Neutral verpackt

Die Temperaturen sinken, trotzdem werden die Menschen täglich nackiger. Nämlich die Herren und vor allem Damen, die uns Intimissimi, H&M und all die anderen Wäschefabrikanten auf ihren Plakaten um die Ohren hauen. Was da aus Rüschen und Seide geblinzelt wird, was da halbnackt lockt und linst, sich spreizt und spannt! Dagegen wäre wenig zu sagen, wäre die Reizwäsche ausschließlich zum Eigenbedarf der abgelichteten Models bestimmt. Aber aus all den Push-up-BHs, Hipster-Panties, T-Strings, Balaconettes und Shaping-Perfection-Briefs sollen ja schon bald Geschenke vorzugsweise an die Damenwelt werden, und dadurch nimmt die Wäschewerbung dann schon mal den bedrohlichen Charakter sexueller Belästigung an.
»Schau mal, Schatz, sexy Wäsche unterm Baum! Darin siehst du bestimmt toll aus. Nicht? Oh, ich dachte, das wäre deine Größe? Hmm, dem Supermodel haben die Sachen aber irgendwie besser gestanden. Ist da grad eine Naht geplatzt? Naja, kannst du ja umtauschen. Ach, Wäsche kann man gar nicht …? Das ist doch kein Grund, laut zu werden. Tut mir ja echt leid, dass du für mich immer noch ein sexuell interessantes Wesen bist! Puh, ich geh’ schon mal ins Bett.«
»Ist gut, Liebling, aber pack deinen geilen Hardbody samt Sickpack und XXL-Ausstattung ins neue sexy David-Beckett-Tank-Top und zieh den schwarzen hüftnahen Boxerslip mit masculine support über«.
Als wäre Weihnachten nicht ohnehin aufregend genug, werden Menschen von den Agenten der Dessous-Industrie auch noch in die völlige erotische Überforderung gestürzt. Mit Socken oder Badesalz ist sowas nicht passiert.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.