolognese«, mit Sojaklumpen statt Hackfleisch und das alles für nur 1,50 Euro.

Publikum und Ambiente: ****
Qualität der Speisen: ***
Wartezeit: keine